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Gesundheitspolitik
Garantiepreismodell statt Rabattverträge
Die nüchternen Zahlen: 9830 Rabattverträge zwischen 186 Krankenkassen und 144 Hersteller gab es im September 2009. Im gesamten Jahr 2009 wurden 310 Millionen Rabattarzneimittel abgegeben, das sind rund 50 Prozent aller abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Am 1. Januar 2010 waren 29.391 rabattierte Arzneimittel gemeldet. Aber die wichtigste Zahl fehlt: Was die Krankenkassen mit dem Instrument der Rabattverträge letztlich einsparen, ist geheim. Nach den letzten offiziellen Angaben der Gesetzlichen Krankenkassen soll im 2. Halbjahr 2008 ein Potenzial von 310 Millionen Euro gehoben worden sein.
Festbeträge werden konterkariert
Nach Ansicht von Karl-Heinz Resch, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Wirtschaft und Soziales der ABDA, wird durch die Rabattverträge das bewährte Instrument der Festbeträge konterkariert. Allein im Jahr 2009 konnten die Gesetzlichen Krankenkassen durch Festbeträge 4,3 Milliarden Euro einsparen. Wie Resch dazu anmerkte, werden Preisanpassungen nach unten im offiziellen Markt allerdings erschwert, denn die Methodik zur Festlegung von Festbeträgen sowie für ihre Anpassung beruht auf den offiziellen Listenpreisen – die tatsächlichen, niedrigeren und geheim gehaltenen Preise finden keine Berücksichtigung. "Damit werden Preisanpassungen nach unten im offiziellen Markt erschwert", so Resch.
Risiko von Retaxationen
Apotheken haben nach wie vor einen erheblichen Mehraufwand mit Rabattarzneimitteln zu leisten, vor allem durch die aufwendige Beratung der Versicherten bei der Umstellung von ihren bisher gewohnten Arzneimitteln auf andere, rabattierte Arzneimittel sowie durch den mit der Arzneimittelabgabe verbundenen EDV-Suchlauf. Zwar dürften Apotheker in bestimmten Fällen pharmazeutische Bedenken äußern, dokumentieren und ein nicht rabattiertes Arzneimittel auswählen, allerdings bestehe dann zugleich das Risiko von Auseinandersetzungen mit Krankenkassen über Retaxationen auf null. Ärzte fühlten sich nicht für die Beratung der Versicherten zuständig. Und die Verordnung von Rabattarzneimitteln schützt sie nicht wirklich vor Wirtschaftlichkeitsprüfung und Regressen.
Die Krankenkassen wiesen nicht nur die Einsparungen nicht aus, sie geben auch die Mehrkosten durch die Rabattverträge nicht bekannt. Es gibt auch keine Gegenrechnungen zu entgangenen Einsparungen durch niedrigere Festbeträge.
Gefahr der Oligopolisierung
Aufseiten der Pharmahersteller sieht Resch eine Oligopolisierung durch die Rabattverträge in Gang kommen. 10 Hersteller dominieren mittlerweile zu 82 Prozent den Rabattmarkt bezogen auf abgegebene Packungen. Der Generikaanteil am Rabattgesamtvolumen beträgt 96,5 Prozent.
Doch nicht nur Ärzte, Apotheker und Industrie sehen in den Rabattverträgen wenig Positives. Patientenbefragungen zeigen, dass 24 Prozent der Patienten unter starken Nebenwirkungen leiden, wenn sie das ausgetauschte Arzneimittel eingenommen haben, 58 würden aufzahlen wollen, um ihr bewährtes Präparat zu erhalten.
Angesichts solcher eklatanten Nachteile der Rabattverträge sollte sich die Politik ernsthaft mit einer Umstellung auf das Zielpreismodell der Apotheker befassen. Resch nannte es ein "Garantiepreismodell", da es den vereinbarten niedrigen Preis für alle Kassen und für die gesamte Industrie für die vereinbarte Zeit garantiert. Zudem ist es vollkommen transparent, die Einsparungen für das Gesundheitssystem sind offen ersichtlich.
Patienten wollen aufzahlen
Professor Henning Blume, Geschäftsführer der Firma Socratec R&D GmbH, erinnerte daran, dass eine von den Rabattverträgen erzwungene Umstellung von Präparaten mit nicht unerheblichen Risiken verbunden sein kann. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Krankheitszustände behandelt werden, die eine möglichst konstante Pharmakotherapie erfordern, beispielsweise bei der Gabe von Opioiden, Antiepileptika, Antidepressiva, Antidiabetika. Problematisch ist auch ein Austausch von Retardpräparaten, TTS-Pflaster und Inhalationssystemen. Nebenwirkungen, mangelnde Compliance bis hin zu Therapieabbrüchen sind die Folge, wie auch Dr. Jürgen Bausch, praktischer Arzt und Ehrenvorsitzender der KV Hessen, bestätigte. Er berichtete von den Ergebnissen einer Pilotstudie der Hochschule Fresenius, die die Auswirkungen von Rabattverträgen auf Patienten untersucht hat. Bausch: "Wenn man Patienten über ihr subjektives Erleben unter der Ägide der Rabattverträge befragt, dann findet man eine ganze Reihe von Menschen, bei denen die automatische Substitution ihrer gewohnten Medikation in der Apotheke zu Unverträglichkeiten, Unsicherheiten, mehr oder minder starken Nebenwirkungen und Rückumstellungen geführt hat. Und die Botschaft, dass sie auch bereit sind, einen Aufpreis zu zahlen, nur um ihr gewohntes und vertragenes Medikament wieder ausgehändigt zu bekommen."
Therapeutische Bedenken
Blume machte auf die Möglichkeit des Apothekers aufmerksam, pharmazeutische Bedenken bei der Austauschbarkeit von Präparaten anzumelden und gegebenenfalls eine andere Produktauswahl vorzunehmen. Der Begriff "pharmazeutische Bedenken" treffe dabei die komplexe Situation nur unzureichend. Im Grundsatz gehe es um "therapeutische Bedenken". Die Kriterien für solche Bedenken sind dabei nicht näher spezifiziert worden, es geht vielmehr um eine Entscheidung von Fall zu Fall, so Blume. Allerdings besteht in der Praxis eine weitverbreitete Unsicherheit zur Austauschbarkeit: wann akzeptieren auch die Kassen pharmazeutische Bedenken und wann führt der Austausch nicht zu einem späteren Regress für den Apotheker?
Vor diesem Hintergrund begrüßte Blume die Internetseite www.pharmazeutische-bedenken.de, die die Firma Desitin, Hersteller von Antiepileptika und anderen Arzneimitteln, im Oktober des vergangenen Jahres initiierte und unterstützt. Wie der Name der Seite sagt, möchte sie die Kommunikation innerhalb der Fachkreise – aber auch interdisziplinär – zum Thema der pharmazeutischen Bedenken intensivieren. Auf der Seite sollen Themenkomplexe wie die praktizierte Austauschbarkeit von Arzneimitteln, Fallbetrachtungen und die resultierende Verantwortung des Einzelnen betrachtet werden. Wissenschaftliche Berater dieser Seite sind Professor Blume, Dr. Bausch, Professor Elger, Universitätsklinik für Epileptologie, Bonn, und der Kommunikationswissenschaftler Dr. Roßbach.
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