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Leitbild
Erst den Anspruch an sich selbst definieren
VdPP-Stellungnahme zur Leitbilddebatte
Zentral ist aus unserer Sicht ein ethischer Anspruch an die eigene Arbeit und den Umgang mit Patientinnen und Patienten. Der Grundsatz einer zukunftsweisenden Berufsethik als Vertrag zwischen Pharmazie und Gesellschaft muss sein: Die Interessen der Patienten sind in den Mittelpunkt der eigenen Arbeit zu stellen. Als freie Heilberuflerinnen und Heilberufler haben die Apothekerinnen und Apotheker einen gesellschaftlichen und gesetzlichen Auftrag im Gemeinwohlinteresse. Mit diesem Gemeinwohl-Auftrag sind Pflichten verbunden, die vor allem die verschiedenen gesetzlichen Schutzmechanismen für die öffentliche Apotheke rechtfertigen, zuvorderst das Mehr- und Fremdbesitzverbot. Wenn die Apothekerinnen und Apotheker sich selbst zuerst als Kaufleute verhalten, stellen sie dieses Konstrukt selbst infrage, und die „Apotheke der Zukunft“ droht letztlich ganz anders auszusehen. Das Ziel, das Patienteninteresse in den Mittelpunkt zu stellen, muss herausgeholt werden aus der Floskel-Ecke, aus der sich Vertreter jeder (berufs)politischen Ausrichtung gern und folgenlos bedienen können. Die Konsequenz („Der Patient steht im Mittelpunkt und da stört er“) darf nicht unsere sein!
Wissenschaftlichkeit in der Apotheke
Neben vielen anderen Aspekten ist die Berücksichtigung wissenschaftlicher Diskussionen und Erkenntnisse in der täglichen Arzneimittelversorgung, insbesondere Beratungs- und Herstellungsarbeit wichtig. Die bisherige Leitbild-Diskussion ließ vermissen, welche Rolle wissenschaftliche Erkenntnisse und gerade auch das Fehlen dieser spielen. Anders als durch den Fragebogen auf www.leitbildprozess.de suggeriert wurde, ist nicht nur das Wissen um neue Arzneimittel und Forschungstrends entscheidend, sondern auch das Problembewusstsein von der bisher fehlenden Aufarbeitung der wissenschaftlichen Evidenz in der Selbstmedikation, einem der zentralen Zuständigkeitsgebiete von Offizin-Apotheken. Eine zukunftsfähige Apotheke braucht unbedingt eine Weiterentwicklung der evidenzbasierten Pharmazie (EbP). Die von allen Beteiligten gerne betonte Heilberuflichkeit und der Einsatz von Arzneimitteln als „besonderes Gut“ erfordern eine wissenschaftlich fundierte Unterfütterung. Diese kann nicht allein darin bestehen, dass die Abgebenden ein Pharmaziestudium absolviert haben, sondern vor allem darin, dass das verfügbare und gesicherte Wissen den Patienten in geeigneter Form vermittelt wird, so dass sie sich informiert entscheiden und mit der Selbstmedikation und ihren gesundheitlichen Problem umgehen können. Es ist gemeinsame Aufgabe des Berufsstandes, dieses verfügbare Wissen zu sammeln und zu bewerten. Selbstverständlich kann das nicht in jeder einzelnen Apotheke durchgeführt werden. Wir brauchen daher endlich evidenzbasierte Leitlinien, mindestens aber fundierte Informationen zu den wichtigsten Selbstmedikations-Arzneimitteln und ihrem patientenrelevanten Nutzen.
Umgang mit Interessenkonflikten
Eng verknüpft mit dem vorherigen Punkt ist die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Interessenskonflikten. Ein entscheidender Teil der akkreditierten Kammerfortbildungen wird noch immer von der pharmazeutischen Industrie veranstaltet, die unter dem Deckmantel der Fortbildung Werbeveranstaltungen durchführen. In den Forumsbeiträgen wurde deutlich, dass die Apothekerschaft nicht die Notwendigkeit zur Fortbildung in Frage stellt, sondern von den Kammern mehr Angebote „mit Substanz und Inhalt“ einfordert. Gleichzeitig müssen der Kernkonflikt zwischen kaufmännischer Rolle und Heilberuflichkeit sowie der Umgang damit ernsthaft diskutiert werden. Die Apotheke der Zukunft muss die Partner der Patientinnen und Patienten sein – nicht Partner der Industrie.
Diese Positionierung als Heilberuf muss für den Patientin bzw. den Patienten klar erkennbar sein, was durch die momentane Schaufenstergestaltung der meisten Offizinapotheken allerdings verhindert wird. Immerhin soll die öffentliche Apotheke der Zukunft soll laut Standesführung als Schaufenster in die Öffentlichkeit fungieren.
Wir erwarten von einer aufgeschlossenen und verantwortungsbewussten Standesführung, dass sie sich diesen Herausforderungen stellt und erhoffen uns als Ziel der breiten Diskussion hier dringend Handlungsempfehlungen, wie sie für Ärztinnen und Ärzte längst selbstverständlich und rechtsverbindlich sind.
Mit anderen kooperieren
Zu diskutieren gilt es auch über die Rolle der in öffentlichen Apotheken arbeitenden Apothekerinnen und Apotheker in der Gesellschaft. Als Anregung fand sich auf der Diskussionsplattform die Frage nach Stellenwert und Bedeutung von Arzneimittelversorgung und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Auf diesem Gebiet müssen wir Apothekerinnen und Apotheker uns viel stärker einbringen als wir das bisher tun, wenn wir in Zukunft nicht nur als reine Logistiker angesehen werden wollen. Voraussetzung dafür sind gute und ständig erweiterte Kenntnisse in Pharmakologie und klinischer Pharmazie, aber auch Kenntnisse über die Strukturen und Entwicklungen in der Arzneimittelversorgung allgemein und im Gesundheitswesen, denn das Arzneimittel kann niemals isoliert betrachtet werden. Deshalb muss auch ein Weg der Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegepersonal gefunden werden, in dem die Sicherheit der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt steht und Kompetenzgerangel vermieden wird. Auch die bessere Vernetzung mit anderen Akteuren, insbesondere Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen ist essentiell, um die Position und Kompetenz von Patientinnen und Patienten zu stärken. Gerade angesichts steigender Polypharmazie und des damit verbunden erhöhten Risikos von Wechsel- und Nebenwirkungen, aber auch angesichts intensivierter zielgruppenspezifischer Arzneimittelwerbung und entwickelter Gesundheitsindustrie, müssen Einzelne viel stärker als bisher zu einem informierten Umgang mit Arzneimitteln befähigt werden. Auch hier ist die Apotheke der Zukunft ganz besonders in der Pflicht.
Als niedrigschwellige Anlaufstellen müssen Apotheken nicht nur im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung in Zukunft eine größere Rolle spielen. Auch sollten sie in Public-Health-Netzwerke eingebunden sein und ihre große Reichweite nutzen, um einerseits Patienten über passende lokale Projekte und Beratungsangebote zu informieren, von denen diese ansonsten häufig nichts erfahren. Andererseits verfügt das Personal in Apotheken durch den engen Kontakt zur Bevölkerung über Informationen zu Problemlagen einzelner Bevölkerungsgruppen sowie Kenntnisse über Herausforderungen, die durch die Kommune im lokalen Umfeld bewältigt werden müssen. Diese Informationen sollten unbedingt in lokale Public Health-Netzwerke einfließen, damit die Gesundheitspolitik darauf reagieren kann. Um diese wichtige Aufgabe wahrnehmen können, muss das Personal der Apotheken geschult sowie das Bewusstsein für die Notwendigkeit funktionierender lokaler Public Health-Netzwerke geschärft werden.
Gestaltungsmöglichkeiten nutzen
Betrachtet man den parallel zum Leitbildprozess stattfindenden Start des AMTS-Projekts „IDrug“ des BfArM – in welchem die Zusammenarbeit mit Hausärzten, klinischen Pharmakologen und Pharmakoökonomen, jedoch nicht mit Apothekern im Vordergrund steht – müssen wir uns fragen, warum die Offizinapothekerinnen und -apotheker für die Umsetzung der Arzneimittelsicherheit nicht zur Kenntnis genommen werden. Und was die Apothekerschaft hier nicht an Selbstdarstellung, sondern an Engagement versäumt hat. Irritiert nimmt der VdPP immer wieder zur Kenntnis, dass die Apothekerschaft und ihre Führung bei wichtigen arzneimittelpolitischen Debatten auf jeden Gestaltungsanspruch verzichten, sofern nicht direkt die Interessen der Apothekerinnen und Apotheker betroffen sind.
Kaum ein Wort gab es zur Abschaffung der Nutzenbewertung von Arzneimitteln des Bestandsmarkts im aktuellen 14. SGB V-Änderungsgesetz. Gerade die Nutzenbewertung hilft aber der Fachöffentlichkeit, zu der wir Apothekerinnen und Apotheker uns als Arzneimittel-Experten zählen möchten und sollten. Wie viele Stellungnahmen hat die Apothekerschaft in den Verfahren der frühen Nutzenbewertung abgegeben? Reichen uns die Hochglanz-Handreichungen der pharmazeutischen Hersteller aus? Oder ist das doch nur die Sache der Ärzte, wenn es um rezeptpflichtige Arzneimittel geht? Und wie steht die Apothekerschaft eigentlich zu Arzneimittelzuzahlungen und ihren Auswirkungen auf die Versorgungsqualität? Welche Erfahrungen machen die Apotheken mit Patientinnen und Patienten, die auf Arzneimittel verzichten müssen, weil sie sich die Zuzahlung nicht leisten können? Wo war sie bei der Debatte um Korruption im Gesundheitswesen? Alles auch für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung (das ist unser gesetzlicher Auftrag!) wichtige Themen.
Das Leitbild ist letztlich eine Frage des Selbstbildes und des eigenen beruflichen und gesellschaftlichen Gestaltungsanspruchs. Die bisherige Debatte verlief weit entfernt von solchen Überlegungen – und führt vielleicht gerade deswegen momen-tan eher ins Leere. Welch verpasste Chance das wäre!
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