Meinung
Entschieden spricht sich die pharmazeutische Chemikerin Frau Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe gegen die Wiederabgabe von Arzneimitteln aus, wie sie der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung vorsieht:
Nun ist das Sparen an einen Punkt gekommen, an dem auch ein Wissenschaftler, der keine pekuniären Interessen hat, nicht mehr still halten kann. Vor drei Jahren hatte Herr Lauterbach schon einmal ausgerechnet, wie viel Geld man sparen könnte, wenn man Arzneimittel wieder verwendet. Und genau dies ist nun mit dem neuen Rahmenvertrag nach § 129 SGB V, der zwar noch nicht unterschrieben, aber seit dem 1. April 2007 gültig ist, Wirklichkeit geworden. Da heißt es nun: "Verschreibungspflichtige Arzneimittel, die an eine Apotheke zurückgegeben werden, dürfen zu Lasten einer Krankenkasse abgegeben und abgerechnet werden (Wiederabgabe), wenn
• die Chargenbezeichnung von Inhalt und Verpackung identisch sind und
• die ordnungsgemäße Qualität des Arzneimittels im Sinne § 12 Apothekenbetriebsordnung im Einzelfall geprüft und das Fertigarzneimittel unversehrt und vollständig ist."
Und schaut man in §12 der Apothekenbetriebsordnung nach, so findet man, dass "Fertigarzneimittel, die nicht in der Apotheke hergestellt worden sind, stichprobenweise zu prüfen sind. Dabei darf von einer über die Sinnesprüfung hinausgehenden Prüfung abgesehen werden, wenn sich keine Anhaltspunkte ergeben haben, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Qualität des Arzneimittels begründen."
Die "International Conference on Harmonization" (
www.ich.org) schreibt in der Richtlinie Q1A (2R) die Stabilitätstestung neuer Arzneimittel für die Klimazonen I und II (für Europa, USA und Japan) vor, wenn in diesen Erdteilen eine Zulassung angestrebt wird. Hier wird die Stabilität eines Arzneimittels bei 25 bzw. 30 °C bei verschiedenen Restfeuchten untersucht und je nach Ergebnis vorgeschrieben, bei welcher Temperatur ein Arzneimittel zu lagern ist. Die Apotheken sind verpflichtet, die vorgegebenen Lagerbedingungen einzuhalten. Details dazu habe ich bereits 2004 beschrieben (U. Holzgrabe, "Wie stabil sind Arzneimittel?" Pharm. Ztg. 149, 2190-2193).
Meine Arbeitsgruppe befasst sich täglich mit der Analytik von Arzneistoffen und damit deren Qualitätssicherung im Hinblick auf neue Arzneibuchmethoden. Wir setzen modernste HPLC-, CE- oder auch NMR-Methoden und Geräte ein, um Verunreinigungen von Arzneistoffen, die aus der Herstellung stammen und bei der Lagerung entstehen, identifizieren und quantifizieren zu können. Ich frage mich nun, wie der Apotheker die Qualität eines Arzneimittels, das in die Apotheke zurückgebracht wird, überprüfen soll, denn eine einfache Sinnesprüfung ist auf Grund der Verblisterung kaum möglich und wäre auch nicht ausreichend. Aus meiner Sicht ist auch eine stichprobenweise Überprüfung (siehe § 12) nicht ausreichend, da im Normalfall keine Angaben über die Lagerung vorliegen. Konkret gesagt: Der Apotheker weiß nicht, ob das Arzneimittel bei der richtigen Temperatur und Feuchte gelagert wurde, muss aber in Betracht ziehen, dass die Arzneimittel in Küche oder Badezimmer untergebracht wurden. Aber auch eine Lagerung an einem trockeneren Ort bedeutet heute in Deutschland, dass die Obergrenze von 30 °C über längere Zeit überschritten worden ist und damit die Zersetzung eines Arzneimittels forciert wurde (siehe Arrhenius-Gleichung), d.h,. das Verfallsdatum deutlich kürzer ist als auf der Packung angegeben.
Hat man das alles bedacht, als man sich für die Wiederabgabe von Arzneimitteln entschieden hat? Nur um Geld zu sparen, werden nun alle Regeln einer bisher qualitativ sehr guten Arzneimittelversorgung in diesem Land über Bord geworfen. Ich persönlich möchte mit einem solchen Arzneimittel nicht beliefert werden!
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
(Vorsitzende des Ausschusses Pharmazeutische Chemie am BfArM, Mitglied der Deutschen und Europäischen Arzneibuchkommission, Vorsitzende der Expertengruppe 10D am EDQ in Straßburg, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des BfArMs)
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