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Koalitionsvertrag: Arzneimittelsparpaket ist geschnürt
Sieben Seiten des insgesamt 143 Seiten umfassenden Koalitionsvertrages sind der Gesundheitspolitik gewidmet. Ausgangspunkt aller Reformvorhaben ist, dass Deutschland über ein "modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen" verfügt, das den Bürgern den Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung sichert und zugleich 4,2 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz bietet. Ausdrücklich erkennen die Parteien an, dass das Gesundheitswesen eine "dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland" ist.
Finanzreform weiterhin untergeklärt
Das System müsse angesichts der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts jedoch ständig weiterentwickelt werden. Leitbild sei dabei die "Sicherung eines leistungsfähigen und demografiefesten Gesundheitswesens" mit einer qualitativ hochwertigen Versorgung sowie die "Gewährleistung einer solidarischen und bedarfsgerechten Finanzierung". Wie der Weg zu diesem Ziel aussehen soll, ist nur teilweise im Vertrag festgehalten. So will die große Koalition die Frage der Finanzierung erst 2006 klären. Dann soll ein "umfassendes Zukunftskonzept" entwickelt werden, "das auch darauf angelegt ist, die Beiträge zur GKV mindestens stabil zu halten und möglichst zu senken". Dies sei eine "große Herausforderung", da sich die unterschiedlichen Reformmodelle der Parteien (Gesundheitsprämie versus Bürgerversicherung) "nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen".
Neuorganisation in PKV und GKV
Klar ist für die Koalitionäre immerhin eines: Der mit dem GKV-Modernisierungsgesetz eingeschlagene Weg zu einem wettbewerblich und freiheitlich ausgerichteten Gesundheitswesen soll weitergegangen werden. Doch man will sich noch mehr drauf besinnen, die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten zu erweitern und den Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit zu intensivieren. Zudem sollen mehr Transparenz und weniger Bürokratie im Gesundheitswesen herrschen.
Im Bereich der privaten und gesetzlichen Kassen setzen Union uns SPD auch weiterhin auf das plurale System und die Kassenvielfalt. Dennoch werden sich die Krankenversicherer auf Veränderungen einstellen müssen: So sollen private Kassen ihren Versicherten künftig ihre individuellen Altersrückstellungen mitgeben, wenn diese zu einer anderen privaten Versicherung wechseln wollen. Geprüft werden soll auch, ob und wie eine Übertragung dieser Rückstellungen bei einem Wechsel in eine gesetzliche Kasse erfolgen kann. Im GKV-Bereich wollen die Koalitionäre kassenartübergreifende Fusionen ermöglichen, um die Effizienz der Kassenorganisation zu erhöhen. Geplant ist auch, den Risikostrukturausgleich zu vereinfachen und weiterzuentwickeln.
In der Gesundheitsversorgung soll es ebenfalls wettbewerblicher zugehen: So sollen Krankenkassen und Leistungserbringer stärker als bisher über Umfang, Preise und Qualität verhandeln können, ohne dass dabei der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehöhlt wird.
Darüber hinaus will die künftige Regierung dafür sorgen, dass niemand in Deutschland ohne Krankenversicherungsschutz ist. Ein weiterer relevanter Punkt zur GKV findet sich in einem anderen Kapitel des Koalitionsvertrages: Zu den Maßnahmen, die zur Konsolidierung des Haushalts beitragen sollen, gehört auch, die Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt an die GKV schrittweise auf Null zurückzuführen.
Integrierte Versorgung stärken, Prävention ausbauen
Einig ist man sich zudem, dass der Gesundheitsstandort Deutschland gesichert werden muss. Um die Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie zu verbessern, soll die Arbeit der in der vergangenen Legislaturperiode ins Leben gerufenen "Task Force Pharma" fortgesetzt werden. Diese soll sich damit befassen, wie das deutsche Zulassungssystems verbessert, die klinische Forschung gestärkt und die Biotechnologie gefördert werden kann – stets unter Berücksichtigung der Belange der mittelständischen Industrie. Zügig will man auch den Umbau des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in eine Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur (DAMA) voranbringen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte das rot-grüne Bundeskabinett bereits im April diesen Jahres beschlossen. In diesem ist auch vorgesehen, dass innerhalb der DAMA eine Bundesstelle für Pharmakovigilanz errichtet wird. Der Koalitionsvertrag bestimmt überdies, dass die Risikoerkennung und -bewertung von Arzneimitteln nach deren Markteinführung durch den Ausbau eines Netzes nationaler Pharmakovigilanzzentren verbessert werden soll.
Neues Arzneimittelsparpaket
Zugleich sieht der Koalitionsvertrag aber auch Einschnitte für die Hersteller – und Apotheker – vor. Denn: "Fehlentwicklungen bei der Arzneimittelversorgung müssen korrigiert werden". So soll künftig ausgeschlossen sein, dass Naturalrabatte an Apotheken gewährt werden. Stattdessen sollen die (Generika-) Hersteller diese Rabatte direkt an die GKV abführen und zwar durch eine generelle Preissenkung bei Generika in Höhe von fünf Prozent. Um Preiserhöhungen zu vermeiden, werden die Preise für alle Arzneimittel für zwei Jahre eingefroren. Darüber hinaus will die große Koalition das Festbetragssystem nachjustieren, um die Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Voraussetzung dafür sei, dass genau definiert wird, wann eine echte Innovation in Abgrenzung zu einer Scheininnovation vorliegt. Erstere seien klar erwünscht, um den Standort Deutschland zu stärken. Daher unterliegen sie auch nicht der Festbetragsregelung. Im Vertrag heißt es zudem, dass geprüft werden soll, wie eine Weiterverwendung von nicht verabreichten Arzneimitteln nach dem Tod eines Patienten in einem Hospiz oder Heim ermöglicht werden kann.
Neue Arztvergütung geplant
Einigen konnten sich die Koalitionäre auch auf Reform des ärztlichen Vergütungssystems. Ziel ist, Transparenz zu schaffen und das heutige Punkte-System verstärkt durch Pauschalvergütungen und Einzelvergütungsmöglichkeiten für spezielle Leistungen zu ersetzen. Im Krankenhausbereich sollen die neu eingeführten DRGs überprüft und darauf hingearbeitet werden, dass die strikte Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung überwunden wird. In der Integrierten Versorgung soll die Anschubfinanzierung über das Jahr 2006 hinaus bis zum 1. Januar 2008 verlängert werden. Disease-Management-Programme sollen nach dem Willen der großen Koalition entbürokratisiert werden und künftig auch Multimorbidität berücksichtigen. Dabei soll geprüft werden, ob die gesetzlichen Kassen zu einem einheitlichen Qualitätsstandard verpflichtet werden können, sodass auf Einzelzertifizierungen verzichtet werden kann. Geplant ist zudem die gesetzliche Verankerung von Regelungen zur Verbesserung der Palliativversorgung.
Nicht zuletzt will man beim Präventionsgesetz neu Anlauf nehmen. Die unionsgeführten Bundesländer hatten dem rot-grünen Gesetzentwurf im Sommer ihre Zustimmung versagt. Zu den weiteren Vorhaben gehört auch, die Patientenbeteiligung auszubauen und ein "Leuchtturmprojekt Konzertierte Aktion Demenz-Behandlung" zu starten. Für einen besseren Infektionsschutz will die neue Regierung die gesundheitspolitische Schlüsselstellung des Robert Koch-Instituts ausbauen und institutionell fördern.
Breite Zustimmung auf den Parteitagen
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wird also in der kommenden Legislaturperiode einiges zu tun haben. Merkel und Müntefering warben bei ihren Parteitagen in Berlin und Karlsruhe erfolgreich für den Koalitionsvertrag: Gut 98 Prozent der Delegierten stimmten für die Vereinbarung. Der kleine Parteitag der CSU in München stellte sich sogar geschlossen hinter das Vertragswerk.
Merkel betonte vor der Abstimmung auf dem kleinen CDU-Parteitag, dass es einen "großen Handlungszwang fürs erste Regierungsjahr" gebe, sich mit der SPD auf eine Gesundheits- und Pflegereform zu einigen. Sie verteidigte die Lücken im Vertrag: "Ehe wir irgendwelche Zugeständnisse machen wollten, haben wir uns darauf beschränkt, die anstehenden Aufgaben klar zu formulieren. Bedenkt man, wie lange CDU und CSU gebraucht haben, um sich auf das Prämienmodell zu einigen, konnte man nicht erwarten, dass die Union mit der SPD eine Einigung in vier Wochen erreicht". Der Wahl Merkels zur Bundeskanzlerin steht nun nichts mehr im Wege. Am 22. November ist es soweit. Dann kann man sich in Berlin wieder aufs Regieren besinnen.
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