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My Tomorrows will Todkranken nicht zugelassene Arzneimittel verfügbar machen
Ein Blick in die Webseite von my Tomorrows gibt Aufschluss über das vorhandene und das zu erwartende therapeutische „Notfall-Reservoir“ für ansonsten austherapierte Fälle. Dieses ist auf den ersten Blick beeindruckend. Für Krebserkrankungen zahlreicher Organe und Körperregionen, aber auch für verschiedene Arten depressiver Störungen, darunter schwere, refraktäre, therapieresistente oder atypische Depressionen kann der Dienst den Patienten offenbar bereits jetzt etwas bieten. Dahinter verbergen sich laut FAZ fünf Präparate, zehn neue würden bis Ende 2014 erwartet.
Ein Beispiel
Klickt man als nicht-registrierter Nutzer etwa auf „ atypische Depression“, so öffnet sich ein Fenster, in dem die derzeit zugelassenen Behandlungsoptionen dargestellt werden. Dann wird das Angebot von my Tomorrows hierfür beschrieben. Patienten, die an schweren Depressionen (major depressive disorder) leiden und die mindestens bereits zwei verschiedene Medikamente aus verschiedenen Antidepressiva-Gruppen erfolglos versucht haben, sollen eine Behandlung mit einem MAO-Hemmer bekommen können, der kontinuierlich in niedrigen Dosen über einen transdermalen Patch freigegeben wird. Die Namen der Entwicklungspräparate werden auf der Webseite aus werberechtlichen Gründen nicht genannt.
Wie funktioniert das Verfahren?
Die Anforderung einer Fast-Track-Behandlung (d. h. einer frühen Anwendung einer nicht zugelassenen Therapie) muss sowohl vom Patienten als auch vom behandelnden Arzt eingeleitet werden. Nach Registrierung auf der Webseite erhalten Interessierte zunächst Zugriff auf allgemeine Informationen. Nur der Arzt kann auf Wunsch weitere Infos wie anonymisierte reale Behandlungsdaten von anderen Patienten, die die entsprechende Behandlung bereits begonnen haben, bekommen. Er darf die Ergebnisse aber mit dem Patienten austauschen. Entschließen sich beide zu der Medikation, so übermittelt der Arzt die Anforderung an my Tomorrows, das dann die notwendige Anfrage an die Aufsichtsbehörden richtet. Nach Erteilung der Genehmigung und Bezahlung des Arzneimittels veranlasst my Tomorrows, dass dieses schnellstmöglich an die abgebende Apotheke geliefert wird.
Was passiert mit den Daten?
Die bei der Behandlung erzielten Ergebnisse werden in anonymisierter Form unter Beachtung des Datenschutzes anderen interessierten Ärzten zugänglich gemacht. So soll für alle ein größtmöglicher therapeutischer Benefit erzielt werden. Des Weiteren erhalten die Firmen, die die Arzneimittel entwickeln, Zugang zu den Daten und damit wertvolle Erkenntnisse über deren Anwendung unter „real-life“-Bedingungen. In diesem Zusammenhang tritt my Tomorrows Befürchtungen entgegen, dass die Schwerkranken unfreiwillig als „Versuchskaninchen“ der Pharma-Entwickler missbraucht würden: Alle Vorgänge bewegten sich ohne Einschränkungen im Einklang mit internationalen Bestimmungen zur frühen Anwendung nicht zugelassener Therapien.
Wer zahlt?
So lange ein Arzneimittel nicht zugelassen ist, verdient my Tomorrows laut eigener Aussage nichts an seinem Service. Es hat aber vermutlich auch kaum Auslagen, denn die Patienten müssen finanziell für den Aufwand aufkommen, der durch die Beschaffung der Medikation entsteht. Ob das Arzneimittel erstattet werden kann, müssen die Betroffenen selbst mit ihrer Versicherung klären.
Und wer verdient?
Erst nach Erteilung der Zulassung für das jeweilige Arzneimittel profitiert das Unternehmen von seinem Geschäftsmodell, und zwar über eine geringe Gebühr („a small royalty“), die es vom Entwickler des Arzneimittels erhält. Bislang sind die Vertragspartner meist kleine, innovative Biotech- und Pharma-Unternehmen. Sollte jedoch eine größere Firma an der Teilnahme an dem Service interessiert sein, so werde man diese Chance ebenfalls „mit beiden Händen“ ergreifen, heißt es.
My Tomorrows bezeichnet sich selbst als „sozialer Unternehmer”. Man glaube an das freie Unternehmertum und an Organisationen, die in der Lage sind, sich selbst zu finanzieren. Während eine gesunde Ertrags-orientierte Haltung Innovation schaffe, riskierten gut gemeinte Non-profit-Organisationen Bürokratie und Ineffizienz, meinen die Verantwortlichen bei my Tomorrows. Gleichwohl wolle man sich nicht auf Kosten der Patienten bereichern.
Auf seiner Webseite hat der Service einen umfangreichen, aber leider thematisch nicht sortierten Frage-und Antwort (Q&A)-Katalog eingestellt, der den Patienten Hilfe und Orientierung geben soll. Hier geht es unter anderem um Fragen wie: Woher weiß ich, ob eine Fast-Track-Behandlung für mich geeignet ist? Was mache ich, wenn mein Arzt nicht mit zieht? Darüber hinaus werden die Patienten darauf hingewiesen, dass sie die Risiken, die mit der bislang fehlenden Zulassung verbunden sind, akzeptieren müssen. So könne es zu schweren, bislang unbekannten Nebenwirkungen kommen und das Medikament könne sich eventuell als unwirksam erweisen.
In absehbarer Zeit will my Tomorrows auch nach Deutschland liefern, berichtete die FAZ. Dabei muss es die hiesige rechtliche Situation beachten (siehe nachfolgenden Kasten).
Rechtliche Situation
Compassionate use-Programme ermöglichen es den Ärzten, bei Patienten mit einer Erkrankung, die zu einer schweren Behinderung führen würde oder als lebensbedrohend gilt und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufriedenstellend behandelt werden kann, aus humanen Erwägungen ein nicht zugelassenes Arzneimittel einzusetzen. Für dieses Präparat muss allerdings die Zulassung bereits beantragt sein, oder es muss sich in der klinischen Prüfung befinden. Die Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) und der eigens hierzu erlassenen Verordnung (Arzneimittel-Härtefall-Verordnung, AMHV) beziehen sich ausschließlich auf die Behandlung von Patienten-Gruppen. Härtefall-Programme müssen bei der Arzneimittelbehörde (BfArM, PEI) beantragt werden, was normalerweise durch den Hersteller geschieht. Ist die Genehmigung erteilt, kann der Arzt das Arzneimittel beim Hersteller anfordern. Danach muss er die Anwendung genau erfassen und dem Hersteller das anonymisierte Behandlungsprotokoll für die wissenschaftliche Auswertung zustellen. Auf diese Weise können weitere Erkenntnisse über das Arzneimittel gewonnen werden. Der Hersteller muss sein Medikament kostenfrei zur Verfügung stellen.
Individuelle Heilversuche mit nicht zugelassenen Arzneimitteln sind im Gegensatz zum compassionate use an Patienten-Gruppen im AMG nicht geregelt. Sie unterliegen nur der unmittelbaren Verantwortung des Arztes. Er muss den Hersteller dann ebenfalls selbst um Belieferung mit dem Medikament bitten.
Off-label-Gebrauch (Off-label-use) beschreibt den Einsatz eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb seiner durch die Zulassung festgelegten Anwendungsbedingungen, d. h. etwa in einer anderen Indikation oder bei einer anderen Altersgruppe. Der Off-label-use ist zwar durch die Therapiefreiheit des Arztes gedeckt, aber nicht nur für ihn, sondern auch für das betroffene Pharmaunternehmen mit haftungsrechtlichen Risiken behaftet. Zudem kann es zu Problemen bei der Erstattung durch die Krankenkassen kommen.
In einigen Indikationsgebieten (z.B. in der Onkologie) und bei bestimmten Patientengruppen (z.B. bei Kindern) gehört der Off-label-Gebrauch zum Alltag. Manchmal liegen hier sogar die Standardtherapien im Off-label-Bereich, denn die Patienten könnten ansonsten gar nicht adäquat behandelt werden. Die Pharma-Unternehmen sind verpflichtet, den Off-label-use ihrer Präparate zu erfassen, zu dokumentieren und ggf. gegenüber den Behörden anzuzeigen.
Literatur
Webseite vom https://www.mytomorrows.com/ Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 03.03.2014
Verordnung über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne Genehmigung oder ohne Zulassung in Härtefällen (Arzneimittel-Härtefall-Verordnung - AMHV) vom 14. Juli 2010. BGBl. I S. 935.
Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa, www.vfa.de). Mitteilungen vom 13.12.2013 und vom 03.03.2014
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