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- DAZ 10/2009
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Feuilleton
Aus Luthers Alltagsleben
Nachdem ihre verstorbenen Söhne hinausgetragen worden waren, räumte die Mutter hastig die Krankenstube aus. Nicht nur die persönliche Habe der Toten, sondern auch Kleider, Kupferapplikationen, Leibriemen, Gürtel, Münzen und andere Gegenstände aus deren unmittelbarer Nähe verbrannte sie im Hof. Aus einem zeitgenössischen Bericht wusste man, dass 1505 zwei Brüder Martin Luthers dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen sein sollen. Verkohlte Relikte von Gegenständen, die Archäologen vor wenigen Jahren aus einer Abfallgrube im Hof des Mansfelder Luther-Hauses zutage förderten, bestätigen nun die Schilderungen des Chronisten.
Zeugnisse gehobenen Lebensstandards
Auch die Lutherstätten in Eisleben und Wittenberg wurden archäologisch erforscht. Die dabei gefundenen, überwiegend profanen Objekte sind Indizien, die mehr aussagen als manches Dokument, das subjektiv oder missverständlich sein kann. Nach ihnen ist zum Beispiel die Behauptung Luthers, sein Vater sei als armer Bergmann nach Mansfeld gezogen, allenfalls Tiefstapelei.
Speisereste und Fragmente aus dem Hausrat belegen, dass Hans Luder – so schrieb der Vater des Reformators seinen Familiennamen – sich als Hüttenmeister, Vierherr und Schauherr einen gehobenen Lebensstandard leistete. In der Küche wurde häufig Fleisch von gerade erwachsenen Schweinen – also hochpreisigen Schlachttieren von besonders guter Qualität – zubereitet. Ebenso kam im Hause Luder Schaf- und Ziegenfleisch, seltener auch Rindfleisch auf den Tisch. Zuweilen kaufte die Hausfrau junges Geflügel und Tauben sowie – wohl vorwiegend in der Fastenzeit – Süßwasserfische aus der Region und Meeresfische.
Blick in die Kinderstube des Reformators
Knochenabfälle von Singvögeln deuten darauf hin, dass Mitglieder der Familie Luder zuweilen gefiederten Sängern nachstellten und diese verzehrten. Singdrosseln, Dorngrasmücken, Rotkehlchen und andere Vogelarten wurden mit aus Gänseknochen gefertigten Pfeifen angelockt. Die botanischen Funde belegen, dass neben verschiedenen einheimischen Obstsorten sogar Weintrauben und Feigen zum Dessert gereicht wurden.
Meistens servierte Margrethe Luder die Speisen in einfacher Waldenburger Keramik. Im Haushalt gab es aber auch repräsentatives Tafelgeschirr: Messer mit Zierelementen, Stangen- und Nuppengläser sowie Rippenbecher. Die Funde belegen, dass im Hause Luder eine gediegene Tischkultur gepflogen wurde.
Offenbar nahm es die Familie auch mit der Hygiene sehr genau. Im holzarmen Bergbaugebiet war es üblich, das Badewasser mit 1000 Grad heißer, glühender Kupferschlacke aus der Hütte zu erhitzen. Auch in der Abfallgrube des Luderschen Anwesens wurden größere Mengen solcher Brocken gefunden. Erhitzte Samenkörner von Johanniskraut, Bilsenkraut, Schlafmohn und anderen Heilpflanzen weisen darauf hin, dass Margrethe Luder der Zubereitung von Salben und anderen Heilmitteln kundig war. Die Wissenschaftler konnten sogar Inventar aus der Kinderstube des Reformators zutage fördern: Demnach spielten er und seine Geschwister gern mit Pfeifvögeln, tönernen Murmeln und aus Fingerknochen von Rindern geschnitzten Kegeln. Offenbar besaß Martin sogar eine Miniaturarmbrust, von der allerdings nur die "Nuss" (beweglicher Teil, der die gespannte Sehne hält bzw. freigibt) die Jahrhunderte überdauerte.
Von der Klosterzelle zum großbürgerlichen Haushalt
Nachdem er einige Semester in Erfurt studiert hatte, trat Martin Luther 1505 in das dortige Kloster der Augustiner-Eremiten ein. Bald darauf fand er seine – abgesehen von wenigen Unterbrechungen – dauernde Wirkungsstätte in der aufstrebenden Universitätsstadt Wittenberg, wo er auch nach der Reformation seine Wohn- und Arbeitsstätte im säkularisierten Augustinerkloster behielt. 1525 heiratete Wittenbergs populärster Theologieprofessor Katharina von Bora. "Herr Käthe", wie Luther sie scherzhaft nannte, verstand klug zu wirtschaften und wandelte das ehemalige "Schwarze Kloster" in einen prosperierenden Gelehrtenhaushalt mit großbürgerlichem Lebensstil um.
Nach Luthers Tod ging das Anwesen in den Besitz seines Sohnes Martin über. Dieser verschuldete sich jedoch und veräußerte das väterliche Erbe 17 Jahre später für 3700 Gulden an die Universität Wittenberg.
Bei den Grabungen im südlichen Hofbereich zwischen Lutherhaus und Wall wurden zahlreiche Objekte aus dem ersten und zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts geborgen, die sicher aus dem Haushalt des Reformators stammen. Nach dem Verkauf des Anwesens an die Universität hatte man sie – frei nach der protestantischen Maxime "sola scriptura" – für wertlos gehalten und im Hof entsorgt. In einer mit Bauschutt verfüllten Grube blieben sie bis in die jüngste Zeit unbehelligt.
Neben Irdenware für Küche und Tafel bargen die Archäologen einen polychromen Humpen, der vermutlich aus Süddeutschland stammt. Zudem besaß die Hausfrau einiges Steinzeuggeschirr sächsischer Provenienz. Spektakulär sind indessen einige importierte Keramiken wie Fragmente von einer Fayence-Kanne aus dem türkischen Iznik (Nicäa). Vermutlich hat einst ein Fürst dem Reformator das kostbare Gefäß verehrt.
Eine andere, von chinesischem Ming-Porzellan inspirierte Fayence stammt vermutlich aus Oberitalien. Aus dem Fund zahlreicher Ofenkacheln kann man schließen, dass die Familie im Winter nicht frieren musste. Einige polychrome Kacheln sprechen dafür, dass im Professorenhaushalt mindestens ein Prunkofen stand. Gut zwanzig Keramik-Wandbrunnen sind mit Motiven protestantischen Gedankenguts dekoriert. Neben einer großen Anzahl Hohlgläser befanden sich im Lutherschen Haushalt auch Fadengläser nach venezianischer Machart.
Dass der Reformator Kunstverstand besaß, beweist sein Hobby: Er leistete sich in seiner knapp bemessenen Freizeit das damals nur in adeligen Kreisen übliche Vergnügen, zu drechseln und dabei seinem Schöpfer nachzueifern, denn Gott war für ihn der erste Drechsler.
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Geöffnet: Dienstags bis sonntags und Feiertage 9.00 – 19.00 Uhr
Katalog (Hrsg. Harald Meller)
24 x 30 cm, 343 S., 350 Farbabb.
Broschur 24,90 Euro
ISBN 978-3-939414-14-8
Halbleinen 29,90 Euro
ISBN 978-3-8062-2201-2
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Aus der Hausapotheke
Sogar etliche Arzneigefäße aus Luthers Hausapotheke haben die Zeitläufte überdauert. Der Reformator litt an chronischem Tinnitus, Angina pectoris, Nierenleiden, Schlaf- und Verdauungsstörungen, Schwindelanfällen und weiteren Beschwerden; daher war er ein guter Kunde seines Freundes, des Wittenberger Apothekenbesitzers Lucas Cranach. Irdene Töpfchen enthielten Salben. Glasfläschchen, die der Volksmund aufgrund ihrer bauchigen (wohlgenährten) Form "Nönnchen" nannte, verwahrten flüssige Zubereitungen.
"Luther-Reliquien" vom Becher bis zum Floh
Die Grabungsfunde werden durch andere Exponate ergänzt. Darunter sind die Kutte des Augustinermönchs Luther sowie eine Kasel, in der er auf der Reise nach Rom eine Messe zelebrierte. Zudem sind 16 kostbare Gefäße, die betuchte Gönner Luther als Ausdruck der Wertschätzung überreichten, zu sehen. Obwohl der Reformator selbst den mittelalterlichen Reliquienkult heftig brandmarkte, wurden ihm posthum immer wieder persönliche Gegenstände zugeschrieben, so zum Beispiel ein Buckelbecher, der 1894 für die Ausstellung in seinem Eislebener Sterbehaus angeschafft wurde.
Für ein anderes Glas bürgt sogar ein Zertifikat, dass der Reformator daraus getrunken haben soll. Kunsthistoriker datieren seine Entstehungszeit allerdings erst in das 18. Jahrhundert. Ende des 19. Jahrhunderts wurde beim Abschreiben eines Lutherschen Kollegienhefts zwischen den Seiten ein mumifizierter Floh entdeckt. Der Abschreiber klebte das winzige Tier sauber auf ein Blatt Papier und dokumentierte akribisch dessen Fundort.
Reinhard Wylegalla
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