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Fortbildungskongress
Das Phänomen Schmerz
Von der Entstehung bis zur Wahrnehmung
Grundsätzlich werden der nozizeptive und der neuropathische Schmerz unterschieden, wobei es häufig Mischbilder gibt. Beim nozizeptiven Schmerz liegt eine tatsächliche Schädigung oder Erkrankung eines Organs oder Gewebes vor, während der Nerv, der die Schmerzsignale weiterleitet, intakt ist. Beim neuropathischen Schmerz hingegen ist die Nervenfaser selbst geschädigt oder erkrankt. Das geht oft mit einer Schädigung eines Gewebes oder Organs einher, ist aber nicht zwingend so.
Zu den nozizeptiven Schmerzen gehören neben dem akuten Warnschmerz auch Entzündungsschmerzen, beispielsweise bei rheumatischen und arthritischen Erkrankungen. Zu den neuropathischen Schmerzen werden beispielsweise Trigeminus-Neuropathien, viele Tumorschmerzen und eine Vielzahl der Rückenschmerzen gezählt.
Grundlagen der Schmerzentstehung
Die schmerzempfindenden Nozizeptoren sind sehr komplex aufgebaut und noch nicht endgültig erforscht. Die sensorischen Endigungen der Nervenfasern können oft von verschiedenen, potenziell schädlichen Reizen, beispielsweise Druck, Hitze und verschiedenen chemischen Substanzen, stimuliert werden; sie sind polymodal.
Nozizeptive Schmerzen werden wohl durch transduktorische Ionenkanäle wie TRPV1 ausgelöst. Dieser Kanal wird unter anderem durch Hitze, Säure, Ethanol und Capsaicin, den Scharfstoff der Chili, geöffnet und führt über spannungsabhängige Ionenkanäle zu einem Aktionspotenzial.
Neuropathische Schmerzen sind eher mit Membranrezeptoren assoziiert. Die Aktivierung eines solchen Rezeptors, beispielsweise für Neurotrophine wie den Nerve Growth Factor NGF oder proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, führt über Second-Messenger-Systeme zu einer erhöhten Öffnungswahrscheinlichkeit der spannungsabhängigen Ionenkanäle.
Eine Senkung der TNF-α-Konzentration durch Etanercept oder Infliximab führt zu einer Reduktion der Hyperalgesie. Dabei tritt die analgetische Wirkung so schnell ein, dass die Entzündung noch nicht abgeklungen ist, es handelt sich also nicht um eine Folge der entzündungshemmenden Wirkung dieser Pharmaka.
Periphere Sensibilisierung
Bei der peripheren Sensibilisierung wird die hohe Erregungsschwelle der Nervenfaser gesenkt. So reagieren Nozizeptoren in einem entzündeten Areal schon auf leichten Druck oder Wärme mit Schmerz. Von Hyperalgesie spricht man, wenn eine Noxe zu einem zu hohen Schmerzempfinden führt, von Allodynie, wenn Schmerz durch nicht-schädliche Reize ausgelöst wird.
Ektope Entladungen
Durch Nervenläsionen kann es zu sogenannten ektopen Entladungen kommen. Dabei kommt es, ausgelöst durch eine Expressionsveränderung der Ionenkanäle (v. a. Na+ - und K+ -Kanäle), durch Entzündungsmediatoren (Zytokine und NO) und/oder durch eine Aktivierung durch das sympathische System zu einer unmotivierten Erregung der Nervenfaser.
Schmerzhemmung
Neben dem aufsteigenden, afferenten nozizeptiven System gibt es auch ein absteigendes, deszendierendes System, welches die Schmerzwahrnehmung stark beeinflusst. Es wird vermutet, dass das deszendierende System für den Großteil der Placebo-Wirkungen gegen Schmerzen verantwortlich ist.
Beim nozizeptiven Schmerz überwiegt im absteigenden System die hemmende Wirkung, das heißt der Schmerz wird vom Gehirn abgeschwächt. Allerdings kann es im Krankheitsverlauf, vor allem bei chronischen Schmerzen, zu einer Reduktion der endogenen Antinozizeption kommen. Bei neuropathischen Schmerzen wirkt das absteigende System dagegen oft verstärkend.
Prinzipielle Therapieansätze
Bei peripherer Sensibilisierung sollte eine Intervention direkt im betroffenen Gelenk, Gewebe oder Organ stattfinden. Hilfreich kann eine Senkung der Zytokin-Konzentration, z. B. von TNF-α, sein. Gegen ektope Entladungen kann die (Über-) Erregbarkeit der Nervenfasern, z. B. mit Antiepileptika, gesenkt werden. Bei einer zentralen Sensibilisierung können COX-2-Hemmer und Opiate im Rückenmark das absteigende System modulieren. Wenn das absteigende System schmerzverstärkend wirkt, kann die zentrale Verarbeitung gedämpft werden. Ein neuer Ansatz ist, die absteigenden inhibitorischen Effekte zu verstärken.
DAZ 2012, Nr. 7, S. 63
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