Berichte

Consumer Health Care: Mehr Nutzen, weniger Schaden durch Arzneimittel

Die Charité in Berlin und der Verein Consumer Health Care e.V. veranstalteten am 24. Oktober 2003 in Berlin ihre 3. Jahrestagung "Consumer Health Care". Sieben namhafte Persönlichkeiten aus Politik, von Behörden, der Pharmazeutischen Industrie, Selbsthilfeorganisationen und der Charité referierten zum Thema "Arzneimittelsicherheit als gesellschaftliche Aufgabe".

Prof. Dr. Marion Schaefer von der Humboldt-Universität zu Berlin stellte in ihrer Begrüßungsansprache fest, dass die Gewährleistung einer hohen Arzneimittelsicherheit zwar kein "Top-Thema" der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussionen sei, aber immer ein wichtiges Ziel des Gesundheitspolitik bleiben werde.

"Alle, die beruflich mit Arzneimitteln zu tun haben, werden immer daran gemessen werden, was sie unternehmen, um deren Sicherheit zu verbessern", betonte sie.

Was tut sich in der EU?

Dr. Hubertus Cranz vom Europäischen Fachverband der Arzneimittel-Hersteller (AESGP) erläuterte in seinem Vortrag, welche Themen in der gegenwärtigen Phase der Revision der Arzneimittelgesetzgebung in Europa vorrangig diskutiert werden. Dazu gehören:

  • die Art der Patienteninformation, z. B. die Frage, ob Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel wie in den USA zulässig sein soll (die EU-Mitgliedstaaten lehnen dies ab),
  • das zentrale Zulassungsverfahren (das Spektrum der Arzneistoffe, die bei der EMEA zentral zugelassen werden müssen, soll erweitert werden),
  • die Harmonisierung der Datenschutzfristen für neue Arzneistoffe (bisher gelten in den Mitgliedstaaten teilweise unterschiedliche Fristen),
  • eine neue Richtlinie zu traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln,
  • rechtliche Probleme bei Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln.

Die zentrale Frage der Arzneimittelgesetzgebung im europäischen Binnenmarkt sei jedoch: "Wie kann eine einheitliche Zulassung mit nationalen Regeln der Erstattung und Preisgestaltung vereinbart werden?" Hierbei werde beispielsweise über die Schaffung eines "europäischen Preises" für das jeweilige Arzneimittel und ein "Rabattsystem" für die einzelnen Mitgliedstaaten nachgedacht.

Pharmakovigilanz verbessern

RD Dr. Horst Möller vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS), Referat Arzneimittelsicherheit, erläuterte, dass die vor Zulassung eines neuen Arzneimittels durchgeführten klinischen Studien nicht alle Risiken aufdecken können.

Dies sei bedingt durch die relativ geringe Zahl von Probanden bzw. Patienten, statistisch nicht erfassbare Nebenwirkungen und vor allem durch zunächst nicht erfassbare Spätwirkungen eines Arzneimittels. Die Pharmakovigilanz, also die kontinuierliche Nutzen-Schaden-Bewertung von zugelassenen Arzneimitteln, sei daher für die Arzneimittelsicherheit mindestens ebenso wichtig wie die klinischen Studien vor der Zulassung.

Gegenwärtig überlege das BMGS, wie die Arzneimittelsicherheit in Deutschland noch weiter erhöht werden kann. Angedacht seien beispielsweise

  • die Verbesserung des Spontanmeldesystems für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW),
  • die Einrichtung von nationalen Pharmakovigilanz-Zentren (dafür existieren bereits Modellprojekte) und
  • die Vermeidung vermeidbarer UAW, z. B. durch eine bessere pharmakotherapeutische Qualifikation der Ärzte und eine erweiterte Beratung der Patienten.

Lobend äußerte sich Möller über das in Niedersachsen initiierte Hausapotheken-Modell. Auch dieses könne dazu beitragen, UAW zu vermeiden.

Mehr UAW melden

Prof. Dr. Harald G. Schweim, Leiter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sprach sich ebenfalls für Maßnahmen zur Verbesserung der Pharmakovigilanz in Deutschland aus. Für bestimmte Indikationen, bei denen derzeit noch zu wenige UAW gemeldet werden, sollten öffentliche Kampagnen durchgeführt werden.

Schweim erläuterte an einigen Beispielen, wie schwierig es trotz einer relativ großen Zahl von UAW-Meldungen sei, die Kausalität zwischen der Arzneistoffeinnahme und der unerwünschten Wirkung zu belegen. Lediglich im Falle der Reexposition, d. h. beim Auftreten der UAW nach wiederholter Einnahme eines Arzneistoffs, könne man sich ziemlich sicher sein.

Viele seit langem bekannte Nebenwirkungen wie beispielsweise Magenbeschwerden nach Einnahme von Acetylsalicylsäure werden häufig nicht mehr gemeldet, auch dies erschwere die Feststellung der wahren Inzidenz von UAW.

Dr. Peter Potthoff vom Marktforschungsinstitut NFO Infratest Health legte in seinem Referat dar, dass die Quantität und Qualität der UAW-Meldungen durch Haushaltsbefragungen zu steigern seien.

Medikationsprofile in der Apotheke

Prof. Dr. Marion Schaefer erläuterte den Nutzen von Medikationsprofilen für die Identifikation arzneimittelbezogener Probleme, die Beurteilung der Anwendungsdauer und der Compliance, die Prüfung auf Interaktionen oder auch die Gewinnung epidemiologischer Daten.

Alle großen Apotheken-Softwarehäuser bieten Module zur Erstellung von Medikationsprofilen aus Patienten-Stammdaten – unter Berücksichtigung des Datenschutzes – an. Leider haben viele Patienten Angst, dieses Betreuungsangebot der Apotheken anzunehmen, obwohl es zur Optimierung ihrer Therapie beitragen kann, vorausgesetzt, dass sie keine "Apotheken-Hopper" sind, sondern ihrer Stammapotheke treu bleiben.

Schaefer erwartet, dass mit der Zunahme der Zahl der "Hausapotheken" in Deutschland auch die Nutzung der Medikationsprofile sprunghaft ansteigen werde.

Arzneimittel-Interaktionen

Dr. Christian Meisel von der Charité erinnerte daran, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Rückrufe von Arzneistoffen (z. B. Terfenadin, Cisaprid, Astemizol) aufgrund von Arzneimittel-Interaktionen erfolgt sind. Die größte Bedeutung haben Interaktionen auf der Ebene der Arzneistoffresorption und der Metabolisierung.

Bei vielen Arzneistoffen wisse man inzwischen, welche Enzyme an deren Metabolisierung beteiligt sind, daher könne man viele Interaktionen inzwischen erklären und teilweise vorhersagen.

Beispielsweise ist Johanniskrautextrakt ein Induktor des Transporterporteins P-Glykoprotein und des arzneistoffmetabolisierenden Isoenzyms Cytochrom P450 3A4. Bei gleichzeitiger Verabreichung von Arzneistoffen, die durch dieses Enzym metabolisiert werden (z. B. Digoxin, Theophyllin, Ciclosporin), kann deren Bioverfügbarkeit vermindert sein.

Derartige bekannte Interaktionen lassen sich in der Praxis durch eine sorgfältige Arzneimittel-Verordnung vermeiden, betonte der Referent.

Vom informierten zum mündigen Patienten

Markus Wirtz, Geschäftsführer des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e. V. (DMSG), erläuterte ein von der DMSG neu entwickeltes Patientenbetreuungskonzept, das den Titel "Vom informierten zum mündigen Patienten" trägt.

Ein mündiger Patient besitzt demnach Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz, eine hohe Motivation bezüglich seiner Therapie und kann dem Arzt mit einem viel größeren Selbstbewusstsein gegenübertreten als ein "nur" gut informierter Patient. Die höhere Compliance eines mündigen Patienten ist auch von ökonomischer Bedeutung, da durch Non-Compliance in Deutschland jährlich Kosten zwischen 8,4 und 10 Mrd. Euro verursacht werden.

Consumer Health Care Seit März 2001 bietet die Humboldt-Universität zu Berlin mit Unterstützung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) den Masterstudiengang "Consumer Health Care" an:

Durchführung als berufsbegleitendes Teilzeitstudium in fünf 14tägigen Präsenzveranstaltungen (Vorlesungen, Seminaren, Debatten und Projektarbeiten) plus Selbststudium,

Studiendauer: 1,5 Jahre, Immatrikulation einmal jährlich, Kosten pro Fachsemester: 2557 Euro, Stipendium vom Förderverein Consumer Health Care e.V. möglich.

Info: www.consumer-health-care.de

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