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Fortbildung
Erkrankungen des älteren Menschen
Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung umfasst das "Alter" heute die früher unglaublich lange Zeitspanne von über 25 Jahren, die in mehrere Abschnitte unterteilt wird. Menschen zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr werden als "junge Alte" ("the young olds"), zwischen 70 und 85 als "Alte" ("the old olds") und über 85-Jährige als Hochaltrige ("the very olds") bezeichnet. Eine andere Einteilung unterscheidet nicht nach dem chronologischen Alter, sondern nach dem Grad der Mobilität die "go-goes", von den "slow-goes" und den "no-goes".
Abnahme der Reserven
Vom medizinischen Standpunkt aus ist das Alter nicht per se eine "Zeit der Krankheiten", sondern wird als eine Periode der kontinuierlichen Abnahme der homöostatischen Reserve–kapazität betrachtet. So lässt sich beispielsweise bei jungen Menschen das Herzzeitvolumen unter Belastung auf das 4- bis 5fache steigern, bei Älteren ist die Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit häufig schon bei einfachen Alltagsverrichtungen erreicht.
Zwar nimmt die Krankheitswahrscheinlichkeit mit den Lebensjahren zu – durch Änderung der Lebensumstände kann das Altern jedoch modifiziert werden, das heißt, man steht dem Alterungsprozess nicht absolut machtlos gegenüber.
Geriatrische Versorgung
Die Geriatrie ist eine Fachrichtung der Medizin, die auf die Besonderheiten und die Komplexität der medizinischen Versorgung älterer Menschen spezialisiert ist. Sie strebt eine umfassende, ganzheitliche Versorgung der Patienten an, wozu außer der ärztlichen –Betreuung u. a. auch die Er–nährungsberatung, Pflege und Rehabilitation gehören. Laut Dr. Andreas Fischer, Oberarzt am Evangelischen Geriatriezentrum an der Charité in Berlin, können die Gründe für eine Aufnahme in eine geriatrische Einrichtung sehr vielfältig sein. Meist ist ein Notfall wie z. B. ein akuter Schlaganfall, Herzinfarkt, eine schwere Infektion oder Nierenversagen der Anlass.
Dem "Drehtüreffekt" vorbeugen
Bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme eines Patienten in die Geriatrie beginnt die Vorbereitung auf seine Entlassung. Am Evangelischen Geriatriezentrum in Berlin werden dabei hauptsächlich folgende Maßnahmen durchgeführt:
- Optimierung des Risiko–profils,
- Anpassung der Medikation an das Sinnvolle,
- Ernährungsschulung,
- zahnärztliche Kontrolle,
- pflegerisch-therapeutischer Hausbesuch,
- Klärung der finanziellen, –sozialen und Versorgungs–situation.
Oftmals zeigt sich bei diesen Maßnahmen, an denen Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Physio- und Ergotherapeuten, Neuropsychologen und ggf. auch Logopäden, Diätassistenten und Seelsorger beteiligt sind, dass bereits mit kleinen Veränderungen (z. B. Korrektur einer schlecht sitzenden Zahnprothese) viel erreicht werden kann. Vor allem kommt es darauf an, den "Drehtüreffekt", d. h. die rasche Wiedereinweisung des Patienten nach seiner Entlassung aus der Klinik, zu vermeiden.
Phytopharmaka für ältere Patienten
Phytopharmaka sind bei vielen älteren Menschen beliebt, denn sie gelten als nebenwirkungsarm. Dennoch können auch bei Anwendung dieser Arzneimittel Neben- und Wechselwirkungen auftreten, auf die der Apotheker den Patienten hinweisen muss.
Zwar gibt es laut Prof. Dr. Vol–ker Schulz, Berlin, keine speziellen "geriatrischen Phytopharmaka", doch haben doch Extrakte aus Ginsengwurzel, Knoblauchzwiebel, Weißdornblättern mit Blüten und Ginkgoblättern die größte Bedeutung für ältere Menschen.
Studien zu Ginseng haben belegt, dass seine Anwendung die physische Leistungsfähigkeit, das Allgemeinbefinden und die kognitiven Leistungen bessern kann.
Die Monographie E des ehemaligen BGA empfiehlt
- Ginsengextrakt als Tonikum
- zur Stärkung und Kräftigung
- bei Müdigkeit, Schwächegefühl, nachlassender Leistungsfähigkeit und in der Rekonvaleszenz.
Als Tagesdosis werden 1 bis 2 g der pulverisierten Ginsengwurzel bzw. 200 bis 600 mg des Wurzel–extrakts empfohlen; die Anwendungsdauer sollte auf maximal drei Monate begrenzt werden.
Wirkungseintritt erst nach einigen Wochen
Knoblauchextrakt wird nach der entsprechenden Monographie der Kommission E zur Unterstützung diätetischer Maßnahmen bei erhöhten Blutfettwerten und zur Vorbeugung altersbedingter Gefäßveränderungen empfohlen, wobei die Tages–dosis 4 g frische Zwiebel bzw. 0,6 bis 1,2 g Pulver beträgt. Knoblauch bewirkt eine Aktivierung der endogenen Fibrinolyse, eine Blutdrucksenkung und eine Verminderung der Plasmalipidspiegel. Bei der Beratung sollte der Apotheker den Patienten darauf hinweisen, dass die Wirkung erst nach ein bis zwei Wochen eintritt und dass Knoblauch keinesfalls nebenwirkungs–frei ist – es können Übelkeit, allergische Reaktionen und Hypotonie auftreten.
Für Weißdornblätter mit Blüten existiert eine Positivmonographie zur Anwendung im Stadium II der Herzinsuffizienz nach der Klassifikation der New York Heart Association (NYHA II). Die Wirkung dieses Phytopharmakons wird als relativ schwach eingeschätzt, es sollten daher nur wirkstoffreiche Präparate (300 bis 450 mg wässrig-alkoholischer Extrakt pro Einzeldosis) empfohlen werden. Nach Ansicht von Schulz eignet sich Weißdorn als milde Erhaltungstherapie, z. B. nach Entlassung aus dem Krankenhaus.
Ginkgo – kein erhöhtes Blutungsrisiko
Zu Ginkgoblättern hat die Kommission E eine Positiv–monographie für einen Trockenextrakt ausgearbeitet, der hinsichtlich Extraktionsmittel, Droge-Extrakt-Verhältnis und Inhaltsstoffe eine bestimmte Spezifikation aufweisen muss (entsprechend Eingestellter Ginkgo–trocken–extrakt DAB, s. Kasten). Die wichtigsten Anwendungsgebiete der monographiekonformen Präparate sind
- symptomatische Behandlung aller Demenzformen (degenerativ, vaskulär, Mischformen),
- periphere arterielle Verschlusskrankheit (PVAK),
- Schwindel und Tinnitus vaskulärer oder involutiver Genese.
Wichtig ist auch hier, den Patien–ten darauf hinzuweisen, dass ein Wirkungseintritt erst nach etwa vier Wochen erfolgt. Vor einiger Zeit war der Verdacht aufgetreten, dass die im Ginkgoextrakt enthaltenen Ginkgolide infolge Hemmung des plättchenaktivierenden Faktors das Blutungsrisiko erhöhen. Die Daten aus einer Metaanalyse von zwölf Studien sprechen jedoch gegen einen Kausal–zusammenhang.
Maßnahmen gegen Mangelernährung
Geriatrische Patienten sind häufig mangelernährt, z. B. wegen nachlassendem Appetit, einer schlecht sitzenden Zahnprothese oder psychischen Faktoren. Wie Dr. Ralf-Joachim Schulz erläuterte, können Pa–tienten, denen das Schlucken keine Probleme bereitet, zur –Sicherung einer bedarfsdeckenden Ernährung zusätzlich eine orale Trinknahrung nehmen. Reicht dies nicht aus oder ist die Schluckfunktion gestört, ist die Ernährung über eine Sonde erforderlich. Zur Berechnung des Energiebedarfs ist am gebräuchlichsten die "Faust–formel": 25 kcal pro kg Körpergewicht pro Tag. Bettlägerige Patienten sollten 1500 bis 1700 kcal pro Tag aufnehmen.
Bei der Verordnungsfähigkeit von Aminosäurenmischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrung (enterale Ernährung) ist die am 1. Oktober 2005 in Kraft getretene Änderung der Arzneimittel-Richtlinien zu beachten. Darin ist festgelegt, in welchen Fällen die genannten Produktgruppen zu Lasten der GKV verordnet werden können. Entgegen einigen anders lautenden Berichten ist hier das medizinisch dringend Notwendige weiterhin verordnungsfähig.
Parenterale Ernährung selten indiziert
Nach der aktuellen Studienlage gibt es nur eine begrenzte Zahl von Indikationen, bei denen die parenterale Ernährung einen Vorteil gegenüber der enteralen bietet. Dazu zählen ein akutes Abdomen, eine frische Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt, ein Kurzdarmsyndrom mit Mal–assimilation sowie eine aus verschiedenen Gründen nicht bedarfsdeckende Nahrungsaufnahme innerhalb von drei Tagen.
So sinnvoll und unproblematisch eine ausschließlich parenterale Ernährung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, so kann sie doch mit zahlreichen Komplikationen verbunden sein, z. B. hepatischen oder biliären Dysfunktionen.
Das Hauptproblem der ausschließlich parenteralen Ernährung liegt in einer fortschreitenden Atrophie der Dünndarmzotten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, im Anschluss an eine parenterale Ernährung die Darmschleimhaut langsam wieder aufzubauen, am besten nach einem speziell dafür entwickelten Stufenschema.
Deckung des Calciumbedarfs
In Deutschland leiden schätzungsweise zwischen 6 und 8 Millionen Menschen an Osteoporose – etwa jede vierte Frau ab 50 und jeder dritte Mann ab 70 Jahren. Bekanntermaßen kann durch eine calciumreiche Ernährung ein wichtiger Beitrag zur Prävention geleistet werden. Neuere Studien zeigen jedoch, dass eine Aufnahme von mehr als 1000 mg Calcium (in der Schwangerschaft 1200 mg) pro Tag nicht notwendig ist. Dies hat sich inzwischen auch in den aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung niedergeschlagen. Die empfohlene tägliche Calciumaufnahme kann bereits durch eine relativ geringe Menge Milch oder Milchprodukte erreicht werden. Nach Aussage von Diätberaterin Maja Döring reichen bereits 250 ml Milch und zwei Scheiben Käse ą 30 g zur Deckung des täglichen Calciumbedarfs aus.
Dennoch sind viele Menschen bei einer solchen Ernährung unterversorgt, weil verschiedene Faktoren die Calcium–resorption und -ausscheidung negativ beeinflussen können. So verhindern beispielsweise Oxalate und Phytate in Gemüsen die Calcium–resorption. Eine eiweißreiche Ernährung erhöht den Phosphatgehalt im Blut und behindert ebenfalls die Resorption. Zu beachten sind auch "Calcium–räuber" wie Kochsalz, Alkohol und Coffein.
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