Rezepturen

Windeldermatitis – Herausforderung für die Rezepturgrundlage

Ein Beispiel aus dem Apothekenalltag

Von Gerd Wolf

Gemäß der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) zur "Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmten Rezeptur- und Defekturarzneimittel" soll jede Rezeptur hinsichtlich der Plausibilität der Verordnung geprüft werden. Die Prüfung erstreckt sich auf die Auswahl, Kompatibilität und Stabilität der Wirkstoffe und Hilfsstoffe. Die Auswahl eines angemessenen Vehikels ist bei einigen Indikationen eine echte Herausforderung, wie das Beispiel der Windeldermatitis zeigt.


Mit der folgenden Rezeptur sollte eine Windeldermatitis bzw. eine Hautreizung behandelt werden:

Beispielrezeptur


Rp.

Guajazulen 0,02 g

Adeps lanae anhydr. 4,0 g

Zinkoxid 10,0 g

Paraff. perliquid. 15,0 g

Aqua dest. 24,3 g

Eucerin. anhydr. ad 100,0 g

Bei einer Windeldermatitis ist die Haut gerötet. Dabei treten erythematöse Papeln im Anogenitalbereich von Säuglingen und Kleinkindern auf. Ursachen sind die Mazeration der Haut durch Stuhl und Urin sowie die Zersetzung des Urins. Das Geschehen wird weiter verstärkt durch einen hohen pH-Wert und durch die Aktivierung von Lipasen und Proteasen. So wird die epidermale Barriere zerstört. Häufig bildet diese Entwicklung den Boden für eine sekundäre Besiedlung mit Candida albicans [1]. Zur Therapie wird das ABCDE-Schema empfohlen (s. Kasten). Auf dieser Grundlage soll hier auch die Rezeptur bewertet und optimiert werden.


Windeldermatitis Oft werden Zinkoxid-haltige Rezepturen eingesetzt, deren Grundlagen wenig geeignet sind. Foto: U. Kubisch

Therapie der Windeldermatitis


Zur Therapie der Windeldermatitis hat sich das folgende ABCDE-Schema bewährt:

Air: Zunächst muss Luft an die Haut gelassen werden. Dazu muss die Okklusion beseitigt werden, die z. B. durch moderne, dicht abschließende Windeln entsteht.

Barriers: Die gestörte Hautbarriere muss regeneriert werden.Dazu dienen pflegende Cremes, die auf den Fett- und Feuchtigkeitsbedarf der betroffenen Hautstellen abgestimmt sind.

Cleansing: Durch häufiges Windelwechseln sollten die Hautstellen möglichst sauber gehalten werden.

Diapers: Es sollten möglichst nur Windeln mit Gelkissen benutzt werden, die den Urin besser absorbieren und die Hautstellen eher trocken halten können.

Education: Die Eltern sollten über das Entstehen der Hauterkrankung aufgeklärt werden.

Guajazulen

Guajazulen gehört zu den Azulenen, die blaue bis violette Kohlenwasserstoffe darstellen und einen Cyclopentanocyclohepten-Ring besitzen. Sie entstehen aus farblosen Vorstufen, den Proazulenen. Azulene kommen in vielen ätherischen Ölen vor, z. B. Chamazulen in Kamillenblüten, römischer Kamille, Schafgarbe und Wermut sowie Guajazulen in Eucalyptus globulus, Geranium und Gurjun-Balsam. Azulene können synthetisch aus Sesquiterpenen und m-Cymol gewonnen werden. Native und synthetische Azulene werden wegen ihrer antiphlogistischen Wirkung angewendet.

Wollwachs

Adeps Lanae anhydricus bzw. Wollwachs (syn. Cera lanae, Wollfett) ist die bei der Aufbereitung der Schafwolle gewonnene, gereinigte Salbenmasse. Sie ist chemisch betrachtet kein Fett, sondern ein Wachs. Es besteht zu 95 Prozent aus Estern höherer Fettsäuren mit aliphatischen und cyclischen Alkoholen. Den Hauptanteil bilden Cholesterol-Fettsäureester, außerdem sind 2 bis 2,5 Prozent freies Cholesterol, 0,5 bis 1 Prozent freie Alkohole sowie 1 bis 2 Prozent Kohlenwasserstoffe und freie Säuren enthalten [2].

Wollwachs kann als Wasser aufnehmende Grundlage vom W/O-Typ 200 bis 300 Prozent Wasser unter Bildung einer lipophilen Emulsion bzw. W/O-Emulsion aufnehmen. Gemäß Arzneibuch müssen 10 Gramm Wollwachs mindestens 20 Gramm Wasser aufnehmen und dürfen diese über 12 Stunden nicht wieder abscheiden. Diese Emulgierfähigkeit hat jedoch in den zurückliegenden 20 Jahren aufgrund der Produktionsweise des Wollwachses sehr gelitten [4]. Den Hintergrund bildet die Pestizidbelastung der Schafwolle. Denn der größte Teil des in Deutschland verwendeten Wollwachses stammt aus Commonwealth-Ländern. Dort werden die Schafe zweimal jährlich durch pestizidhaltige Bäder geführt, um die Parasiten im Fell abzutöten. Die Pestizide reichern sich als lipophile Stoffe im Wollfett an, gelangen so in die Waschflotten und werden daraus zusammen mit dem Wollwachs extrahiert.

Der Gesetzgeber hat in einer Höchstmengen-Verordnung (HmVo) Obergrenzen für Pestizide vorgeschrieben. So dürfen denn auch nur solche Chargen von Wollwachs und Wollwachsalkoholen in die Apotheken gelangen, die diesen Anforderungen genügen.

Seit Jahrzehnten gelten Wollwachs und Wollwachsalkohole unter Dermatologen als typische Allergene. Deshalb sollten empfindliche Patienten Salben und W/O-Cremes mit diesen Hilfsstoffen meiden. In den letzten Jahren wird jedoch zunehmend diskutiert, ob statt des Wollwachses selbst nicht eher Verunreinigungen wie freie Alkohole und Tensidreste für die Allergisierung verantwortlich sind.

In der Beispielrezeptur ist der Einsatz des Wollwachses zu hinterfragen, denn sie enthält mit Eucerin®. anhydric. noch eine weitere Wollwachszubereitung. Eucerin®. anhydric. ist eine mit Warenzeichen geschützte Wollwachsalkoholsalbe der Firma Beiersdorf. Hierin werden die Wollwachsalkohole durch Molekulardestillation besonders gereinigt, so dass die Restkonzentrationen an Pestiziden gemäß Herstellerangaben unterhalb der Nachweisgrenze liegen. Eucerin®. anhydric. kann bis zu 200 Prozent Wasser aufnehmen, wobei eine lipophile Emulsion bzw. W/O-Creme entsteht. Die Zufuhr von 100 Prozent Wasser führt zu Eucerinum® cum aqua. Die in der Beispielrezeptur verordnete Menge Eucerin®. anhydric. könnte demnach das in der Rezeptur enthaltene Wasser in sich emulgieren. Damit würde sich der Einsatz des möglicherweise stärker belasteten Wollwachses aus anderen Quellen erübrigen. Außerdem bleibt offen, warum der Verordner zwei Vertreter des gleichen W/O-Systems einsetzen wollte.

DAZ.online


Ausführliche Tabellen als Hilfsmittel für das Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen finden Sie auf DAZ.online unter DAZ.plus/Dokumente.

Grundsätzliche Hinweise zum Umgang mit den Tabellen und ein weiteres Rezepturbeispiel finden Sie in der DAZ 2010; Nr. 30, S. 38 – 45, Ergänzungen dazu ebenfalls bei DAZ.online.

Zinkoxid

Zinkoxid [3] wird äußerlich angewendet in Pudern [Zinkoxid-Talkumpuder 50% weiß/hautfarben (NRF 11.60.)], Ölen [Zinkoxidöl DAC (NRF 11.20.), Zinkoxid-Neutralöl 50% (NRF 11.113.)], Salben, Cremes [Zinkoxid-Liniment 25% (NRF 11.109.)], Pasten [Zinkpaste DAB, Weiche Zinkpaste DAB, Zinkoxid-Paste 50% mit Bismutgallat 10% (NRF 11.112.)] und Schüttelmixturen [Zinkoxidschüttelmixtur DAC (NRF 11.22.), Zinkoxid-Emulsionsschüttelmixtur 18% (NRF 11.49.)]. Es wirkt schwach adstringierend und antiseptisch und wird meist in Konzentrationen zwischen 5 und 50 Prozent eingesetzt.

Dünnflüssiges Paraffin

Paraffinum perliquidum bzw. dünnflüssiges Paraffin ist eine flüssige Mischung gereinigter, gesättigter Kohlenwasserstoffe aus Erdöl. Es dient in halbfesten Zubereitungen als Fettkomponente oder zur Herabsetzung der Viskosität der zähen Vaseline. Langkettige, gesättigte Kohlenwasserstoffe wie im Paraffin kommen im Fettmuster der menschlichen Haut nicht vor. Sie gelten daher nicht als hautaffin. Angesichts der Indikation Windeldermatitis und der Applikation auf eine Babyhaut erscheint das dünnflüssige Paraffin in der Beispielrezeptur wenig adäquat. Denn die frühkindliche Haut besitzt noch kein so ausgebildetes Stratum corneum wie die Haut eines Erwachsenen, sie hat daher noch eine geringere Barrierefunktion. Daher sollten bei kleinen Kindern nur solche Salbengrundlagen und Hilfsstoffe eingesetzt werden, die möglichst keine Noxen darstellen. Problematisch erscheinen z. B. allergenes, pestizidhaltiges Wollwachs, okkludierende Kohlenwasserstoffe, Cetylstearylalkohol, PEG- bzw. Macrogol-haltige Emulgatoren und Konservierungsstoffe. Außerdem begünstigen flüssige und halbfeste Paraffine in lipophilen Cremes die typische partielle Okklusion der W/O-Grundlage.

Hautaffiner sind dagegen pflanzliche Öle, die chemisch betrachtet Triglyceride, also Ester ungesättigter Fettsäuren mit Glycerin darstellen. Ungesättigte Fettsäuren kommen in relativ hoher Konzentration in den sogenannten NMF (natural moisturizing factors) vor. In Rezepturen können z. B. Mandelöl, Avocadoöl, Erdnussöl, Nachtkerzensamenöl, Borretschöl und Jojobaöl eingesetzt werden. Letzteres ist ein flüssiges Wachs.

Suche nach Grundlage

Zur Behandlung einer Windeldermatitis oder einer Hautentzündung bei einem Baby oder Kleinkind erscheint die Rezeptur nicht konsequent konzipiert. Während Guajazulen und Zinkoxid als antiphlogistische Wirkstoffe indiziert erscheinen, wurden die Grundlagenbestandteile nicht kinderspezifisch ausgewählt. Bei der Wahl eines adäquaten Vehikels muss der besondere Hautzustand berücksichtigt werden.

Dicht abschließende Windeln führen zu Feuchtigkeits- und Wärmestau. Sie schaffen ein Treibhausklima, in dem sich auf der geschädigten Haut Pilze und Hefen ansiedeln und gut vermehren können. Die Okklusion sollte daher weitgehend aufgehoben und nicht durch das Vehikelsystem weiter gefördert werden. Daher kommen total okkludierende Systeme wie hydrophobe Salben, Oleogele, Lipogele oder Pasten auf Kohlenwasserstoff-Basis nicht infrage. Doch scheiden auch hydrophile Systeme wie hydrophile Cremes aus. Sie könnten zwar flüssige Exsudate in sich emulgieren und so die nässenden Stellen austrocknen, O/W-Cremes mit eingearbeiteten Wirkstoffen würden aber durch den ständigen Zutritt von Urin zu schnell von der Applikationsstelle weggewaschen werden.

Kompromisslösung

Vor diesem Hintergrund stellt ein W/O-System einen vertretbaren Kompromiss dar. Dies schafft keine totale, sondern nur eine mäßige Okklusion und kann immerhin langsam flüssige Exsudate aufnehmen. Zudem schützt es die Haut mit seiner wasserabweisenden, lipophilen Außenphase vor den negativen Einflüssen des Urins. Wegen der Pestizid-Belastung und der Allergenität sollte in der Beispielrezeptur jedoch eine wollwachsfreie Alternative gesucht werden. Dafür bietet sich zunächst die folgende wollwachsfreie, Wasser-aufnehmende Salbe vom W/O-Typ bzw. W/O-Absorptionssalbe aus dem DAC an:

Emulgierendes hydrophobes Basisgel DAC


Triglycerindiisostearat 10,0 g

Isopropylpalmitat 8,0 g

Hydrophobes Basisgel DAC 82,0 g


In dem Hydrophoben Basisgel DAC ist allerdings 95% dickflüssiges Paraffin enthalten. Wenn man jedoch für die kindliche Haut in einer optimierten Formulierung konsequent ohne jede Paraffine auskommen will, so muss eine solche Grundlage in der Apotheke hergestellt werden, da ein Vehikel mit diesen Anforderungen auf dem Markt nicht existiert:

Wollwachs- und paraffinfreie Wasser-aufnehmende Salbe vom W/O - Typ


Cera alba 18,0 g

Triglyceroldiisostearat 10,0 g

Oleum neutrale 4,0 g

Oleum amygdal. ad 100,0 g


Die Konsistenz dieser Salbe kann über die Menge an gebleichtem Bienenwachs gesteuert werden.

Da in dieser Grundlage bereits ausreichend süßes Mandelöl enthalten ist, muss kein weiteres pflanzliches Öl an die Stelle des dünnflüssigen Paraffins in der Beispielrezeptur hinzugegeben werden.

Optimierungsmöglichkeit


Rp. (optimiert)

Guajazulen 0,02 g

Zinkoxid 10,0 g

Glycerin 5,0 g

Aqua dest. 24,3 g

Cera alba 10,9 g

Triglyceroldiisostearat 6,1 g

Oleum neutrale 2,4 g

Oleum amygdal. 41,3 g


Eine in diesem Sinne optimierte Rezeptur sieht dann wie im Kasten "Optimierungsmöglichkeit" beschrieben aus. Zunächst sollte die W/O-Emulsion auf dem bekannten warmen Wege hergestellt und erst bei Zimmertemperatur das Zinkoxid und Guajazulen eingearbeitet werden.

Da die lipophile Creme nicht konserviert ist, beträgt die Aufbrauchfrist laut NRF nur vier Wochen in einer Tube. Für eine längere Verwendung müsste nachkonserviert werden. Hierzu bietet sich Propylenglycol an, das in einer Konzentration von 20 Prozent bezogen auf die Wassermenge (= 4,86 g) eingesetzt werden kann.


Literatur

[1] Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 2011, 262., neu bearbeitete, erweiterte Auflage, Walter de Gruyter Verlag Berlin, New York, S. 2236

[2] Ammon, H. P. T., Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch, 10. Auflage, Walter de Gruyter Verlag Berlin, New York 2010, S. 1809

[3] ebenda, S. 1832

[4] Reimann, H., Emulgiervermögen von Wollwachsalkoholsalbe. Pharm Ztg 1993; 128: 114


Autor
Dr. rer. nat. Gerd Wolf,

Fachapotheker für Offizinpharmazie,

Robert-Koch-Apotheke,

Fauviller Ring 1,

53501 Grafschaft-Ringen,

Fax: (0 26 41) 75 76 20,

E-Mail: robert-koch-apotheke@pharma-online.de

Rezepturprobleme erkennen und lösen


In der DAZ 30/2010 hatte Dr. Gerd Wolf ein praxisorientiertes Konzept zum Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen vorgestellt und die Anwendung an einem Beispiel erläutert. Die Vorgehensweise wird in weiteren Beiträgen vertieft. Bislang sind erschienen:



DAZ 2011, Nr. 3, S. 48

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