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Anwalt für das Arzneimittel und seine Hersteller sein
DAZ: Was erwarten Sie sich von Ihrer neuen Herausforderung beim BAH?
Weiser: Der BAH ist aus meiner Sicht einer der am besten aufgestellten Pharmaverbände mit einer hohen Servicequalität, ein Dienstleister im wahrsten Sinne des Wortes. Gemeinsam mit dem Vorstand, den Mitgliedsunternehmen und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle möchte ich das fortsetzen und weiterentwickeln, was unter meinem Vorgänger Dr. Mark Seidscheck in vorbildlicher Weise aufgebaut und angelegt worden ist. Das ist eine spannende und zugleich herausfordernde Aufgabe, denn seit dem GKV-Modernisierungsgesetz und der weitgehenden Herausnahme der OTC-Arzneimittel aus der GKV-Erstattung im Jahr 2004, tritt der Verband auch für die Interessen der rezeptpflichtigen Arzneimittel ein. Zu unserer Klientel gehören heute neben dem breiten deutschen Mittelstand zudem die Generikahersteller und auch international tätige Unternehmen. Der BAH ist demnach erheblich breiter aufgestellt als früher. Dies hat aber in der Konsequenz auch dazu geführt, dass der Verband bei den Gesprächspartnern aufseiten der Krankenkassen und Behörden sowie auf der politischen Ebene erheblich an Gewicht gewonnen hat.
DAZ: Fühlt der Verband sich nun auf allen Ebenen ausreichend stark und gerüstet?
Weiser: Der BAH gilt wohl für viele auch heute noch als der Selbstmedikationsverband, aber auch im Bereich der erstattungsfähigen, verschreibungspflichtigen Arzneimittel haben wir schon lange festen Boden unter den Füßen. So hat der BAH beispielsweise federführend den Leitfaden zum Generikaabschlag erarbeitet und war und ist als einer der vier maßgeblichen Herstellerverbände an den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zur Umsetzung der aus dem GKV-Änderungsgesetz und AMNOG resultierenden gesetzlichen Regelungen beteiligt. Insofern wird der BAH seinem eigenen Anspruch, alle Geschäftsfelder gleichermaßen zu bedienen, durchaus gerecht.
Hinzu kommt, dass ich beim BAH eine sehr gut funktionierende Geschäftsstelle vorgefunden habe, mit engagierten und fachlich bestens aufgestellten Mitarbeitern. Auch die Zusammenarbeit mit dem Vorstand, den Verbandsgremien und den Mitgliedsunternehmen funktioniert reibungslos. Gerade die kurzen Wege sind für mich eine der großen Stärken des BAH.
DAZ: Der GKV-Spitzenverband und die pharmazeutischen Industrieverbände haben kürzlich ihre Gespräche über eine Rahmenvereinbarung zur Verhandlung von Erstattungsbeträgen für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen erfolgreich beendet. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Weiser: Ja, wir haben nach intensiven Verhandlungen einen für beide Seiten tragfähigen und gangbaren Kompromiss erzielen können. Das heißt, die formellen und inhaltlichen Regelungen für die künftigen Einzelverhandlungen zwischen den Arzneimittelherstellern und dem GKV-Spitzenverband stehen im Grundsatz. Damit ist sichergestellt, dass für die ersten Preisverhandlungen, die voraussichtlich im Januar 2012 beginnen werden, eine solide Grundlage vorliegt. Lediglich in der Frage der europäischen Vergleichspreise sind wir uns noch nicht einig und haben daher gemeinsam die Schiedsstelle angerufen. Mit der frühen Nutzenbewertung und den Erstattungsverhandlungen betreten wir in Deutschland Neuland. Wichtig ist mir, dass es bei den anstehenden Verhandlungen wie vom Gesetzgeber gewollt zu einem fairen Interessensausgleich zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen kommt. Das heißt im Hinblick auf die europäischen Vergleichspreise, dass nur solche Länder als Vergleich herangezogen werden dürfen, die über eine vergleichbare wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wie Deutschland verfügen und dem Euro-Raum angehören. Denn aufgrund der allgemeinen Preisreferenzierung in Europa könnte über die Länder mit erheblich schwächeren Volkswirtschaften ein Preisverfallsautomatismus in Gang gesetzt werden, der im Einzelfall für ein Unternehmen nicht mehr vertretbar ist. Das könnte dazu führen, dass Hersteller sich dazu entschließen, ein neues Arzneimittel in Deutschland überhaupt nicht in den Verkehr zu bringen.
DAZ: Auf seiner Jahresversammlung im September in Berlin hat der BAH eine Image-Kampagne für das Arzneimittel und die dahinter stehende Industrie angekündigt. Gibt es hierzu schon konkrete Planungen?
Weiser: Ich bin der Auffassung, dass das Arzneimittel in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu schlecht wegkommt. Meist werden nur die Kosten und mögliche Risiken in den Vordergrund gestellt, weniger der Nutzen für den individuellen Patienten und das Gemeinwohl, getreu dem Motto "Only bad news are good news". Hier wollen wir tatkräftig gegensteuern, und zwar sowohl für die OTC- als auch für die rezeptpflichtigen Arzneimittel. Slogans wie "Selbstmedikation braucht Zukunft" oder "Gesundheit gibt es auch rezeptfrei" könnten im Bereich der Selbstmedikation erste Ansatzpunkte sein.
Insgesamt wollen wir alles daran setzen, das Image des Arzneimittels und der Arzneimittelhersteller zu verbessern. Vor allem aber gilt es mit der Mär aufzuräumen, dass die Arzneimittel die Hauptursache für steigende Kassenbeiträge sind und dass sich damit durch Einsparungen im Arzneimittelbereich die stets klammen GKV-Finanzen sanieren ließen. Wir Arzneimittel-Hersteller wollen endlich von Betroffenen zu Mitgestaltern werden. Als BAH stehen wir für einen konstruktiven Dialog und einen fairen Interessensausgleich im Gesundheitswesen. Das wollen wir fortführen und Anwalt für das Arzneimittel und seine Hersteller sein. Für unsere angekündigte Offensive sind konkrete Vorhaben angedacht, aber noch nicht spruchreif.
DAZ: Der OTC-Arzneimittelmarkt ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Wo sehen Sie Chancen und Ansatzpunkte für eine Wiederbelebung des Marktes?
Weiser: Dass man hier durchaus etwas machen kann, zeigen unsere Erfahrungen mit dem Grünen Rezept, das sehr gut angenommen wurde und mit dem immerhin eine gewisse Stabilisierung erreicht werden konnte. Dazu haben wir in erster Linie die Apotheker und Ärzte mit ins Boot geholt. Aber wir wollen auch die Patienten auf diesem Weg mitnehmen, und zwar mit unserem neuen Konzept des Selbstmedikationsbudgets.
DAZ: Könnten Sie dieses Konzept etwas näher erläutern?
Weiser: Die Idee besteht darin, den Versicherten einen bestimmten Euro-Betrag zur Verfügung zu stellen, bis zu dessen Höhe sie in der Apotheke selbstgekaufte Arzneimittel erstattet bekommen. Ein solches Selbst medikationsbudget könnte im Rahmen der Grundversorgung angeboten werden. Bei der praktischen Umsetzung sollen die Apotheker eine maßgebliche Rolle spielen, und zwar über eine obligatorische Beratung in der Apotheke als Voraussetzung für die Erstattung. Diese könnte über einen "Beratungsschein" dokumentiert werden. Im Falle einer Arztkonsultation könnte alternativ auch das Grüne Rezept für den Erstattungsanspruch verwendet werden. Durch sein persönliches Selbstmedikationsbudget wird der Patient unabhängiger von eigenen finanziellen Erwägungen für oder gegen eine Selbstbehandlung. Er kann eigenverantwortlich handeln, und man traut ihm auch etwas zu.
DAZ: Wie steht es mit der Umsetzung eines solchen Budgets?
Weiser: Wir haben hierzu bereits eine sehr positive Resonanz von Apotheker- und Kassen-Seite bekommen und sind im Gespräch mit einer großen Krankenkasse, die sehr darauf drängt, zu einem gemeinsamen Konzept für ein solches Budget zu kommen. Um das Vorhaben inhaltlich auf eine gute Basis zu stellen, lassen wir gerade eine Patientenbefragung durchführen. Der nächste Schritt könnte dann ein Modellprojekt mit einer Kasse sein.
DAZ: Welche Hoffnungen setzen Sie insgesamt in die neue Option der Erstattung von OTC-Arzneimitteln als eine Satzungsleistung der GKV?
Weiser: Grundsätzlich weckt das Versorgungstrukturgesetz mit dieser Neuregelung durchaus die Hoffnung, dass die Selbstmedikation bald wieder etwas mehr Rückenwind bekommen könnte. In der Industrie kündigt sich übrigens angesichts dessen schon so etwas wie ein neuer Aufbruch an. Ich halte es aber für einen "Webfehler" des Gesetzentwurfes, dass nur diejenigen Arzneimittel, die der Gemeinsame Bundesausschuss nicht explizit von der Versorgung in der GKV ausgeschlossen hat, als Satzungsleistung erstattet werden können. Damit wäre beispielsweise die Nicotinersatztherapie als "Life Style-Arzneimittel" auch im Rahmen von Satzungsleistungen nicht erstattungsfähig und das, obwohl gerade diese Präparate zu den am besten belegten OTC-Produkten überhaupt gehören.
Insgesamt bietet sich den Kassen aber die Chance, sich über ihre OTC-Erstattungsangebote im Wettbewerb um die Versicherten differenzieren zu können, und das ist primär zu begrüßen.
DAZ: Der BAH hat in der Vergangenheit immer wieder mit Einzelinitiativen, wie dem Grünen Rezept, der Kampagne zur Raucherentwöhnung, usw. von sich reden gemacht. Gibt es neue "Spezial-Projekte"?
Weiser: Hier möchte ich unsere kürzlich gestartete Initiative "Kinderarzneimittel" nennen, mit der die Datenlage und Anwendungssicherheit im Bereich Pädiatrie gefördert werden sollen. In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens feststellen, dass für uns nicht recht nachvollziehbar ist, warum Arzneimittel mit einer neu erworbenen ergänzenden Zulassung zur Anwendung bei Kindern, einer PUMA, sich wegen des quasi innovativen Charakters auch noch einer Nutzenbewertung unterziehen sollen. Angesichts der Tatsache, dass wir auf diesem Gebiet eine gesundheitspolitisch anerkannte Mangelsituation haben, sollte doch bei vielen PUMAs der Nutzen bereits auf der Hand liegen.
Ein andere Sektor, der meines Erachtens viel zu wenig Beachtung findet, sind Neuentwicklungen bei bekannten Stoffen, wie etwa neuartige Darreichungsformen oder sonstige Neuentwicklungen zur Verbesserung der Therapie. Auch hier wollen wir uns verstärkt dafür einsetzen, dass diese adäquat wahrgenommen und honoriert werden.
DAZ: Als Berufskollege mit ABDA-Erfahrung sind Sie aus Apothekersicht die ideale Besetzung für Ihren neuen Posten. Wo sehen Sie Berührungspunkte, wo eventuell auch Konfliktpotenzial mit der Apothekerschaft?
Weiser: Natürlich waren und sind die Apotheker für die Arzneimittelhersteller immer ein besonders wichtiger Partner. Ich will aber nicht verhehlen, dass es aus BAH-Sicht auch kritische Punkte in unserem Verhältnis gibt.
Nehmen wir das ABDA-KBV-Modell als Beispiel. Das Konzept besteht aus drei Säulen. Eines davon ist das Medikationsmanagement. Das können wir natürlich voll mittragen, denn die Leistung der Apotheker als Arzneimittel-Fachleute und Compliance-Manager ist ein Garant für eine sachgerechte Anwendung von Arzneimitteln. Schwieriger wird es dann schon bei dem Medikationskatalog, der vorrangig für die Indikationen der Grundversorgung ein bis zwei Leitsubstanzen pro Wirkstoffklasse und daneben Reservewirkstoffe auflisten soll, um eine einheitliche und leitliniengerechte Versorgung sicherzustellen. Ich halte das für eine viel zu starke Standardisierung der Therapie, und das im Zeitalter der individualisierten Medizin. Wenn man zudem diesen Ansatz konsequent zu Ende denkt, dann steht zu befürchten, dass es sich für die Hersteller der sogenannten "Reservewirkstoffe" wirtschaftlich nicht mehr lohnen könnte, diese für nur noch geringe Patientenzahlen auf dem Markt zu halten. Das kann nicht im Sinne des Arztes und des Patienten sein, der übrigens bei einer solchen Vorgehensweise vollkommen übergangen wird. Das dritte Element, die Wirkstoff-Verordnung, die ja bereits möglich ist, lehnen wir ebenfalls grundsätzlich ab, weil sie die Therapiefreiheit des Arztes einschränkt und eine Reihe haftungsrechtlicher Fragen aufwirft.
DAZ: Wo sehen Sie Schwerpunkte der Zusammenarbeit mit der Apothekerschaft?
Weiser: Wir laden die Apothekerschaft herzlich ein, mit uns gemeinsam in die Offensive zu gehen und sich gegen die Bagatellisierung und für die Werthaltigkeit des Arzneimittels einzusetzen. Denn Fortschritte und Erfolge in diesem Bereich können wir nach unserer Wahrnehmung nur im partnerschaftlichen Miteinander erreichen. Schließlich sitzen wir in Sachen Arzneimittel alle in einem Boot. Ich möchte die Apotheker an dieser Stelle auch noch einmal dazu ermuntern, die Informationsangebote seitens der Arzneimittelhersteller zu ihren Präparaten auch abzurufen. Wir haben nicht nur die Hardware, sprich das Fertigarzneimittel, sondern wir stellen auch die Software, sprich vielfältige Informationen zu unseren Arzneimitteln.
Insgesamt wünschen wir uns auch in der Zukunft weiterhin eine konstruktive und fachliche Diskussion, nicht nur mit den Apothekern, sondern auch den Krankenkassen, um praxistaugliche Konzepte für die Umsetzung unserer beschriebenen Visionen zu entwickeln.
DAZ: Letzte Frage: Bleibt der BAH auch unter Martin Weiser in Bonn?
Weiser: Es gibt zu hierzu einen klaren Vorstandsbeschluss, und ich sehe keine Veranlassung, diesen infrage zu stellen. Mit dem Gesundheitsministerium und dem BfArM haben wir unsere Hauptkontakte auf Arbeitsebene hier vor Ort, und für die politische Ebene haben wir unsere Präsenz in Berlin.
DAZ: Herr Dr. Weiser, vielen Dank für dieses Gespräch!
KurzvitaDer neue BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser verfügt über umfassende Erfahrungen in der Industrie. Bevor der 44-jährige Apotheker am 1. Juli 2011 zunächst als Geschäftsführer beim BAH eintrat, war er zuletzt als Leiter Marktzugang und Gesundheitspolitik bei Boehringer Ingelheim tätig. Pharmaverbands-Erfahrung hat er durch die Mitarbeit in Gremien des BAH und des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa) gesammelt. Unter anderem war er als vfa-Vertreter mehrere Jahre im Ver waltungsrat der Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) tätig. Darüber hinaus ist der neue Hauptgeschäftsführer des BAH seit Langem berufspolitisch aktiv. In seiner Funktion als Vorsitzender der Fachgruppe der Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (Fachgruppe WIV-Apotheker) gehörte er mehr als sieben Jahre lang dem Gesamtvorstand der ABDA an. |
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