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Ein Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – z
Das soeben gegründete Institut ist eine der umstrittensten (man möchte sagen, eine der überflüssigsten) Einrichtungen, die mit der Gesundheitsreform neu geschaffen wurde. Das Institut hat eine Fülle von Aufgaben, die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln ist Peter Sawicki, dem Leiter des Instituts und einem erfahrenen Pharmakritiker, verständlicherweise ein besonderes Anliegen. Das Institut will Ärzten und Patienten in Zukunft verkünden, was Gutes oder Böses, Innovatives oder Pseudofortschrittliches von Arzneimitteln zu erwarten ist (das klingt doch gut).
In Interviews wurde der Institutsleiter bereits konkret und erklärte erst einmal, was unter einer Innovation zu verstehen ist, nämlich eine Neuentwicklung. Für sie gebe es drei Möglichkeiten: Sie kann besser, schlechter oder gleich gut als das bisher Verwendete sein. Ist sie besser, wird man sie verwenden (was Sinn macht), ist sie schlechter, wird man es nicht tun (was ebenfalls Sinn macht), und ist sie genauso gut, wird man zu dem Billigeren greifen, was in praxis bedeutet, dass man beim Bisherigen bleibt, weil die Innovation in der Regel teurer ist (Innovationen willkommen!). Voraussetzung für eine solche Beurteilung sind nach Sawicki valide, klinisch-wissenschaftliche Untersuchungen der neu entwickelten Medikamente, und er verspricht, sich dafür einzusetzen, dass diese nach ihrer Zulassung schnell durchgeführt werden, und zwar so, dass sie ausreichen, die positiven wie negativen Effekte der Neueinführungen erkennen zu können.
Nun sollte sich eigentlich bei denen, die als Arzneimittelexperten gelten und als solche zu entscheiden haben, irgendwann die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass Langzeit- und Endpunkt Studien bei kaum einem Medikament zum Zeitpunkt der behördlichen Zulassung vorliegen können, weil diese Studien in der Regel mehrere Jahre beanspruchen, dass also mit Beginn der Vermarktung eines neuen Medikaments die Einschätzung seines Risikopotenzials und die Bewertung seines Nutzens nicht abgeschlossen sein kann, und dass mit dem Markteintritt eines jeden Medikaments ein "Experiment" beginnt, das an Patienten vorgenommen wird und praktisch nie endet.
So wird auch das neue Institut über kurz oder lang zu der Erkenntnis kommen müssen, dass die evidenzbasierte Nutzenbeurteilung eines Medikaments nur möglich ist, nachdem ausreichende Daten während seines täglichen Einsatzes unter realistischen Bedingungen gesammelt wurden. Die Frage also, ob ein neues Medikament einen über den Anwendungszweck hinausgehenden Nutzen besitzt, ob beispielsweise die Senkung erhöhter Cholesterinwerte einen Infarkt verhindert oder das Leben verlängert, kann nun einmal nur durch Langzeitbeobachtungen geklärt, nicht aber zum Zeitpunkt seiner Zulassung durch eine Art "Warentestung" entschieden werden, auch wenn das die Warentester glauben und der Öffentlichkeit einreden wollen.
Worum geht es bei einer Warentestung? Um die Frage nach der Qualität und ob die Qualität ihren Preis wert ist. Worum geht es bei einer Medikamentenprüfung? Zunächst um die Frage nach Chance und Risiko. Die Chance besteht darin, durch die Anwendung eines Arzneimittels von Beschwerden befreit oder von Krankheit geheilt zu werden, das Risiko darin, durch die Medikamentenanwendung unerwünschte Wirkungen zu erleiden oder nicht geheilt zu werden.
Neue Medikamente werden nach Ansicht von Sawicki in Deutschland viel zu euphorisch empfangen. Wäre das Institut vor zehn Jahren gegründet worden, so hätte es nach Sawickis Aussage wohl davon abgeraten, allen Frauen in der Post-Menopause zu einer Hormon- Ersatz-Therapie (HET) zu raten.
Ob dieser Rat nun gut oder weniger gut gewesen wäre, darüber lässt sich durchaus streiten, denn einig sind sich die Experten bislang nur darin, dass die bisherigen Studien Schwachstellen haben, gewisse Tendenzen zeigen und weitere Studien sinnvoll erscheinen lassen. Da wir aber in der Medizin keine andere Möglichkeit haben, als auf einen möglichst allgemeinen Nutzen abzustellen, können wir uns bei Entscheidungen nur danach richten, ob der Gesamtschaden den Gesamtnutzen übersteigt. Hätte das Institut in den 70-er Jahren schon bestanden, hätte Sawicki (ich vermute das einmal) den Patienten von der Einnahme von Betablockern zur Vorbeugung eines Re-Infarkts abgeraten, da der Nutzen einer solchen vorbeugenden Therapie zu jenem Zeitpunkt keineswegs erwiesen war. Die Amerikaner haben so gehandelt, und in den sechs Jahren der Zulassungsverzögerung in ihrem Land etwa 100. 000 (!) Menschenleben verloren.
Mit der Vermarktung eines neuen Medikaments ist die Bewertung seines therapeutischen Nutzens und seines Risikos nicht abgeschlossen, streng genommen beginnt sie erst jetzt. Deshalb birgt jede Reglementierung bei der Neueinführung eines Medikaments die Gefahr, seinen vollen Nutzen zu verkennen.
Klaus Heilmann
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