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Trügerische Sicherheit – Braunbär Bruno und die Masern (Außensicht)
Die in Nordrhein-Westfalen grassierende Masernepidemie greift jetzt offenbar auch auf andere Bundesländer über. Immer neue Masernfälle werden bei Kindern gemeldet, die meist überhaupt nicht oder nur unzureichend geimpft waren. Während Fachverbände und Impfexperten auf die möglichen schwerwiegenden Erkrankungsfolgen (Masernenzephalitis) hinweisen, und führende Ärzte- und Wissenschaftsverbände jetzt sogar eine Zwangsimpfung fordern, werden die Risiken von den Impfgegnern heruntergespielt und die Warnungen von Eltern ignoriert. Manche organisieren sogar lustige "Masernparties", bei denen man sein Kind absichtlich in Kontakt mit einem infizierten Spielkameraden bringt. Was der Vogelgrippe als exotisch neuer Krankheitsgefahr bei den Medien gelungen ist, will den Masern als eher hausbackener Kinderkrankheit irgendwie nicht gelingen: Aufmerksamkeit zu erregen.
Und nun hatte auch noch Braunbär Bruno seinen großen Auftritt. Das bei Bärenexperten als "JJ1" bekannte Exemplar ist mittlerweile zum Medienstar avanciert. Internationale Printmedien, ja sogar die renommierte "New York Times", berichteten über den zwischen Oberbayern und Tirol streunenden und seine Verfolger narrenden Italo-Bären, an dessen Fersen sich sowohl Hobbyfotografen als auch zahlreiche Fernsehteams geheftet hatten.
Und die Bärenexperten? Es ist wie bei den Masern: Die einen warnten vor Bruno, stuften ihn als verhaltensgestört und deshalb höchst gefährlich ein und rieten (wie auch die verantwortlichen Politiker) zum Abschuss (was nun auch geschehen ist). Andere behaupteten das Gegenteil und wollten ihn schützen.
Geteilte Meinung auch bei den unmittelbar Betroffenen. Für die einen war er ein "Problembär", weil er ihre Bienenstöcke plünderte und Schafe riss, für andere der "Schlaubär", der mal hier mal dort unerwartet auftauchte und den Fremdenverkehr ankurbelte. Aber auch von den überhaupt nicht Betroffenen im Land hat jeder seine eigene Meinung über Bruno. Im Internet wurden bereits Solidaritäts-T-Shirts angeboten und man konnte Wetten abgeben, ob er erwischt wird oder nicht. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung war jedenfalls der Meinung, dass der Bär nicht gefährlich sei und verschont werden sollte.
Soweit so gut. Aber was hat nun Braunbär Jonas mit den Masern gemeinsam? Es ist dies die trügerische Sicherheit, in der wir uns beiden gegenüber wähnen. Bären und Masern bergen heute die gleichen Gefahren, wie sie bestanden, als es bei uns noch Bären in den Wäldern gab und die Infektionskrankheiten unser Leben gefährdeten. Da es die Bären aber nicht mehr und die Masern kaum noch gibt, haben wir keinen Bezug mehr zu ihnen, sie sind aus unserem Leben verschwunden. Und Risiken, über die man nicht mehr nachzudenken, die man nicht mehr einzukalkulieren braucht, sind nicht existent, bis sie dann eines Tages doch wieder da sind. Aber so ist der Mensch nun mal: Er gewöhnt sich leichter an Gefahren und kann besser mit ihnen umgehen, zu denen er einen persönlichen Kontakt bekommen hat, als an solche, die unsichtbar bleiben.
Nachdem es in der Vergangenheit gelungen war, viele große Bedrohungen zu verringern oder gänzlich zu beseitigen, haben wir den Bezug zu ihnen verloren. Wir sind an Sicherheit so sehr gewöhnt, dass wir diesen Zustand als selbstverständlich erachten. Und vergessen dabei, dass Sicherheit nicht etwas ist, was man einmal erreicht hat und dann ein für allemal besitzt, sondern etwas, um das man sich immer wieder aufs Neue bemühen muss.
Das Problem mit Bruno ist nicht, dass er ein Bär ist, sondern dass er plötzlich in unserer Natur wieder auftritt, in der er seit weit über hundert Jahren nicht mehr vorkam und als potenzielle Gefahr von uns nicht mehr wahrgenommen wurde. Nun müssen wir mit seinem erneuten Auftreten erkennen, dass die Bärengefahr (wenn sie denn eine ist) wieder existiert. Das eigentliche Problem der Masern ist, dass sie – wie andere Infektionskrankheiten auch – bei uns im täglichen Leben kaum noch vorkommen, dank der Schutzimfungen. Als in den 60er Jahren die Polio-Schluckimpfungen durchgeführt wurden, brauchte man die Notwendigkeit für diese Maßnahme kaum jemandem klar zu machen: Die Opfer dieser schrecklichen Krankheit waren an Krücken oder im Rollstuhl täglich zu sehen. Die heutige "Impfmüdigkeit" hängt also vor allem damit zusammen, dass es schwer ist, jemandem klar zu machen, sich gegen etwas zu schützen, was er als Gefahr nicht erkennen kann.
Vergessen wir also nicht, was Shakespeare uns im Macbeth sagt, dass nämlich Sicherheit schon immer des Menschen ärgster Feind war.
Klaus Heilmann
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