Rechtsprechung aktuell

Wettbewerbsrecht: Meinungsfreiheit geht vor

Privatleuten kann eine Präsentation von zur Krebsbehandlung bestimmten Arzneimitteln im Internet nicht untersagt werden, wenn sie damit keine wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Die Anpreisung solcher Produkte ist durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Es liegt kein Wettbewerbshandeln zum Nachteil eines anderen vor, wenn das angepriesene Arzneimittel zusätzlich zu der ärztlich verordneten Medikation (Chemotherapie) verabreicht wird, weil es dann an einer Benachteiligung potenzieller Wettbewerber fehlt. Dies hat das Oberlandesgericht Köln in einer rechtskräftigen Entscheidung festgestellt. (Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 08.04.2003, Az.: 4 UF 61/02)

Die Beklagten sind Eltern eines kurz nach der Geburt an Krebs schwer erkrankten Kindes. Die Lebenserwartung des Kindes war äußerst gering. Nachdem sich der Zustand des Säuglings nicht besserte, entschlossen sich die Eltern zur Verabreichung eines glutathionhaltigen Präparats, welches zusätzlich zur klassischen Therapie Anwendung fand.

Schon kurze Zeit nach Einnahme des durch die Eltern verabreichten Arzneimittels verbesserte sich der Zustand des Kindes kontinuierlich. Es ist heute 10 Jahre alt und erfreut sich bester Gesundheit.

Die Eltern sind davon überzeugt, dass die gesundheitliche Wende dem glutathionhaltigen Präparat zu verdanken war und haben im Internet eine Homepage geschaltet, um über ihre Erlebnisse mit dem Wirkstoff Glutathion zu berichten. Diese Homepage hatte nicht nur die Lebensgeschichte ihres Kindes, sondern auch das verwendete glutathionhaltige Präparat, dessen Rezeptur, Hinweise über Bezugsmöglichkeiten und zu den Kosten zum Inhalt.

Darüber hinaus enthielt sie umfangreiche Informationen über den Erfinder des Mittels. Hiergegen wandte sich ein Wettbewerbsverband und nahm die Eheleute auf Unterlassung in Anspruch.

Keine Wettbewerbsförderungsabsicht

Das Oberlandesgericht Koblenz gab den Beklagten Recht. Die Beklagten hätten mit dem Schalten ihrer Homepage nicht zu Zwecken des Wettbewerbs im Sinne des § 1 UWG gehandelt.

Ein solches Handeln liegt dann vor, wenn ein Verhalten objektiv dazu geeignet ist, den Absatz einer Person zum Nachteil einer anderen Person zu begünstigen und wenn der Handelnde in subjektiver Hinsicht zusätzlich in der Absicht vorgegangen ist, den eigenen oder fremden Wettbewerb zum Nachteil eines anderen zu fördern. Das Oberlandesgericht ließ zwar keinen Zweifel daran, dass die Homepage der Beklagten objektiv geeignet und nach der inhaltlichen Gestaltung auch dazu bestimmt war, den Absatz der Substanz zu fördern.

Denn die beanstandeten Seiten des Internetauftritts seien für eine Information in ähnlicher Weise Betroffener nicht erforderlich gewesen. Hierfür hätte es gereicht, wenn die Beklagten allein auf ihre bzw. auf die Lebensgeschichte ihrer Tochter hingewiesen hätten.

Es fehle aber sowohl an einer Benachteiligung anderer Marktteilnehmer als auch an einer darauf gerichteten Absicht. Dies ergäbe sich daraus, dass das Mittel, welches verabreicht werden sollte, zusätzlich zu der ärztlich verordneten Medikation verabreicht werden und eine solche nicht etwa verdrängen sollte.

Angesichts der besonderen Situation, dass Glutathion allenfalls zusätzlich zur sonst ärztlich verordneten Behandlung verabreicht werde, sei die Beeinträchtigung eines Wettbewerbsverhältnisses durch die Anpreisungen der Beklagten auf ihrer Homepage nicht zu erkennen. Auch fehle es an einer entsprechenden Empfehlung, Glutathion anstelle eines anderen Behandlungsmittels einzusetzen.

Verfassungskonforme Auslegung

Das Oberlandesgericht Koblenz stützte seine Entscheidung darüber hinaus auf eine weitere Erwägung, welche insbesondere durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an Gewicht gewonnen hat: Betrifft eine zivilrechtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, fordert Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, dass die Gerichte bei Auslegung und Anwendung der privatrechtlichen Regelungen der Bedeutung des Grundrechts Rechnung tragen.

Die allgemeinen Gesetze sind so auszulegen und in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder so einzuschränken, dass der besondere Gehalt der Meinungsfreiheit dabei zur Geltung kommt. Daher – so das Oberlandesgericht Koblenz – sei zu prüfen, ob der Schutzbereich der Meinungsfreiheit durch den streitigen Internetauftritt berührt und eine Untersagung der Betätigung der Beklagten durch den Gesetzesvorbehalt, hier § 1 UWG, gedeckt sei.

Internetauftritt fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit

Bei dem hier maßgeblichen Internetauftritt handelt es sich um eine Wahrnehmung der Meinungsfreiheit. Meinung ist durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt.

Eben dies lässt sich den Äußerungen der Beklagten entnehmen: sie haben ihre Erfahrungen und die Erlebnisse mit ihrem Kind geschildert. Denn es handelt sich nicht um eine bloße Wiedergabe von Leistungen und dergleichen, sondern um eine positive Schilderung, eben eine Stellungnahme.

Demgegenüber beabsichtigt § 1 UWG den Schutz der Lauterkeit des Leistungswettbewerbs. Im Interesse der Wettbewerber, der sonstigen Nachbeteiligungen, allen voran der Verbraucher und der Allgemeinheit, sollen diese von Wettbewerbshandlungen freigehalten werden, die dem sittlich-rechtlichen Empfinden widersprechen.

Missbilligt werden hiernach vor allem unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung des Kunden, Behinderungen der Mitbewerber mit nicht leistungsgerechten Mitteln, Nachahmung und Ausbeutung, Schaffung eines Wettbewerbsvorsprungs durch Missachtung gesetzlicher Schranken und Einsatz vornehmlich marktbedingter Vorteile, mithin Verhaltensweisen, welche die Funktionsfähigkeit des Leistungswettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören. Eine solche Gefährdung konnte das Oberlandesgericht durch den hier beanstandeten Internetauftritt jedoch nicht erkennen.

Motive sind maßgeblich

Die Meinungsfreiheit überwiegt auch dort, wo die Motive für das Handeln nicht in den eigenen Interessen wirtschaftlicher Art münden, sondern in der Sorge um Belange der Allgemeinheit oder schutzwürdiger Gruppen. Sie dient dann der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, was dafür spricht, dass die Betätigung durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt ist, selbst wenn private und namentlich wirtschaftliche Interessen hierdurch beeinträchtigt werden.

Weil es an entsprechenden wirtschaftlichen Interessen der Beklagten fehlte, war das erkennende Gericht davon überzeugt, dass ihre Betätigung dadurch motiviert war, die bei der Genesung ihres Kindes gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen an in ähnlicher Situation befindliche Dritte weiterzugeben und einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.

Entscheidungen im Wortlaut bei DAZ online Den Wortlaut des Urteils finden Sie – neben anderen apotheken- und arzneimittelrechtlichen Entscheidungen – im Internet unter www.deutscher-apotheker-verlag.de/DAZ in der Rubrik Recht, Benutzername: apotheke Kennwort: daz

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