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GMG: Unterläuft die Pharmaindustrie die Reform?

BERLIN (ks). Kaum ist die Gesundheitsreform in Kraft, wird den Pharmanternehmen vorgeworfen, sie unterminierten die neuen Regelungen im Arzneimittelbereich. Zum Beispiel indem sie eine große Zahl von Medikamenten von ihrem rezeptfreien Status in die Verschreibungspflicht überführen ließen. Das hat den Vorteil, dass sie wieder auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verschrieben werden können. Mark Seidscheck, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), teilt diese Befürchtung nicht. Allerdings ist er der Überzeugung, dass die GKV wegen der Reform mit Mehrausgaben für Arzneimittel in Höhe von einer Mrd. Euro rechnen müsse.

In einem Interview mit der "Welt" (Ausgabe vom 3. Februar) bezeichnet Seidscheck den Wegfall der Erstattungspflicht für nicht-verschreibungspflichtige Medikamente als "kontraproduktiv": "Wenn wir davon ausgehen, dass in 40 Prozent der Fälle auf diese Präparate verzichtet wird, 20 Prozent weiterhin zum Beispiel für Kinder verordnet werden und in 40 Prozent der Fälle der Arzt ein in der Regel drei Mal so teueres rezeptpflichtiges Medikament verschreibt, dann müssen die gesetzlichen Krankenkassen mit mehr als einer Milliarde Euro zusätzlichen Ausgaben rechnen."

Dem Vorwurf, Pharmaunternehmen unterliefen die Sparreform durch eine Rückführung ihrer OTC-Präparate in die Verschreibungspflicht, stellt Seidscheck das komplizierte Verfahren für dieses Vorhaben entgegen: Vor der Entscheidung über den Wegfall oder die Einführung der Rezeptpflicht gebe es ein Votum des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Gesundheitsministerium.

Dieser Ausschuss müsse eine Empfehlung abgeben, ob das Mittel – substanzbezogen oder indikationsbezogen – in diese oder die andere Gruppe gehört. Dabei gehe es niemals nur um ein bestimmtes Medikament, sondern um den Wirkstoff oder das Anwendungsgebiet. Eine Entscheidung des Ausschusses nehme somit "zahlreiche andere Mittel mit in Sippenhaft", erklärte Seidscheck. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Runde leichtfertig ein Votum abgibt", so der BAH-Geschäftsführer.

Zudem müsse das Votum anschließend durch eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt werden. Seidscheck berichtete, dass der Sachverständigenausschuss am 20. Januar seine erste Sitzung in diesem Jahr hatte. Die Beratungen seien zwar vertraulich – doch von zwölf Anträgen auf Unterstellung unter die Verschreibungspflicht wurden neun abgelehnt, so Seidscheck. "Gefälligkeitsentscheidungen" seien dies sicher nicht. Endgültig entscheide nun das Bundesgesundheitsministerium durch eine Rechtsverordnung – sofern der Bundesrat dieser zustimmt.

Auch die zuweilen geäußerte Behauptung, die Pharmaindustrie erfinde Krankheiten, um ihre Umsätze zu sichern, wies Seidscheck zurück. Denn wenn ein Arzneimittelhersteller ein Arzneimittel in den Verkehr bringen wolle, müsse er die Indikation als existent und Heilungsprozesse durch das Arzneimittel belegbar nachweisen. "Jede nicht existierende Krankheit wird von der Zulassungsstelle abgelehnt", so der BAH-Hauptgeschäftsführer.

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