Arzneimittel und Therapie

Off-label-Einsatz von Bevacizumab

Die Sehkraft erhalten, aber mit welchem VEGF-Inhibitor?

Patienten, die an einer exsudativen altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) leiden, können von einer Therapie mit dem soeben eingeführten VEGF-Antikörper Ranibizumab (Lucentis®) profitieren. Bis dahin wurde neben dem ebenfalls für diese Indikation zugelassenen VEGF-Antikörper Pegaptanib (Macugen®) auch aus Kostengründen mit Bevacizumab (Avastin®) ein weiterer VEGF-Antikörper off label eingesetzt. Doch welcher Antikörper ist am besten geeignet?

Einer Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft zu aktuellen therapeutischen Möglichkeiten bei der neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration vom Mai 2006 zufolge ist Bevacizumab eine kostengünstige Off-label-Therapiealternative für die Patienten, für die nach bisherigen Studienergebnissen noch keine Behandlungsoption zu Lasten der GKV zur Verfügung steht oder die auf zugelassene Verfahren nicht ausreichend ansprechen.

Bevacizumab richtet sich wie Ranibizumab gegen alle Subtypen des humanen vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors A (VEGF-A). Bei beiden Wirkstoffen handelt es sich um ein humanisiertes Antikörperfragment, das aus demselben monoklonalen Mausantikörper entwickelt wurde. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Bevacizumab wie ein natürlicher Antikörper über zwei Bindungsarme verfügt, Ranibizumab dagegen ein Antikörperfragment mit nur einem Bindungsarm ist. Pegaptanib soll dagegen gezielter in das pathogenetische Geschehen eingreifen, da es sich gegen die Isoform 165 des Wachstumsfaktors VEGF richtet, der hauptverantwortlich für die Entstehung der pathologischen Gefäßneubildungen bei der exsudativen AMD sein soll.

Wir haben mit Prof. Dr. Johann Roider, dem Direktor der Universitäts-Augenklinik in Kiel über die Folgen gesprochen, die sich aus der Neueinführung von Lucentis® für die Behandlung der feuchten AMD ergeben.

DAZ

Herr Prof. Dr. Roider, bislang wurden die Kosten für eine Anti-VEGF-Therapie nicht von vornherein von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Wird sich das mit der Einführung von Lucentis® ändern und erübrigt sich damit der Off-label-Einsatz von Bevacizumab?

Roider: Nach wie vor ist die Situation auch nach der Zulassung von Lucentis® unklar, was die Kostenerstattung betrifft. In der Regel werden Einzelanträge gestellt, die die Kassen individuell prüfen, jedoch ist auch hierbei das Problem, dass es zurzeit noch keine klaren Richtlinien über die Applikationshäufigkeit und die Re-Injektionshäufigkeit gibt. Der Off-label-Einsatz von Bevacizumab wird zum Teil beeinflusst werden. Jedoch ist zu erwarten, dass auch nach wie vor Bevacizumab off label in der Augenheilkunde verwendet wird, da es viele Indikationen gibt, bei denen es auch für Ranibizumab keine Daten gibt, beispielsweise bei einem Makulaödem nach einer Zentralvenenthrombose.

DAZ

Vor kurzem wurde über ein erhöhtes Schlaganfallrisiko unter Ranibizumab berichtet. Welche Konsequenzen hat das für die Therapie mit VEGF-Inhibitoren?

Roider: Es ist richtig, dass ein erhöhtes Schlaganfallrisiko in der Therapiegruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe zu finden war. Jedoch war das Schlaganfallrisiko in der Therapiegruppe insgesamt genau so hoch wie in Vergleichskollektiven der Normalbevölkerung. Aus diesem Grunde scheint das Risiko eines Schlaganfalls eher statistischer Natur zu sein.

Generell ist das Risiko eines Schlaganfalls auch bei Bevacizumab nicht auszuschließen. Bei Anwendungen von Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie bei anderen Pathologien, wie bei der Therapie von Metastasen bei Kolonkarzinomen, sind auch zerebrovaskuläre Komplikationen berichtet worden (z. B. Verdoppelung des Risikos) im Vergleich zur Kontrollgruppe. In der Augenheilkunde sind bisher keine Fälle berichtet worden.

DAZ

Neben Ranibizumab und Bevacizumab gibt es ja noch Pegaptanib, das spezifischer wirken soll. Ist eine Pegaptanib-Behandlung – auch vor dem Hintergrund potenzieller Nebenwirkungen – Ranibizumab und Bevacizumab, vorzuziehen?

Roider: Auch wenn es keine Head-zu-Head-Studie Pegaptanib versus Ranibizumab oder Pegaptanib versus Bevacizumab gibt, so scheinen die Erfolge von Pegaptanib moderat zu sein. Aus diesem Grunde ist allgemeine Überzeugung der Ophthalmologen, dass Bevacizumab oder Ranibizumab effektiver sind als Pegaptanib.

DAZ

Herr Professor Roider, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl.
Bevacizumab (Avastin®) ist zur First-line-Behandlung bei metastasiertem Kolon- und Rektumkarzinom zugelassen und steht in Durchstechflaschen in Konzentrationen von 400 mg/16 ml oder 100 mg/4 ml zur Verfügung. Für die Off-label-Behandlung der exsudativen AMD sind Dosierungen zwischen 1 und 1,5 mg pro Injektion erforderlich, in der Regel werden 0,1 ml des im Handel erhältlichen Konzentrats verwendet. Bei der intravitrealen Injektion muss jede Kontamination vermieden werden, um das Augenlicht des Patienten nicht zu gefährden. Wird Bevacizumab eingesetzt, muss der Augenarzt die notwendige Menge entweder einmalig aus der 4-ml-Durchstechflasche direkt entnehmen und den Rest sofort verwerfen oder er muss auf eine Zubereitung zurückgreifen, die in Apotheken oder Krankenhausapotheken aus den im Handel erhältlichen Konzentraten unter hochsterilen Bedingungen hergestellt worden ist. Da das Konzentrat nicht konserviert ist, darf zwischen Herstellung und Anwendung nur ein kurzer Zeitraum liegen. Die Lösung muss nach Auskunft von mit der Herstellung befassten Krankenhausapothekern innerhalb von acht Stunden angewendet werden. Je nach Vorgehen fallen unterschiedliche Kosten an. Während die 4-ml-Durchstechflasche Avastin® etwa 400 Euro kostet, können die durch Apotheken hergestellten Lösungen bei Bündelung der Rezepturen günstiger sein. Der Preis liegt unter Berücksichtigung des Aufwands der aseptischen Herstellung und der fehlenden Möglichkeit der Mehrfachentnahme entgegen der Darstellung in DAZ Nr. 6, S. 38 (2007) im günstigsten Fall zwischen 40 und 80 Euro pro Injektion. Im Vergleich dazu kostet eine Injektion von Ranibizumab (0,5 mg/0,3 ml) etwa 1500 Euro, eine Pegaptanib-Injektion etwa 800 Euro.
Von den Krankenkassen darf die Off-label-Behandlung der feuchten AMD mit Bevacizumab nach Aussage von Rechtsanwalt Reinhold Preißler, Fachanwalt für Medizinrecht aus Nürnberg, nicht mehr erstattet werden. Er begründete dies in der SWR-Sendung Odysso am 1. März 2007 mit einem Urteil des Bundessozialgerichts. Danach ist eine Off-label-Behandlung nur zulässig, wenn
  • es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt,
  • kein zugelassenes Medikament zur Verfügung steht und
  • unter Ärzten Konsens über die Wirksamkeit besteht.
Diese Bedingungen waren nach Aussage Preißlers bis zur Zulassung von Lucentis® erfüllt. Mit der Zulassung von Lucentis® sei das nicht mehr der Fall, so dass nach der bisherigen Rechtsprechung eine Avastin® -Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht erlaubt sei. Die Kosten, die bei einer Behandlung mit Lucentis® pro Jahr in Deutschland anfallen, wurden in der Sendung auf bis zu sieben Milliarden Euro beziffert, für eine Avastin® -Behandlung auf 200.000 Millionen Euro. Für Prof. Dr. Gerd Glaeske, Mitglied im Sachverständigenrat für Gesundheitsfragen, ist das angesichts leerer Kassen ein Skandal. Er spricht von einer Plünderung der Gesetzlichen Krankenversicherung und fordert mehr Macht für die GKV. Es sei höchste Zeit, dass die gesetzlichen Krankenversicherung in Verhandlungen mit den pharmazeutischen Herstellern eintreten könne, möglicherweise sogar Sanktionen verhängen oder zum Boykott aufrufen könne.

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