Aus Kammern und Verbänden

Klinische Pharmazie: Ambulant-stationäre Schnittstellenbetreuung

Unter dem Titel "Sektorenübergreifende Betreuung: Seamless Care als Herausforderung für die Pharmazie" veranstaltete die Fachgruppe Klinische Pharmazie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) am 5. Oktober in Mainz ein Vorsymposium zur DPhG-Jahrestagung. In der von Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Klinische Pharmazie Universität Bonn, und Dr. Frank Dörje, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Erlangen, geleiteten Veranstaltung wurde gezeigt, wie Apotheker sich bereits heute in der Schnittstellenversorgung engagieren und welche Möglichkeiten die Zukunft bietet.

Angesichts der vielfach kritisierten mangelnden Vernetzung im Gesundheitswesen seien gerade bei Problemen im Arzneimittelbereich der Einsatz und die Kompetenz der Apotheker gefragt, meinte Prof. Jaehde. Die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung könne nur unter Einbeziehung der Apotheker befriedigend gestaltet werden. Dafür müssten Apotheker aus Offizin und Krankenhaus künftig enger zusammenarbeiten. Nach Einschätzung von Dr. Dörje sollten die Apotheker nicht Teil des Problems, sondern der Problemlösung sein. Jedes noch so kleine Projekt könne einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der Schnittstellenversorgung leisten.

 

"Apotheker sollten nicht Teil des Problems, sondern Teil der Problemlösung sein!"
Dr. Frank Dörje

 

Umfragen zum Status quo

Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung ist Seamless Care beispielsweise in Großbritannien, Kanada und Australien schon sehr viel weiter fortgeschritten als in Deutschland. Apothekerin Meike Eckhardt, Pharm.D., aus dem Arbeitskreis von Professor Jaehde an der Universität Bonn berichtete über ein in Kooperation mit der ABDA, der ADKA, dem Bundesverband der klinik- und heimversorgenden Apotheker BVKA, der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie DGKPha und der Fachgruppe Klinische Pharmazie der DPhG initiiertes Projekt, das einen Überblick über die Position von Apothekern und Patienten in der Schnittstellenversorgung (Seamless Care) in Deutschland vermitteln soll.

Einen ersten Trend vermittelte eine schriftliche Befragung von Apothekern. Von 91 ausgewerteten Fragebögen stammte etwa die Hälfte von Apothekern aus Krankenhäusern oder krankenhausversorgenden Apotheken. Dabei erklärten 89 Apotheker, dass sie eine Schnittstellenbetreuung für sinnvoll hielten, 82 hielten sie für machbar und 40 waren bereits in diesem Bereich tätig. Die Schnittstellenbetreuung durch Apotheker könne insbesondere die Umstellung auf Generika im ambulanten Bereich, den Informationstransfer zum Offizinapotheker und die Betreuung von älteren oder multimorbiden Patienten erleichtern.

 

"Apotheker halten Schnittstellenbetreuung in Deutschland für sinnvoll und machbar."
Meike Eckhart, Pharm. D.

 

In einer zweiten Phase des Projekts wurde an drei Kliniken in Mannheim, Gießen und Schwäbisch Hall ein Tätigkeits- und Wahrnehmungsfragebogen an Apotheker und Patienten ausgegeben, der genauere Auskünfte über die Tätigkeiten der Apotheker und die Wahrnehmung durch die Patienten geben sollte. Die Ergebnisse von 36 auswertbaren Fragebögen zeigen, dass der Inhalt von Entlassungsgesprächen zwischen Apothekern und Patienten auf Station meistens die Eigenschaften und Anwendung der Arzneimittel mit dem Ziel einer verbesserten Compliance umfasst.

Keiner der befragten Patienten gab an, bereits früher einmal bei einer Entlassung aus dem Krankenhaus von einem Apotheker beraten und betreut worden zu sein; die Mehrheit der Patienten wäre dazu bereit, immer in dieselbe öffentliche Apotheke zu gehen, wenn dies eine fortlaufende Betreuung sicherstellen würde. Die Patienten bewerteten die im Rahmen des Entlassungsgespräches erhaltenen Informationen durch den Apotheker fast durchweg als nützlich (97%), gut verständlich (97%) und ausführlich genug (95%).

Apotheker auf Station

Dr. Maria-Franziska Reinecke, Apothekerin am Klinikum Mannheim, berichtete über eigene praktische Erfahrungen beim Einsatz von Apothekern auf Station. Es gelte, Hilfe anzubieten und nicht nur die Patienten, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal zu schulen, beispielsweise durch Literaturrecherchen, Vorlesungen und Fortbildungen oder in der Funktion des Medizinproduktebeauftragten. Außerdem können Apotheker bei der Erfassung der Arzneimittelanamnese, der Erstellung von Therapiestandards, bei Interaktionschecks, in Ernährungsteams oder in pharmakoökonomischen Kommissionen mitwirken. Zur Vorbereitung sollten geeignete Formulare und Anschreiben entwickelt werden. Das Engagement der Apotheker werde durch eine erhöhte Patientenbindung, qualitätsgesicherten Service bei der Entlassung, die Bindung der einweisenden Ärzte und weitere Wettbewerbsvorteile des Krankenhauses belohnt.

Interdisziplinäre Patientenbetreuung

Das im Raum Stuttgart initiierte Konzept IntegraCare stellten Sr. Karin Johanna Haase, Chefapothekerin am Marienhospital Stuttgart und Vorsitzende von IntegraCare e.V., sowie die Offizinapothekerin Karin Wahl vor. Sie zeigten Synergieeffekte der gemeinsamen Betreuung von Patienten durch Offizin- und Krankenhausapotheker auf und forderten eine Neupositionierung der traditionellen Gesundheitsberufe. Dabei sollte der psychosozialen Kompetenz des Apothekers größere Bedeutung zukommen, was auch zu einer Rationalisierung wenig strukturierter Arbeitsabläufe führen würde. Krankenhausapotheker sollten die Haupteinweiser und deren Erwartungen an ihr Krankenhaus kennen. Damit Apotheker aktiv an neuen Versorgungsformen teilnehmen können, müsse jeder Krankenhausapotheker über die Grenzen seines Hauses hinaus denken.

 

"Der Patient muss im Mittelpunkt und nicht im Weg stehen!"
Sr. Karin Johanna Haase

 

Der im Januar 2004 gegründete Verein IntegraCare e.V. bildet als regionaler Zusammenschluss von Apotheken im Raum Stuttgart ein kleinzelliges, regionales Netzwerk, das auf eine patientenorientierte interdisziplinäre Patientenbetreuung zielt. Eine Hauptaufgabe ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen den einzelnen Leistungsanbietern. Nach Einschätzung von Wahl nehmen beispielsweise die Krankenkassen die Entwicklung der Schnittstellenversorgung in Deutschland anscheinend noch nicht ausreichend wahr. Doch sei eine integrierte Versorgung per definitionem nur unter Einbeziehung aller Beteiligter sinnvoll möglich.

 

"Die traditionellen Gesundheitsberufe müssen sich anders positionieren!"
Karin Wahl

Nutzung der EDV

Dr. Myga Brakebusch, Apotheke des Klinikums rechts der Isar der TU München, stellte das Konzept des Arzneimittelkonsils als Beitrag zur Qualitätssicherung in der Arzneimittelversorgung im ambulant-stationären Schnittstellenbereich vor. Bei der Arzneimittelanamnese könnten Apotheker ihre vielfältige Kompetenz einbringen, um über diesen empfindlichen Bestandteil der Patientenaufnahme einen wesentlichen Beitrag zum Therapieerfolg zu leisten. Darüber hinaus kann ein in der Apotheke generierter Anhang wichtige Hinweise auf die spätere ambulante Medikation vermitteln. Daher sind eine zentrale Arzneimittelanamnesestelle, die Dokumentation der Arzneimitteltherapie in einer elektronischen Patientenakte und eine zentrale pharmazeutische Entlassberatung anzustreben.

Pamela Reissner, Apothekerin am Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, präsentierte ein Modellprojekt zur Schnittstellenbetreuung in den Ruppiner Kliniken, bei dem gemeinsam mit der Krankenhausapotheke eine Computersoftware entwickelt wurde. Sie dokumentiert den Weg des Patienten von der Aufnahme an, zeigt auch Medikationsänderungen auf und bindet die Apotheke ein. Außerdem kommen standardisierte Entlassungsscheine und Medikamentenausweise zum Einsatz, die eine Schnittstellenversorgung des Patienten ermöglichen. Das Projekt zielt auf verbesserte Qualität und Sicherheit, erhöhte Patienten- und Einweiserbindung, Stärkung der interdisziplinären Kommunikation und Imagegewinn für Apotheke und Krankenhaus.

Niederlande als Vorbild?

Dass sich Apotheker aus Offizin und Krankenhaus in den Niederlanden bereits seit längerer Zeit stark in der Schnittstellenpharmazie betätigen, erläuterte Eva Siedenburg, Offizinapothekerin aus Den Haag. Zu Beginn der 1990er-Jahre hat eine radikale Reform in den Niederlanden zum Umdenken geführt, als die Abgabe von Arzneimitteln aus der Krankenhausapotheke direkt an die Patienten erlaubt wurde. Die Existenzängste der Offizinapotheker und die die daraus folgende engere kollegiale Gemeinschaft führten zur Errichtung von Apothekenstützpunkten in den Krankenhäusern. Diese von Offizinapothekern in den Krankenhäusern geleiteten Organisationen übernahmen die Versorgung der Patienten bei der Entlassung aus dem Krankenhaus und bilden seitdem ein wichtiges Verbindungsglied zwischen dem stationären und ambulanten Bereich. Dies hat zu erhöhter Arzneimittelsicherheit und verbesserter Schnittstellenbetreuung auf breiter Ebene geführt.

Elektronische Gesundheitskarte

Die künftige Entwicklung in Deutschland dürfte durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte wesentlich geprägt werden, die Dr. Léonie Zimmermann, Projektgruppe Telematik-Gesundheitskarte des BMGS, und Dr. Gerd Bauer, Telematikbeauftragter der ABDA, vorstellten. Die Gesundheitskarte soll klinische Notfalldaten speichern und eine sektorenübergreifende integrierte Versorgung auch im Notfall unterstützen. Nach Einschätzung von Zimmermann rückt die Gesundheitskarte den Patienten weiter in den Mittelpunkt. Die Einführung wird "sanft" in mehreren Schritten und in Abstimmung mit allen Partnern im Gesundheitswesen erfolgen.

Dr. Bauer betonte die Vorteile der mit der Gesundheitskarte zum Einsatz kommenden Vernetzungsinfrastruktur, die auch bei der späteren Einführung des elektronischen Rezepts eine wichtige Rolle spielen werde. Das System soll möglichst leicht verständlich gestaltet werden und eine maximale Sicherheit für die Patientendaten erreichen.

 

"Die Gesundheitskarte setzt den Patienten in den Mittelpunkt."
Dr. Léonie Zimmermann

Menschlichkeit bewahren

In einer lebhaften Abschlussdiskussion rief Wahl dazu auf, bei allem technischen Fortschritt im Gesundheitswesen die Menschlichkeit nicht zu vernachlässigen. Zwischen Karten, Computern und Softwaresystemen müsse der Patient im Mittelpunkt stehen.

 

"Die Zeit ist reif für eine sektorenübergreifende Betreuung durch Apotheker."
Professor Ulrich Jaehde

 

Dr. Dörje unterstrich die Bedeutung zahlreicher kleiner regionaler Projekte, die die Schnittstellenversorgung nicht nur theoretisch denken, sondern heute schon leben. Professor Jaehde forderte die bereits Aktiven auf, noch mehr zusammenzuarbeiten, um die neuen Dienstleistungen zu standardisieren und weiterzuentwickeln. Außerdem würden dringend mehr Daten benötigt, um wissenschaftlich und wirtschaftlich den Wert der Schnittstellenbetreuung zu belegen. Es sei unverzichtbar, auch hierbei Synergieeffekte durch noch engere Zusammenarbeit zu nutzen.

Sven Simons, Bonn

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