Deutscher Apothekertag 2007

Arbeitskreis 2

"Verbraucherschutz braucht Sicherheit"

Viele drängende Fragen über die Zukunft des deutschen Apothekenwesens wurden im zweiten Arbeitskreis diskutiert. Nachdem im ersten Arbeitskreis die zu leistende pharmazeutische Arbeit beschrieben wurde, standen die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Arbeit im Mittelpunkt des zweiten Arbeitskreises. So ging es unter dem Titel "Verbraucherschutz braucht Sicherheit" insbesondere um die Organisation der Arzneimittelversorgung, die Folgen des Versandhandels und die Diskussion über das Fremdbesitzverbot.

Auf dem Podium diskutierten:

Dr. Stefan Etgeton, Gesundheitsreferent der Verbraucherzentrale Bundesverband,

Ministerialrat Walter Frie, Leiter des Referates Pharmazie, Arzneimittel und Apothekenwesen im nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales,

Monika Koch, Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbandes und Mitglied des geschäftsführenden ABDA-Vorstandes, und

Prof. Dr. Christian Starck, Emeritus für öffentliches Recht an der Universität Göttingen.

Der Moderator Lutz Tisch, ABDA-Geschäftsführer für Apotheken- und Arzneimittelrecht und Berufsrecht, fragte, ob das Arzneimittel als Ware besonderer Art und der Apotheker als notwendiger Vermittler Wahrheit, Fiktion oder Illusion seien.

Koch erläuterte dazu, was Verbraucherschutz aus der Perspektive des Apothekenalltags praktisch bedeutet. Sie verwies auf Mühen zur Sicherstellung der Compliance und die Probleme beim Teilen fester Arzneiformen. Angesichts der schwierigen Umsetzung der Rabattverträge sei ein finanzieller Ausgleich für die betriebswirtschaftlichen Belastungen durch besonders mühsame Beratungen zu fordern. Am Beispiel Sachsen werde zudem gut erkennbar, wie sich der demografische Wandel künftig auch in anderen Bundesländern auswirken werde. Sehen, Hören und Verstehen seien die Herausforderungen. Etgeton bestätigte, wie wichtig eine qualifizierte und wohnortnahe Arzneimittelversorgung mit kurzen Wegen besonders für Ältere sei. Sicherheit sei ein wesentlicher Teil des Verbraucherschutzes, und auch Versandhandelskunden bräuchten Sicherheit. Es sollte daher nicht vorrangig über Vertriebswege, sondern allgemein über Sicherheitsanforderungen diskutiert werden. Zudem sei zu fragen, ob die Apotheker das Ethos leben, auf das sie sich ordnungspolitisch berufen. Den Schutzfunktionen für Apotheken stehe das Erscheinungsbild einiger Apotheken gegenüber, die an Drogeriemärkte erinnern würden.

Bald konzentrierte sich die Diskussion auf die Folgen des Arzneimittelversandhandels für die künftige Gestaltung von Abgabestellen. Starck erinnerte an die Intention des Gesetzgebers, den Apothekern eine Ausweitung ihrer Tätigkeit auf den Versand zu gestatten. Doch sei der Versuch, diese Tätigkeit näher zu regeln, durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster über Abgabestellen in Drogeriemärkten aufgeweicht worden. Dies sei ein "schlimmes Urteil", das den Versand heranziehe, ohne seinen Kontext zu interpretieren. Einerseits werde in dem Urteil erklärt, es komme nicht auf die Zahl der Versandetappen an, während andererseits auf die Gefährlichkeit des Versandes hingewiesen werde. Auch der Europäische Gerichtshof hätte die möglichen Probleme des Arzneimittelversandes erkannt und daher schon 2003 den Mitgliedstaaten erlaubt, den Versand mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten. Nach Einschätzung von Starck ist ein solches Verbot nicht nur zulässig, sondern aufgrund des deutschen Verfassungsrechts sogar dringend geboten. Dies ergebe sich als Konsequenz aus zahlreichen Urteilen über staatliche Schutzpflichten in anderen Lebensbereichen. Die Europäische Union habe sich dagegen aufgrund des EG-Vertrages in den Gesundheitsschutz nicht einzumischen, weil dieser in die nationale Zuständigkeit falle.

Frie verwies auf die nordrhein-westfälische Bundesratsinitiative, mit der ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel erreicht werden soll. Etgeton fragte dagegen, warum gerade der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel verboten werden soll, während bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sogar ein größerer proaktiver Beratungsbedarf bestehe. Gerade bei letzteren sei vor der Abgabe zu klären, ob sie überhaupt geeignet sind. Frie bestritt, dass der Beratungsbedarf in der Selbstmedikation größer als bei verordneten Arzneimitteln sei, weil Ärzte wenig Zeit für die Beratung hätten. Außerdem sollte den Menschen der besondere Stellenwert verschreibungspflichtiger Arzneimittel verdeutlicht werden, und die Apotheken vor Ort sollten nicht als Notnagel für den Fall von Verzögerungen beim Versandhandel herhalten müssen. Etgeton erklärte, Deutsche könnten im Falle eines Versandhandelsverbots bei ausländischen Versendern kaufen, sodass ein Verbot letztlich den deutschen Versendern schade. Dagegen meinte Starck, dass der Gesetzgeber den Krankenversicherungen, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind, Verträge mit ausländischen Versendern verbieten könne.

Koch bestätigte den großen Beratungsbedarf bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Zugleich seien unproblematische Fälle nötig, um langwierige Beratungen auszugleichen. Zudem konstatierte sie: "Unsere Kunden mögen uns." Chroniker würden trotz des Drucks der Krankenkassen in die Apotheken vor Ort kommen. Dagegen mahnte Frie zur Vorsicht, weil durch Zuzahlungsverzicht sehr viele Patienten zu anderen Abgabestellen gelenkt werden könnten. Es seien aber die Apotheken und nicht die dm-Märkte mit der Sicherstellung beauftragt. "Für uns gehören immer noch Patient, Apotheke und Arzneimittel zusammen", erklärte Frie.

Beschränkungen für Abgabestellen

Nach Einschätzung von Etgeton wird nun der 2003 verlorene Kampf gegen den Versandhandel wieder aufgenommen. Er sei kein Vasall der Versandhändler, ihm gehe es darum, die Pluralität der Vertriebswege zu sichern. Zudem öffne der Versand für einige Härtefälle ein Ventil zur Kosteneinsparung, auch wenn dies ordnungspolitisch wegen der Inländerdiskriminierung problematisch sei. Allerdings sei es interessant zu klären, welche Leistungen der Versand prinzipiell nicht bieten könne.

Tisch wollte dagegen gerade den Eindruck vermeiden, erneut gegen den Versandhandel zu kämpfen. Es gehe nicht um den Versandhandel an sich, sondern um seine automatischen Folgen. Dabei sei zu beachten, dass zur Arzneimittelsicherheit die Produktsicherheit und die Sicherheit des Systems gehören. Ausgehend vom Urteil zur Abgabe in Drogeriemärkten, das sich auf das Recht zum Versandhandel stützt, würden die Beliebigkeit der Abgabestellen und weitere Risiken für das System drohen. Das Versandhandelsverbot sei nur ein Mittel mit dem Zweck, beliebige Abgabestellen zu verhindern. Wenn es andere verfassungsrechtlich belastbare Mittel für diesen Zweck gebe, könne auch darüber gesprochen werden. Dazu schlug Etgeton administrierte Qualitätsanforderungen vor, die Starck wegen des bürokratischen Aufwandes kritisierte. Eine inhaltliche Diskussion über die Gestaltung möglicher Hürden für den Versandhandel zur Beschränkung der Abgabestellen fand nicht statt.

Für die Abschaffung des Versandhandels würden allerdings seine weiteren unerwünschten Konsequenzen sprechen. So wies Frie auf die Höchstpreisdiskussion hin, die sich aus dem Wettbewerb mit ausländischen Anbietern ergibt. Er wolle keine Höchstpreise und die damit einhergehenden Versorgungsprobleme, weil dann die Gesellschaft bezahlen müsse, was Einzelne sparen.

Sorgen über Fremdbesitz

Als weiteres ordnungspolitisches Problem wurde der Rechtsstreit über den Fremdbesitz wegen des Betriebs einer DocMorris-Apotheke im Saarland angesprochen. Tisch sieht viele Apotheker verunsichert. Manche würden über Dachmarken, intensives Marketing und andere Maßnahmen nachdenken, die sie vorher nicht erwogen hätten. So würden Elemente der heilberuflichen Apotheke aufgegeben. Daher sei zu fragen, ob die Gegner des Systems von außen oder aus dem Kreis der Apotheker selbst kämen. Koch meinte, die meisten Kollegen seien sich nicht bewusst, was es bedeute, die Eigenverantwortung aufzugeben. Arbeiten in der Kette sei das Umsetzen von Beschlüssen. Das hätten die "kettenerfahrenen Ossis" schon "unter sozialistischer Leitung" erlebt, sagte Koch aufgrund eigener Erfahrungen. Mit Blick auf den Energiemarkt betrachtet auch Etgeton die Bildung von Ketten als problematisch für die Verbraucher, dem stehe aber die Markenbildung als positiver Aspekt gegenüber. Große Anbieter würden sehr auf die Qualität in allen ihren Filialen achten, weil ihre Reputation flächendeckend auf dem Spiel steht.

Kein Handlungsbedarf

Tisch verwies auf die klare Positionierung der Bundesregierung gegen den Fremdbesitz in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. Damit entfalle für mindestens eineinhalb Jahre jeglicher Handlungsbedarf. Starck ist auch hinsichtlich des Urteils selbst optimistisch für die Apothekerposition. Denn die geforderte Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen gehe ins Leere, weil eine Apotheke von einem approbierten Apotheker geführt werden muss. Für den gebe es aber kein gesellschaftsrechtliches Pendant, weil eine Approbation nur von natürlichen Personen erworben werden kann. Sollten dennoch Ketten zugelassen werden, würde es zur horizontalen und vertikalen Konzentration kommen. Berufsgerichtsbarkeit und Selbstverwaltung würden illusorisch, weil die Manager nicht für Pflichtverletzungen im Apothekenbetrieb zu belangen wären.

Obwohl derzeit in dieser Frage nichts zu unternehmen sei, gebe es "Bauernfänger", die Niederlassungsbeschränkungen oder eine kassenapothekerliche Vereinigung empfehlen würden, erklärte Tisch. Damit solle angeblich eine "weiche Landung" der Apotheker nach einem negativen Urteil ermöglicht werden. Starck erteilte solchen Ideen eine klare Abfuhr. Denn die Berufsfreiheit beinhalte die Niederlassungsfreiheit. Eine objektive Einschränkung dieser Freiheit sei eine enorme Beschränkung und verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, um den Fremdbesitz zu ermöglichen, sei daher absurd und zudem praktisch undurchführbar, weil Apotheker dann enteignet werden müssten. Vielmehr sei zu fragen, warum die EU nicht gegen Staaten vorgeht, die keine Niederlassungsfreiheit haben. Auch Zulassungsbeschränkungen für Apotheken im Sinne einer Kassenzulassung gab Starck keine Aussicht auf Erfolg. Denn das Verfassungsgericht habe eine solche Beschränkung bei Ärzten als Instrument der Ausgabenkontrolle zugelassen, weil zusätzliche Ärzte zu weiteren Verordnungen und damit zu weiteren Ausgaben führen. Da dieser Zusammenhang für Apotheken nicht gelte, sei eine solche Beschränkung nicht zu rechtfertigen.

Apotheker als Verbraucherschützer

Zum Abschluss der Podiumsdiskussion meinte Koch, der größte Fehler sei, sich selbst aufzugeben. Frie formulierte allgemeine Überlegungen zur Funktion der Apotheken, die über die bisher angesprochenen Themen hinausgingen. Seines Erachtens ruht die Apotheke auf drei Säulen: erstens Herstellung und Prüfung, zweitens Distribution und drittens Information und Beratung. Die Distribution werde "traumhaft gut" erfüllt, die Herstellung und Prüfung seien den Apothekern sehr wichtig, obwohl sie unrentabel sind. Sie seien aber nötig, solange die Säule der Information und Beratung noch nicht genug trage – weiter diskutiert wurde diese Bemerkung nicht. Frie appellierte an die Apotheker, sich für den Verbraucherschutz einzusetzen. Die Patienten würden die Apotheker nicht irgendwo, sondern in der Apotheke sichtbar brauchen.

Versand: viele weitere Probleme

Nach dem Öffnen der Diskussion für das Plenum wurden weitere problematische Aspekte des Versandhandels angesprochen. So betrachte besonders die internationale Pharmaindustrie das Internet als Haupteinfallstor für Arzneimittelfälschungen. Außerdem könne die Seriosität der Anbieter im Internet nicht erkannt werden und Haftungsansprüche bei mangelhaften Lieferungen seien im Ausland nur sehr schwer durchsetzbar. Die Anwendung von Geräten und Applikationshilfen könne telefonisch nicht erklärt werden. Hans-Günter Friese, Präsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, verwies auf die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation für die Arzneimittelversorgung. Diese müsse sicher und flächendeckend und solle preisgünstig sein. Dies würden die niedergelassenen Apotheken erfüllen. Etgeton meinte jedoch, es sei nach vier Jahren noch nicht abzusehen, dass der Versand dies nicht leiste. Seines Erachtens sollte den Verbrauchern klar sein, dass Viagra im Internet nicht legal ohne Rezept bestellt werden könne.

Als Resümee des Arbeitskreises aus der Apothekenperspektive sieht Tisch derzeit zwei wesentliche berufspolitische "Baustellen":

Beim Fremdbesitz bestehe kein Handlungsbedarf.

Der Versandhandel und seine Konsequenzen seien das wesentliche Thema, um das sich die Apotheker kümmern müssten.

tmb

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