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Deutscher Apothekertag 2013
Hü oder hott?
Als „überholt“ hat die grüne Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink die Position ihres Spitzenkandidaten Jürgen Trittin zum Mehrbesitz bei Apotheken bezeichnet. Trittin hatte im Juni in einem Gastbeitrag der Springer-Zeitung „Die Welt“ Bündnis 90/Die Grünen als die wahren Liberalen („We are the liberals! Freiheit für alle!“) darzustellen versucht und die Abschaffung von zehn Verboten gefordert, u.a. bei Adoptionen für Lebenspartnerschaften, der Mitnahme von Fahrrädern im ICE und eben beim „Mehrfachbesitz bei Apotheken“. Offensichtlich wollte Trittin mit seiner disparaten „Freiheits-Liste“ den Vorwurf entkräften, seine Partei wolle den Bürger immer mehr gängeln und bevormunden. Immerhin hatten die Vorschläge zum „Veggie-Day“ in Kantinen, zu Tempolimit und Lkw-Maut auf Autobahnen und zur Umweltabgabe für Plastiktüten die Umfrageergebnisse der Grünen in den Keller sausen lassen. Und außerdem schien das Thema geeignet, sich gegenüber Union und FDP „ordnungspolitisch“ zu profilieren. Trittin: „Schwarz-Gelb blockiert das Prinzip des freien Marktes, wir sind die Partei des Wettbewerbs. Die schwarz-gelbe Überregulierung des Arzneimittelmarktes muss fallen.“ Nahezu wortgleich plapperte kurz darauf Claudia Roth das Statement ihres Spitzenkandidaten in einem dpa-Interview nach. Auch damit wollte die Parteichefin dem negativen Verbotsimage ihrer Partei entgegenwirken.
Mit deutlichen Worten distanzierte sich Klein-Schmeink nun auf dem Apothekertag von ihren beiden Parteifreunden. Auch andere Grüne waren zuvor schon auf (vorsichtige) Distanz zu Trittin/Roth gegangen. Klein-Schmeink, die in der letzten Legislaturperiode auch dem Gesundheitsausschuss angehörte, in Richtung ihres grünen Spitzenkandidaten: „Es gibt beim Mehrbesitz manchmal in der Zuspitzung Rückgriffe auf alte Positionen. Das ist bedauerlich.“ Keiner der grünen Gesundheitspolitiker wolle eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bei Apotheken. Damit liegt Klein-Schmeink auf einer Linie mit der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Barbara Steffens, die sich in der Vergangenheit regelmäßig für die wohnortnahe inhabergeführte Apotheke und gegen renditegetriebene Apothekenketten von Kapitalgesellschaften ausgesprochen hatte. Und selbst die grüne gesundheitspolitische Sprecherin Biggi Bender, in der Vergangenheit eine glühende Verfechterin von Apothekenketten, hatte im Februar dieses Jahres in einem Interview mit dem Aktuellen Wirtschaftsdienst für Apotheken (AWA) angekündigt, das Thema Fremd- und Mehrbesitz bei Apotheken ad acta zu legen, solange es nicht aus der Apothekerschaft wieder aufgegriffen werde.
Wohin die apothekenpolitische Reise mit Bündnis 90/Die Grünen in Zukunft geht, ist nach wie vor offen. Noch scheut sich die Partei, eine eindeutige Position für oder wider das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu beziehen. Dabei wird, so scheint es, der innergrüne Kampf zweier Linien eher im Verborgenen ausgetragen. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl wurden Apotheken mit keinem Wort erwähnt. Dass dieses (beredte) Schweigen Anlass für Misstrauen ist – wen wundert’s? Fest steht: Beim Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken sind Bündnis 90/Die Grünen tief gespalten und unsichere Kantonisten: Auf der einen Seite die Gesundheitspolitiker, die – auch im Hinblick auf Erfahrungen im Ausland – die Überlegenheit einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung mit inhabergeführten Apotheken anerkennen, auf der anderen Seite das frühere und aktuelle Führungspersonal von Joschka Fischer über Renate Künast und Claudia Roth bis Jürgen Trittin, das sich entlang populistischer Ressentiments an Apotheken und ihrer „übermächtigen Lobby“ abarbeitet – auch um den Preis, damit in Widerspruch zu ihrer eigenen Gründungsgeschichte (Dezentralität, kleine Wirtschaftseinheiten, Basisnähe) zu geraten. Oder sind es inzwischen doch eher Gründungsmythen?
Auf Dauer dürfte es nicht ausreichen, wenn grüne Gesundheitspolitiker Aussagen ihrer Altvorderen kurz vor Wahlen und auf Apothekertagen mit der Bemerkung zu relativieren versuchen, dass selbigen im Eifer des Gefechts eben der Gaul durchgegangen sei. Um im Bild zu bleiben: Hü oder hott – darauf hätten wir dann doch gerne alsbald eine verlässliche Antwort!
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