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Die Seite 3
Vorweihnachtszeit 2002. Die Stimmung in Deutschlands Apotheken ist auf einen Tiefpunkt gesunken. Das berüchtigte "Vorschaltgesetz" zur großen Gesundheitsreform (die uns schon für das übernächste Jahr angedroht wurde) konnte vom Vermittlungsausschuss des Bundesrates nicht mehr gestoppt werden. Es wird aller Voraussicht nach als Beitragssatzsicherungsgesetz am 1. Januar 2003 in Kraft treten. Wie eine unaufhaltbare Dampfwalze, gesteuert von einer zu allem entschlossenen Bundesgesundheitsministerin, wird es über Deutschlands Apotheken hinwegrollen, massive Ertragseinbußen, Arbeitsplätze, ja sogar Existenzen kosten.
Alle Versuche von verschiedenen Seiten, dieses Gesetz aufzuhalten, zu entschärfen, umzugestalten, scheiterten und prallten an den verantwortlichen Politikern ab. Der "Lobbydruck", auch von Seiten der ABDA, auf die Fraktions- und Ausschussvorsitzenden nützte nichts. Er führte wohl dazu, dass selbst der Bundeskanzler sich unter Druck gesetzt fühlte und in seiner Rede vom 4. Dezember sich voll hinter das Vorschaltgesetz und die Reformen seiner Gesundheitsministerin stellte.
Er sprach sich in dieser Rede bekanntlich für eine wettbewerblich geprägte Ausgestaltung des Apothekenwesens aus und bediente sich dabei eines haarsträubenden Vergleichs mit dem Wettbewerb bei Drogerien:
"Wo steht eigentlich geschrieben, dass es in Deutschland ehernes Gesetz sein muss, dass es Wettbewerb, wie es ihn in den Drogerien gibt, bei den Apotheken mit Vorteilen für die Konsumenten nicht geben darf? Nach meiner Kenntnis steht es geschrieben, aber nicht für die Ewigkeit. Deswegen kann und muss es geändert werden. Wir sind auf dem Weg dorthin. Ein Gesundheitssystem mit mehr Transparenz, mit mehr Markt zu schaffen, auch dann, wenn die Leistungserbringer nicht alles an Vorteilen wie bisher realisieren können und deswegen ganz lautstark schreien, ist notwendig. Wir werden das tun. Seien Sie dessen sicher ..."
Soweit das Kanzlerwort. Da ist es eindeutig, wohin der Weg geht. Die Drogerien sind, wie wir wissen, heute schon so gut wie platt, es gibt fast nur noch die Drogeriemarkt-Ketten. Droht uns dieses Schicksal nun auch?
Solche Vermutungen liegen nahe, denn auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof am 10. Dezember, in der es um das deutsche Versandhandelsverbot geht, zeigte sich die Bundesregierung wild entschlossen, den Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland zu liberalisieren. Apotheken sollen den Versandhandel als zusätzlichen Service anbieten können. Und nur unter den Vorzeichen der Sicherheit und der freien Entscheidung des Patienten – niemand darf zum Bezug von Arzneimitteln übers Internet gezwungen werden.
Das hört sich alles so frei und weichgespült an – allein mir fehlt der Glaube. Wer die Kräfte des Marktes kennt, weiß, dass nach der Zulassung des Versandhandels das Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken fällt, dass dann zwangsläufig Kettenapotheken kommen. In- und ausländische potenzielle Kettenbetreiber stehen schon in den Startlöchern.
Außerdem: Glauben Sie noch einer Regierung, die sich nicht an ihre Wahlversprechen hält, die gleich nach der Wahl die Steuern erhöht, die der Pharmaindustrie verspricht, mit einer Einmalzahlung seien erst mal für zwei Jahre keine weiteren Einsparmaßnahmen zu erwarten und dann 6 Prozent Rabatt verlangt, die den Zwangsrabatt für Apotheken auf 6 Prozent erhöht und ihn für zwei Jahre festschreibt und noch im gleichen Jahr auf bis zu 10 Prozent aufstockt. Ich halte diese Regierung nicht mehr für verlässlich.
Jetzt werden wir unter dem Beitragssatzsicherungsgesetz leiden müssen. Einen kleinen Vorgeschmack auf den komplizierten Abrechnungsmodus, wie die Apotheken sich die für Großhandel und Industrie verauslagten Rabatte wiederholen können, auf den großen Interpretationsbedarf der zum Teil zweideutigen Regelungen des Gesetzes und seiner Anwendung ab Januar, gibt unser Beitrag in DAZ aktuell (siehe Seite 19), der versucht, die derzeitigen Diskussionen dazu zu erklären. Allein die Feststellung, ob ein Arzneimittel (Festbetragsarzneimittel? Aut-idem-Regelung?) unter eine der Rabattregelungen fällt, lässt sich nur mit großem Aufwand nachvollziehen.
Weihnachten 2002. Schriller die Glocken nie klingen ... Die rotgrüne Bundesregierung legte die Grundlage für ein anderes Apothekenwesen. Die Betroffenheit, die Wut, die Enttäuschung über diese Regierung und ihre Maßnahmen spiegelt sich wider in zahlreichen Leserbriefen. Uns ist nicht nach "Oh du fröhliche" zu Mute, und die "Stille Nacht, heilige Nacht" hat für viele die Kündigung gebracht. Sind wir auf dem Weg von sozialen zu sozialistischen Strukturen?
Peter Ditzel
Platt gemacht
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