Wirtschaft

DAX: Korrektur hält an

Deutsch-französischer Krisengipfel liefert keine Impulse – Test der jüngsten DAX-Tiefstände wahrscheinlich

(hps). Die Anleger fordern konkrete Pläne zur Lösung der Schuldenkrise. Sie scheuen aber den Sparzwang, der sich aus der geforderten Haushaltsdisziplin ergeben würde. Gleichzeitig lasten Konjunktursorgen auf dem Markt. Mit anderen Worten: Momentan passt an der Börse kaum etwas zusammen.

Die Marktlage

Eigentlich war es überfällig. Und so mancher hat es geahnt. Aber am Ende war die Herabstufung der Kreditwürdigkeit amerikanischer Staatspapiere doch ein Schock für das Parkett. Unter den Händlern herrschte extreme Nervosität, die den DAX im Tagesverlauf mehrere hundert Punkte hin- und herpendeln ließ. Dabei rang die prekäre Situation an den Weltbörsen der US-Notenbank das Versprechen ab, die Zinsen auf weitere zwei Jahre praktisch bei Null zu halten. Der DAX nahm dies dankbar auf und sprang im Tagesverlauf um 400 Punkte nach oben. Schon hatte es den Anschein, das Gröbste sei überstanden, da prügelten Gerüchte um eine Herabstufung Frankreichs das deutsche Börsenbarometer wieder 500 Punkte nach unten. Mitten im Chaos verkündete der DAX-Wert Henkel ein hervorragendes zweites Quartal und hob sogar den Ausblick für das Gesamtjahr an. In den USA schlug Disney Umsatz und Gewinnschätzungen der Analysten deutlich. Cisco Systems überraschte ebenfalls positiv. Doch der Markt war in Geberlaune. Am Ende waren die gesamten Gewinne, die der DAX seit Oktober 2009 aufgebaut hatte, in nur zwei Tagen ausgelöscht.

Für das Parkett bleiben zwei Fragen ungelöst: Wann kommt eine ganzheitliche Lösung für die Schuldenproblematik in der Eurozone und wann wird es endlich zu einem Schulterschluss der politisch Verantwortlichen in Washington kommen?

Diese Sorgen scheinen auf den ersten Blick verständlich, doch bei näherem Sinn kommen Zweifel auf. Wenn es wirklich so schlimm um die Kreditwürdigkeit der USA bestellt ist, warum steht dann der Kurs von US-Staatsanleihen auf Rekordniveau? Und wenn Euroland kurz vor dem Abgrund steht, warum notiert die Gemeinschaftswährung immer noch deutlich über 1,40 Dollar? Fragen, auf die auch die Profis keine Antwort haben. Stattdessen orientierten sich die Strategen an trivialer Charttechnik, befanden den Boden bei 5500 DAX-Punkten für ausreichend stabil und spekulierten wieder in die Gegenrichtung. Schließlich sprang der DAX wieder in wärmere Gefilde um 6000 Punkte zurück. Seitdem hat sich das Geschehen zwar deutlich beruhigt, doch der Burgfriede scheint brüchig. Zu frisch sind die Erinnerungen an die massiven Kursverluste. Auch der deutsch-französische Krisengipfel lieferte nur Ideen, deren Umsetzung den Anlegern zu lange dauert. Was bleibt, sind ungelöste Schuldenprobleme auf beiden Seiten des Atlantiks und schlechte Zahlen aus der Gesamtwirtschaft.

USA: Nach unten abgesichert, nach oben perspektivlos

Dunkle Mienen am Aktienparkett der Wall Street, wo die Händler geradezu in Verkaufsaufträgen versinken. Begeisterte Gesichter dagegen im Anleihenhandel, wo die starke Nachfrage nach US-Staatsanleihen die Kurse immer weiter in die Höhe schießen lässt. Dort freut man sich über die Flucht in den "sicheren Hafen", wie eh und je. Von mangelnder Kreditwürdigkeit des Schuldners USA will man dort nichts wissen. Zum einen, weil der Glaube, dass die USA doch noch in letzter Sekunde die Kurve kriegen werden, tief verwurzelt ist. Hauptsächlich aber liegt es am amerikanischen Rentenhandel, der der mit Abstand liquideste und größte Anleihenmarkt der Welt ist. Kein anderer Bondhandel kann so viel Geld aufnehmen. Davon können Europäer nur träumen. Mögen die Chinesen den Parteienstreit zwischen Demokraten und Republikanern noch so verteufeln, auch sie kommen am US-Rentenmarkt nicht vorbei. Ein Finanzierungsproblem existiert in den USA nicht. Doch wie sieht es mit der Haushaltskonsolidierung aus? In den USA hat man die ergiebigen Geldquellen aus parteipolitischen Gründen noch gar nicht angezapft. So liegen die Verbrauchssteuern auf einem niedrigen Niveau. Eine Studie belegt: Bei einer Anhebung auf das europäische Level glänzten die USA sogar mit einem jährlichen Haushaltsüberschuss, wogegen die Option höherer Verbrauchssteuern in Europa weitgehend ausgeschöpft ist. Doch die Demokraten wehren sich gegen die Steueranhebung. Sie wollen "Joe Sixpack", wie der US-Normalbürger auch genannt wird, nicht weiter belasten.

Der andere ergiebige Topf läge in einer Steueranhebung für Reiche und Superreiche. Dagegen sträubt sich wiederum die Tea Party, jene erzkonservative, populistische Protestbewegung, die sich seit der Bankenkrise vehement gegen jede durch Steuern finanzierte Maßnahme aus Washington richtet. Sie sieht in Obamas Politik die Interessen der Mittelschicht und der Reichen vernachlässigt.

Die Fronten sind verhärtet. Insbesondere die Tea Party will vor den Wahlen nicht als "Umfaller" dastehen. Doch möglicherweise kommt hier dennoch bald Bewegung ins Spiel. Denn der Starrsinn der Tea Party kommt insbesondere ihre eigene Wählerschaft teuer zu stehen. Seitdem die Aktien an der Wall Street in den Sturzflug übergegangen sind, hinterfragen immer mehr der betuchten Anhänger den Sinn dieser Blockadehaltung. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass man in Washington das Ruder noch herumreißen kann. Die Kehrseite der Medaille: Jede Steuererhöhung, insbesondere die leichter durchsetzbaren Verbrauchssteuern, wird bei der Kaufkraft der Amerikaner deutliche Spuren hinterlassen. Eine solche Haushaltskonsolidierung dürfte sich deutlich in den Bilanzen der europäischen und asiatischen Exporteure widerspiegeln. Die Zeche zahlen die Amerikaner am Ende also nicht alleine.

Bulle & Bär – Was bringt die neue Börsenwoche?

"Alles ist möglich" – so lautet im Tenor die aktuelle Markteinschätzung der Strategen. Durch die Panikverkäufe scheinen frühere Prognosen inzwischen Makulatur zu sein. Viele Profis passen jetzt ihre Schätzungen an. So hat die Commerzbank ihre Jahresendprognose für den DAX von 8200 auf 7500 Punkte zurückgenommen. Die Deutsche Bank wartet nur noch auf 6800 Zähler. Nur wenige Analysten halten derzeit noch am ursprünglichen Kursziel von 8000 Punkten fest, so wie es noch vor wenigen Wochen Konsens unter den Strategen war. Immerhin setzen die Profis jetzt auf eine Fortsetzung der Kurserholung, wenngleich diese mehrheitlich nur als technische Gegenbewegung qualifiziert wird.

Wie immer bei solch drastischen Kursbewegungen dürfte es nicht damit getan sein, die Unterstützung bei 5500 DAX-Punkten erfolgreich angetestet zu haben. Da wird es noch eine Vielzahl von Anlegern geben, die den Ausstieg verpasst haben und die Kurserholung dazu nutzen werden. Entsprechend mager ist auch die Korrektur ausgefallen: Nach rund 2000 Punkten Verlust im DAX fallen 500 Punkte Gegenbewegung nicht überzeugend aus. Überdies birgt das fundamentale Umfeld auch keine Kaufreize in sich: Der US-Schuldenkompromiss – nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Der deutsch-französische Gipfel – ein bewusstes Ausklammern einer unbeliebten, aber allfälligen Konsequenz: die Einführung der Euroanleihe. Und wirtschaftlich tritt inzwischen selbst die Lokomotive Deutschland auf der Stelle. Der Daumen über dem Parkett muss daher noch gesenkt bleiben.

Eckdaten zum 18. August 2011 (alle Angaben ohne Gewähr)
DAX (18. 8., 10.15 h)
5857 Punkte
Dow Jones (17. 8., Schluss)
11.410 Punkte
Gold (Feinunze)
1795,30 Dollar
Tagesgeld 5000 € (Durchschnitt)
1,59%
Festgeld 3 Monate (Durchschnitt)
Bester überregionaler Anbieter mit Einlagensicherung*
1,26%
2,30% (IKB direkt AG)
Festgeld 12 Monate (Durchschnitt)
Bester überregionaler Anbieter mit Einlagensicherung*
1,83%
3,00% (Bank of Scotland, IKB direkt AG)

*Quelle: www.festgeld.de

Thema der Woche: Standard & Poors

Sicher – andere Länder hätte die Ratingagentur bei einem solchen politischen Zirkus schon viel früher bestraft. Aber jetzt war Standard & Poors (S&P) auch mit den USA mit der Geduld am Ende. Dabei birgt die Herabstufung der Kreditwürdigkeit für S&P ein hohes Risiko. Ratingagenturen werden von den Emittenten der Wertpapiere bezahlt. Diese erwarten eine positive Bewertung, damit ihre Zinslast geringer ausfällt. Und die USA sind nun einmal einer der wichtigsten Kunden von S&P. Andererseits bangte man bei S&P wohl um die eigene Glaubwürdigkeit. Auf frühere Warnungen seitens S&P hatten die US-Politiker nur Achselzucken übrig. Da war aus Sicht der Agentur eine Antwort fällig. Schließlich wird gegen die Bonitätswächter seit der Finanzkrise 2008 der Vorwurf erhoben, ihr Verhalten sei viel zu zauderhaft.

Unterdessen hat die Herabstufung nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die größten Gläubiger der USA aufgeschreckt. In China stehen die Amerikaner mit 1,1 Billionen Dollar in der Kreide, in Japan mit 900 Milliarden. Die US-Gesamtverschuldung beträgt 14,3 Billionen Dollar, was etwa der Höhe des US-Bruttoinlandsproduktes entspricht. Und sie soll in den kommenden Jahren auf über 17 Billionen ansteigen – und zwar bereits unter Berücksichtigung der 2,5 Billionen, die als Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern ausgehandelt wurden. Dabei ist aus Sicht der Ratingagenturen nicht einmal sicher, ob die Politiker die vereinbarten Billionen tatsächlich auch einsparen werden.

Welche Konsequenzen nun auf die USA im Zuge der schlechteren Bonität zukommen, ist in Fachkreisen umstritten. Ein Zinsanstieg würde höchstens marginal ausfallen, so lautet eine weitverbreitete Meinung. Amerikanische Staatsanleihen gelten noch immer als die sicherste Anlage der Welt und die Amerikaner seien schließlich ihren Verpflichtungen in der Geschichte noch immer nachgekommen. Andererseits kostet der Schuldendienst Washington momentan 250 Milliarden Dollar pro Jahr. Da wird selbst ein nur marginaler höherer Zins zum Problem. Und für den immer noch angeschlagenen US-Häusermarkt wäre ein höheres Zinsniveau gar ein Debakel.

Laut "Wall Street Journal" bereitet der Bankenausschuss des US-Senats einen Untersuchungsausschuss vor, bei dem die S&P-Topmanager zu der Herabstufung angehört werden sollen – vor laufenden TV-Kameras. Krisenbewältigung auf amerikanisch – und schlecht für S&P: Bei der Berechnung der US-Defizits hatte sich die Ratingagentur nachweislich um 2 Billionen verrechnet. Den Vorwurf, die US-Politik habe sich als unfähig erwiesen, das Schuldenproblem anzugehen, hatte S&P erst nach dem Rechenfehler nachgereicht. Es hat den Anschein, als dürste Washington jetzt nach Rache. An einer Neuregulierung der Ratingagentur wird bereits gearbeitet. Unterdessen bemüht sich die Konkurrenz, schnellstmöglich aus der Schusslinie zu kommen. Die Konkurrenten Finch und Moodys haben vorsichtshalber von einer Herunterstufung abgesehen bzw. das Spitzenrating der USA sogar bestätigt.



AZ 2011, Nr. 34, S. 4

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