- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 15/2015
- Die „chlorreichen
Feuilleton
Die „chlorreichen Sieben“
Nützlich, heilsam, schädlich, gefährlich
Jeder kennt sie, die „glorreichen Sieben“, die Männer eines weltberühmten Westerns. Aber wer kennt die chlorreichen Sieben, die sieben wichtigsten Chlorverbindungen des Alltags?
Beginnen wir diesen Essay mit sechs Aspekten des Chlors, das uns im Alltag – je nachdem – begleitet, beschützt, nützt, belästigt, tötet oder heilt.
Begleiten. Elementares Chlor war ein Zusatz zum Trinkwasser (seit 1991 ist die „Schutz-Chlorung“ in Deutschland unzulässig) und findet sich heute noch im Wasser vieler Schwimmbäder, dort auch in Form von Hypochlorit-produzierenden Verbindungen, deren Funktionsprodukt als „aktives Chlor“ bezeichnet wird.
Beschützen. Der Chlorzusatz im Wasser schützt vor pathogenen Keimen wie Viren und Bakterien, die durch Chlor abgetötet werden.
Nützen. Von großem Nutzen waren Chlor und reaktive Chlorverbindungen zum Bleichen, anfangs vor allem von Wäsche, später bevorzugt von Zellstoff für die Papierherstellung.
Zur Desinfektion benutzt man Chlorkalk (Calcium-chlorid-hypochlorit), Eau de Javelle oder Eau de Labarraque (Lösungen von KOCl bzw. NaOCl). Alternative Verfahren haben das Chlor hier weitgehend verdrängt.
Lästig, gesundheitsschädigend und umweltbelastend sind chlorhaltige Lösemittel und Verbindungen vom Typ des Lindans (γ-Hexachlorcyclohexan, γ-HCH) und des Dioxins (2,3,7,8-Tetrachlor-dibenzo-dioxin; s. Grafik), die als Pestizide Verwendung fanden und finden.
Im Ersten Weltkrieg, genauer am 22. April 1915, wurde in der Nähe der flandrischen Stadt Ypern Chlorgas als chemische Waffe eingesetzt. Ferner besteht der Verdacht, dass syrische Regierungstruppen im Mai 2014 die gleiche C-Waffe benutzten.
Heilen. Viele therapeutisch wertvolle Arzneistoffe sind chlorierte, organische Verbindungen. Dabei muss unterschieden werden,
- ob das Chlor an einen Aromaten (Benzolring o. ä.) gebunden und schwer davon abzutrennen ist oder
- ob es aliphatisch gebunden und leicht zu hydrolysieren bzw. zu metabolisieren ist.
Die chlorreichen Sieben des Alltags sind mit ihren prozentualen Chlorgehalten in Tabelle 1 zusammengestellt.
Bezeichnung | Summenformel | Atommasse | Chlorgehalt |
---|---|---|---|
Tetrachlormethan(Tetrachlorkohlenstoff) | CCl4 | 153,8 | 91,5% |
Trichlormethan(Chloroform) | CHCl3 | 122,4 | 86,9% |
Dichlormethan (Methylenchlorid) | CH2Cl2 | 84,9 | 83,8% |
Lindan (γ-HCH) | C6H6Cl6 | 290,8 | 73,1% |
Trichloressigsäure | C2HCl3O2 | 163,4 | 65,1% |
Polyvinylchlorid (PVC) | (C2H3Cl)n | n x 62,5 | 56,0% |
Dioxin | C12H4Cl4O2 | 321,9 | 44,0% |
Betrachtet man die chlorhaltigen Arzneistoffe, die in der soeben erschienenen 8. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs monografiert sind, so zählt man ebenfalls sieben (Tab. 2). Aromatisch gebundenes Chlor enthalten die Arzneistoffe Clonidin, Diclofenac und Dicloxacillin (alle mit dem Wortbestandteil „clo“). Die anderen vier Verbindungen enthalten aliphatisch gebundenes, leicht metabolisierbares Chlor.
Arzneistoff | Summenformel | Atommasse | Chlorgehalt |
---|---|---|---|
Chloralhydrat | C2H3Cl3O2 | 165,4 | 64,3% |
Chlorbutanol | C4H7Cl3O | 177,5 | 59,3% |
Clonidin* | C9H9Cl2N2 | 230,2 | 39,8% |
Diclofenac* | C14H11Cl2NO2 | 296,1 | 23,7% |
Chlorambucil | C14H19Cl2NO2 | 304,2 | 23,3% |
Chloramphenicol | C11H12Cl2N2O5 | 323,1 | 22,9% |
Dicloxacillin* | C19H17Cl2N3O5S | 498,3 | 14,3% |
* Chlor an Aromaten gebunden |
Die Chlorierung aromatischer Verbindungen erhöht meistens deren Lipophilie und metabolische Stabilität. So werden z. B. Diclofenac zu 70 Prozent und Clonidin zu 80 Prozent unverändert ausgeschieden. Diclofenac ist neben Carbamazepin der in Abwässern und im Klärschlamm am meisten zu findende Arzneimittelrückstand. Seine Rückstände in Tierkadavern sind für Geier tödlich.
Die chlorierten aliphatischen Verbindungen werden teilweise zu toxischen Metaboliten abgebaut. Im Chlorambucil stellen die N-gebundenen Chlorethylgruppen sogar alkylierende Funktionen dar.
Legt man die Gesamtmenge an Chlor zugrunde, die für die Herstellung chlorierter organischer Verbindungen verwendet wird, so dient ein Drittel davon der Synthese des Vinylchlorids, das zu PVC polymerisiert wird. Zahlreiche chlororganische Zwischenprodukte werden für die Synthese von anderen chlorfreien und chlorhaltigen Kunststoffen, Arzneistoffen oder Pestiziden benötigt. Einer im Jahr 1995 erstellten Statistik zufolge wurden 85 Prozent aller Arzneistoffe unter Verwendung von Chlor hergestellt.
|
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.