- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 16/2006
- Die Seite 3
Die Seite 3
Seit die Bundesregierung den Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland zugelassen hat, haben sich Entwicklungen eingeschlichen, die mehr als unerfreulich und mittlerweile nicht mehr tolerierbar sind. Krankenkassen sind dazu übergegangen, ihren Versicherten den Bezug von Arzneimitteln bei ausländischen Versandapotheken zu empfehlen. Dabei geht die "Empfehlung" sogar soweit, dass Versicherte per Brief und mehreren Telefonanrufen von den Kassen bedrängt werden, ihre Rezepte bei den ausländischen Versandapotheken einzureichen. Die Vorteile für den Patienten lägen auf der Hand, so die Kassen: Er spart beim Kauf von Arzneimitteln in der Selbstmedikation, er spart die Zuzahlung oder zahlt nur die Hälfte, er kann an Bonusprogrammen teilnehmen und als Patient bestimmter Krankenkassen, die einen Vertrag mit dem Versender geschlossen haben, erhält er obendrein noch einen Extra-Rabatt. Schöne neue Versandapothekenwelt. Dass die Kasse von den Versendern auch einen Bonus erhält, wird natürlich nicht erwähnt.
Ein Beispiel für dieses dreiste Vorgehen ist die KKH, die mit der niederländischen Europa Apotheek Venlo kooperiert. In der Ausgabe 1/2006 des KKH-Mitgliedermagazins wird den Lesern und KKH-Versicherten der neue Service vorgestellt: portofrei Medikamente über die Europa Apotheek nach Hause schicken lassen. "Versandapotheken können Medikamente günstiger anbieten als die Apotheke in Ihrer Nähe. Nun können auch Sie als KKH-Versicherte® preiswert und bequem Medikamente kaufen" – becirct die Kassen ihre Mitglieder. Anhand eines Fallbeispiels (Diabetikerin und Geschäftsfrau bestellt bequem die Arzneimittel ins Büro) wird das Procedere der Bestellung erklärt: Rezept im Freiumschlag an die Europa Apotheek schicken, nach fünf (!) Werktagen kommt das Päckchen, bei Insulin gekühlt mit Eilservice innerhalb 24 Stunden. Als "besonders beruhigend" für die Patientin erläutert der Beitrag in der KKH-Postille, dass die "Europa Apotheek Venlo alle bestellten Arzneimittel auf mögliche unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen bei der Versandapotheke bestellten Medikamenten überprüft".
Auch der Sozialverband VdK und die schweizerisch-deutsche Zur Rose-Versandapotheke kooperieren, machen die Bestellungen mit 5-Euro-Gutscheinen schmackhaft. Inwieweit der VdK unmittelbar von der Empfehlung profitiert, ist nicht ersichtlich.
Noch dreister als die KKH geht die Gmünder Ersatzkasse GEK vor, die sich gerne vom Arzneimittelexperten Glaeske beraten lässt. Sie bedrängt ihre Versicherten nicht nur durch Briefe, sondern auch durch wiederholte Telefonanrufe, doch endlich die Arzneimittel beim niederländischen Versender DocMorris zu bestellen. Wie in der Plusminus-Sendung am 11. April gezeigt, geht das sogar Patienten zu weit, die sich gegen den Druck von Seiten der Kasse wehren und Telefongespräche schon mal unwirsch abbrechen. Wie das Fernsehmagazin erfahren hat, soll auch an die Kasse bis zu drei Prozent Rabatt fließen: "Für ≠aktive' Krankenkassen bedeutet das eine jährliche Ersparnis im Millionenbereich."
Ganz ungeniert geriert sich auch die AOK Hessen, wie Plusminus zeigte. Sie wendet sich direkt an Versicherte durch Anrufe, Briefe. Einige Versicherte erhalten Hinweise auf spezielle Diabetikerangebote direkt vom Versandhändler! Möglich ist dies nur, weil die AOK Versichertendaten weitergegeben hat.
Diese Szenarien gehen auch dem Verbrauchermagazin Plusminus zu weit: "Die Wahl, entweder zur Apotheke um die Ecke zu gehen oder per Versand zu bestellen, muss ihnen (den Versicherten) bleiben", resümiert die Sendung. Doch für uns erheben sich schon vorher Fragen: Darf eine Krankenkasse eine bestimmte Apotheke überhaupt empfehlen? Darf sie ihre Versicherten durch Anrufe und Briefe bedrängen, Arzneimittel bei einer bestimmten Apotheke zu bestellen? Darf sie mit einer Apotheke kooperieren? Und: Darf sie überhaupt Versichertendaten an bestimmte (Versand-)Apotheken weitergeben?
Für den Landesapothekerverband ist das Maß nun voll. Er verklagte die Gmünder Ersatzkasse. LAV-Geschäftsführerin Ina Hofferberth stellte in der Plusminus-Sendung heraus, dass die GEK mit dem Eingriff in den Wettbewerb nicht nur gegen Gesetz, sondern auch gegen vertragliche Vereinbarungen mit dem Apothekerverband verstoße. Die GEK weist die Patientensteuerung von sich, man wolle nur informieren...
Es wird Zeit, dass Gerichte dieses Treiben unterbinden.
Peter Ditzel
Wenn Krankenkassen Versandapotheken empfehlen
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.