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Arzneimittel und Therapie
Neue multiresistente Keime zwingen zur Achtsamkeit
In verschiedenen Medien wurde Mitte August vom Auftreten eines "Superkeims" bei zahlreichen britischen Patienten berichtet. Einige von ihnen hatten sich die Infektionen bei Krankenhausaufenthalten (z. T. wohl auch im Zusammenhang mit Schönheitsoperationen) in Indien und Pakistan zugezogen. Die Nachricht basierte auf einer kurz zuvor erschienenen Veröffentlichung in der englischen Fachzeitschrift "The Lancet Infectious Diseases". Ein Zusammenhang der Infektionen mit dem Auftreten multiresistenter Bakterien auf dem indischen Subkontinent wurde in dieser Arbeit tatsächlich nachgewiesen. Es handelt sich aber keinesfalls um eine neue Bakterienart und die Resistenz von Keimen gegen die Reserveantibiotika Carbapeneme ist auch keineswegs neu. Unbekannt war hingegen, dass das für diese Resistenz verantwortliche Gen extrachromosomal auf Plasmiden liegt und somit leichter – auch an andere, verwandte Bakterienarten – weitergegeben werden kann.
NDM-1 und Carbapenem-Resistenz
Die internationale Gruppe von Wissenschaftlern konnte multiresistente Bakterien bei 37 britischen und insgesamt rund 140 Patienten in Bangladesch, Indien und Pakistan nachweisen. Die Patienten in Großbritannien waren von Krankenhausaufenthalten aus diesen Ländern zurückgekehrt oder hatten anderweitige Kontakte zum indischen Subkontinent. Die Erreger konnten kurz danach als Enterobakterien der Arten Klebsiella pneumoniae und Escherichia coli identifiziert werden. Gemeinsam ist ihnen das spezifische Enzym NDM-1 (Neu-Delhi Metallo-Beta-Laktamase), das Carbapenem-Antibiotika spaltet. Das Gen für das Enzym liegt auf einem Plasmid und ist nicht in das eigentliche Genom integriert.
Die Bakterien sind gegen alle Antibiotika mit Ausnahme der Reserveantibiotika Tigecyclin und Colistin resistent. Das Gen NDM-1 wurde bereits im Jahr 2009 beschrieben, und es gibt darüber hinaus verschiedene andere Resistenzgene, die bereits seit einigen Jahren bekannt sind und die ebenfalls zur Bildung von Carbapenemasen führen. Es wird davon ausgegangen, dass diese Resistenzgene derzeit noch sehr selten sind. Ihre Häufigkeit wird mit deutlich unter 0,1% der von Patienten isolierten Erreger angegeben. Bei den britischen Patienten war lediglich Colistin (auch Polymyxin E) wirksam, ein älteres Antibiotikum, das wegen seiner Neuro- und Nephrotoxizität ungern eingesetzt wird. Das halbsynthetische Antibiotikum Tigecyclin wurde erst im November 2007 in Deutschland zugelassen und wird als Monotherapie bislang nur bei schweren Infektionen eingesetzt.
In Deutschland sind bislang vier Fälle von Infektionen mit NDM-1-bildenden Erregern bekannt geworden, in Belgien verstarb ein pakistanischer Patient. Keiner der in Deutschland bekannt gewordenen Fälle ist auf eine Krankenhausinfektion zurückzuführen, und die jetzt isolierten Erreger, so das RKI, seien nicht supervirulent. Durch eine konsequente Einhaltung von Hygienemaßnahmen lassen sich derartige nosokomiale Infektionen wohl auch verhindern. Auf die eigentliche Problematik wird erneut hingewiesen: Das RKI verfolgt die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen sehr genau und hat in den vergangenen drei Jahren das Antibiotika-Resistenz-Surveillance System (ARS) aufgebaut. Laut RKI stehen kaum Reserveantibiotika zur Verfügung. Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums dauere bis zur Anwendungsreife etwa zehn Jahre. Derzeit seien aber für Infektionen mit multiresistenten Enterobakterien und anderen gram-negativen Infektionserregern jedoch keine neuen Antibiotika in Sichtweite.
Quelle Kumarasamy, K.K.; et al.: Emergence of a new antibiotic resistance mechanism in India, Pakistan, and the UK: a molecular, biological, and epidemiological study: Lancet Infectious Diseases 2010; doi:10.1016/ S1473-3099(10) 70143-70152; 11. August 2010.Zum Auftreten von multiresistenten Erregern mit der Carbapenemase NDM-1, 12. August 2010. www.rki.de
Fragen und Antworten zu NDM-1, 16. August 2010. www.rki.de
Dr. Hans-Peter Hanssen
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