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Inkontinenz

Mehr Komfort und höhere Sicherheit

Qualität von ­Inkontinenzprodukten – klinisch getestet

Von Agata Henkel | Inkontinenzprodukte sollen dem Betroffenen maximale Sicherheit, Trockenheit und Schutz vor Gerüchen bieten. Zudem sollen sie hautverträglich sein. Ausschlaggebend für ihre Bewertung sind das Aufnahmevermögen, die Aufsauggeschwindigkeit, die Rücknässung und die Atmungsaktivität. In Tests wird überprüft, wie viel Flüssigkeit sie insgesamt aufnehmen ­können, wie schnell die Flüssigkeit aufgenommen wird und wie trocken das Produkt nach der Benässung ist. Die Anbieter von Inkontinenzprodukten haben den Anspruch, den Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu ­werden, und entwickeln ihre Produkte auf Basis dieser Tests weiter. 

Normen für Inkontinenzprodukte

In das medizinische Hilfsmittelverzeichnis werden Inkontinenzhilfsmittel nur dann aufgenommen, wenn sämtliche Produkteigenschaften den Vorgaben des Spitzenverbandes der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) entsprechen:

  • Die Rücknässung bei Urininkontinenz, also bei leichter Blasenschwäche, soll laut GKV-Verzeichnis unter 2 g bei einer Aufsauggeschwindigkeit von mindestens 2,5 ml/s liegen.
  • Saugende Inkontinenzvorlagen für mittlere Blasen­schwäche und saugende Inkontinenzhosen bei schwerer Blasenschwäche sollten bei der Aufsauggeschwindigkeit den gleichen Wert wie bei der Rücknässung haben.
  • Die Aufsauggeschwindigkeit soll bei mittlerer Blasenschwäche mindestens 3 ml/s und bei schwerer Blasenschwäche mindestens 4 ml/s betragen.
  • Die Aufnahmekapazität kann je nach Bedarf von 150 ml bei Urininkontinenz, über 450 bis 900 ml bei mittlerer Blasenschwäche bis 1000 ml bei schwerer Inkontinenz variieren.

Diese vorgegebenen Sollwerte stammen allerdings aus den frühen 1990er-Jahren und ignorieren eine über 20-jährige Weiterentwicklung von Inkontinenzprodukten. Neben der deutlich höheren Saugleistung wurden auch der Hautschutz und der Auslaufschutz wesentlich verbessert.

Aufbau von Inkontinenzhilfsmitteln

Inkontinenzhilfsmittel sind immer nach dem gleichen Prinzip aufgebaut.

Die atmungsaktive Außenschicht aus 100 Prozent Polypropylen, die durch elastische Bündchen an den Beinen und der Hüfte abschließt, lässt keine Flüssigkeit nach außen dringen und umhüllt eine Saugmatte.

Die Saugmatte besteht aus langfaseriger Cellulose und soll die Flüssigkeit möglichst schnell an den Saugkern weiter­leiten, damit die Haut trocken bleibt.

Grafik: SENI

Aufbau eines Inkontinenzhilfsmittels (von innen nach außen); Saugmatte, Saugkern, Außenschicht.

Der Saugkern ist das Herzstück des Inkontinenzhilfsmittels. Er setzt sich aus einem Gemisch aus Cellulose und einem speziellen Flüssigkeitsbinder, dem Superabsorber, zusammen. Der Superabsorber wandelt die aufgenommene Flüssigkeit in Gel um und verhindert so das Auslaufen. Produkte, die über einen Superabsorber verfügen, können bis zum Fünfzigfachen des eigenen Volumens an Flüssigkeit binden und sie auch bei Druck sicher behalten. Der Superabsorber stoppt den Zerfall des Harnstoffes, der sonst durch Bakterien in Ammoniak und Kohlenstoff­dioxid zerlegt wird, und beugt der Geruchsbildung vor. Er schützt den Säureschutzmantel der Haut, wodurch Hauterkrankungen verhindert werden können.

Bis heute werden drei verschiedene Prüfverfahren für Inkontinenzhilfsmittel angewandt:

  • der Test ISO 11948-1 (Rothwell-Methode) und die ­Retentionsmessung (eine Weiterentwicklung),
  • der ABL-Test (Adult Mannequin Test „Absorption Before Leakage“) und
  • die MDS-Methode.

Ältere Testverfahren: Rothwell und ABL

Die Rothwell-Methode berücksichtigt ausschließlich das Flüssigkeitsspeichervermögen des Inkontinenzhilfsmittels. Dieses wird auf einem Gitternetz fixiert und für 30 Minuten in physiologische Kochsalzlösung getränkt. Nachdem es anschließend fünf Minuten abgetropft hat, wird die absorbierte Flüssigkeitsmenge berechnet, indem das ursprüngliche Gewicht vom Feuchtgewicht subtrahiert wird. Je mehr Flüssigkeit das Produkt aufgenommen hat, desto größer ist seine Saugleistung, und desto besser schneidet es in der Gesamtwertung ab.

Die Retentionsmessung ist eine Weiterentwicklung der Roth­well-Methode. Die Retention gibt die Flüssigkeitsmenge an, die dauerhaft im Saugkern des Produktes selbst unter Druck gebunden wird. Sie wird ermittelt, indem das abgetropfte Inkontinenzhilfsmittel nach einer Methode der amerikanischen National Association für Continence (NAFC) geschleudert und danach gewogen wird. Der Schleudergang nach NAFC-Test liegt bei 670 Umdrehungen/min und dauert genau 7,15 min.

Der Wert der Retention ist niedriger als der Wert der Saugleistung nach der Rothwell-Methode und hat eine entscheidende Bedeutung für das Trockengefühl des Benutzers. Die Rothwell-Methode gibt nicht die Realität wieder, da bei ihr das gesamte Produkt in Flüssigkeit getaucht wird. Es wird also davon ausgegangen, dass die ganze Fläche des Produktes benutzt oder beansprucht werden kann. In der Praxis ist dies aber nicht der Fall. Der Betroffene beansprucht am intensivsten die Mitte des Produktes, nicht die Regionen, die hoch bis zum Bauch oder hinten bis zum Gesäß gehen. Die größten Mängel der Rothwell-Methode sind die druckfreie Flüssigkeitsaufnahme und die hohen Schwankungen von bis zu 30 Prozent bei den Ergebnissen des Messverfahrens. Weiter kann das Eintauchen nicht die Miktionen simulieren, und relevante Produktmerkmale wie Passform und Bündchen bleiben unberücksichtigt. Durch den Schleudervorgang wird diese Flüssigkeit entfernt, es bleibt nur übrig, was im Saugkern eingeschlossen ist. Dieses Ergebnis entspricht eher der Realität, auch wenn das Inkontinenzprodukt noch etwas mehr Flüssigkeit aufnehmen kann.

Einige Anbieter haben für ihre Produkte einen Nässeindikator entwickelt, der z. B. durch eine Verfärbung bestimmter Elemente den Wechselzeitpunkt des Produktes präzise bestimmen kann. In der Regel werden die Produkte bei ca. 80 Prozent Flüssigkeitsaufnahme vom Verbraucher gewechselt. Bei dem Testverfahren beläuft sich die Füllmenge auf 100 Prozent und liegt damit etwas höher, als es in der Realität vorkommen würde.

Beim ABL-Test wird das Inkontinenzprodukt an einen anatomisch geformten Torso angelegt. Gemessen wird die Aufnahmefähigkeit an Flüssigkeit im Liegen, Sitzen und in Schräglage, bis das Produkt zu tropfen beginnt. Die Methode ist für Produkte von mittlerer bis hoher Aufnahmekapazität entwickelt und daher nicht für Produkte der leichten Inkontinenzversorgung geeignet. Der Aufwand bei dieser Methode ist verhältnismäßig hoch. Dennoch müssen Rücknässung und Aufsauggeschwindigkeit durch das MDS-Verfahren getestet werden (s. u.).

Beide Testverfahren haben ihre Schwächen hinsichtlich der Praxisrelevanz (Tab. 1). Sie bilden die Realität der Inkontinenz nur schwer nach und ignorieren aus technischen Gründen weitgehend das natürliche Inkontinenzgeschehen.


Tab. 1: Vor- und Nachteile der verschiedenen Testverfahren für Inkontinenzhilfsmittel
ISO 11948-1 Test (Rothwell-Methode)
Absorption Before Leakage (ABL)
MDS-Methode
+ einfacher Versuchsaufbau
+ berücksichtigt Flüssigkeitsspeichervermögen
+ ergebnisorientiert
+ berücksichtigt verschiedene Körperhaltungen
+ extra für Produkte mit mittlerer und hoher Aufnahmekapazität entwickelt
+ untersucht alle wichtigen Faktoren (Rücknässung, Flüssigkeitsaufnahme, Absorption)
  • bis zu 30% Schwankungen bei den Messergebnissen
  • druckfreie Flüssigkeitsaufnahme
  • Produktmerkmale werden nicht berücksichtigt
  • nicht für Produkte der leichten Inkontinenzversorgung geeignet
  • Aufwand verhältnismäßig hoch
  • beachtet nicht alle Produktmerkmale
  • Testverfahren teilweise nicht nah genug an realen Inkontinenz­bedingungen

Kombination: die MDS-Methode

Aufwendiger und umfassender ist die MDS-Methode, die vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) gefordert wird. Die MDS-Methode kombiniert Elemente der beiden ersten Testverfahren, um alle wesentlichen Aspekte der Inkontinenzhilfsmittel zu untersuchen: nicht nur das Aufnahmevermögen, sondern auch die Aufsauggeschwindigkeit und die Rücknässung (Tab. 1). Dieser Test ist für Inkontinenzprodukte, die in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden, vorgeschrieben.

Um das Aufnahmevermögen zu ermitteln, werden quadratische Prüfstücke aus dem Inkontinenzhilfsmittel geschnitten und auf eine spezielle Unterlage gelegt, die die Ränder verschließt. Jedes Prüfstück wird einzeln in eine Lösung getaucht, wieder herausgenommen und dann mit einem simulierten Körpergewicht beschwert, wodurch überschüssige Flüssigkeit abtropfen kann. Der Mittelwert der Gewichtszunahme aller Proben in Relation zum gesamten Saugpolster ergibt schließlich das Aufnahmevermögen.

Die Aufsauggeschwindigkeit oder Absorptionsgeschwindigkeit gibt an, wie schnell die Flüssigkeit vom Inkontinenzprodukt aufgenommen wird. Je schneller dies geschieht, desto geringer ist die Auslaufgefahr. Eine kurze Aufsaugzeit bedeutet einen kurzen Kontakt der Flüssigkeit mit der Haut, wodurch die Gefahr vor Hautirritationen verringert wird. Einige Anbieter verwenden eine spezielle Vliesschicht, um die Aufsaugzeit zu verkürzen (z. B. „Extra Dry System“, EDS). Sie sorgt für eine schnelle Flüssigkeitsverteilung in den Saugkern und verbessert dadurch die tatsächliche Saugstärke. Um die Aufsauggeschwindigkeit feststellen zu können, werden die Prüfstücke wie beim ersten Test vorbereitet und mit einer Stahlplatte saugseitig beschwert. Anschließend werden 5 ml Prüflösung in die Einfüllöffnung gegeben und die Zeit gemessen, bis die Lösung vollständig versickert ist; aus den Mittelwerten errechnet sich die Aufnahmegeschwindigkeit.

Der zweite Versuchsaufbau wird weiter verwendet, um den Grad der Rücknässung zu ermitteln, d. h. die Flüssigkeitsmenge, die aus dem Saugkern zurück an die Oberfläche des Produktes gelangt. Je geringer die Rücknässung ist, desto kleiner ist die Gefahr einer Hautreizung. Hierfür werden ­Filterpapiere vor der Messung gewogen, um ihr Trocken­gewicht zu erhalten. Mit Gewichten beschwert liegen die Filterpapiere auf den Inkontinenzhilfsmitteln – die Gewichte sollen das Körpergewicht simulieren. Je weniger das Filterpapier nach dem Test wiegt, desto geringer ist die Rücknässung. Produkte mit EDS haben eine geringere Rücknässung.

Lyssy-Analyse

Anhand der Lyssy-Analyse kann man die Atmungsaktivität von Inkontinenzhilfsmitteln testen. Dabei werden die Außenmaterialien bezüglich der Dampfdurchlässigkeit geprüft. Das Lyssy-Messgerät hat zwei separate Bereiche, einen für das trockene und einen für das nasse Produkt. Die Materialprobe des Inkontinenzhilfsmittels wird zwischen beiden Bereichen platziert. Bei angepasster Temperatur und passendem Luftdruck wird gemessen, wie viel Dampf durch die Materialien durchdringt. Der gemessene Wert muss zwischen 1000 und 2500 g/m²/24 h liegen. Je niedriger der Wert ist, desto weniger atmungsaktiv ist das Produkt.

Entwicklung von besseren Produkten

Die beschriebenen Testverfahren ermöglichen es den Anbietern, effektivere Inkontinenzhilfsmittel mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zu entwickeln. Die optimierten Produkte dienen vor allem den Patienten, aber auch den Kostenträgern, denn sie können die Häufigkeit von Blasenentzündungen, Pilzinfektionen und Hautirritationen verringern und damit auch notwendige medizinische Behandlungen reduzieren.

Fazit

Das MDS-Testverfahren ist ein enormer Fortschritt gegenüber der Rothwell-Methode und soll durch die Weiterentwicklung und Kombination verschiedener Testverfahren realistische Ergebnisse ermöglichen. Allerdings versäumt es auch diese Testmethode, weiterhin wichtige Faktoren zu berücksichtigen. Als Repräsentant für das gesamte Produkt wird ein zerschnittenes Probestück verwendet, wodurch wichtige Strukturen zerstört werden, die für die Flüssigkeitsverteilung innerhalb des Produktes verantwortlich sind. Des Weiteren kann das Prüfstück Bereiche enthalten, die normalerweise keiner Flüssigkeit ausgesetzt und somit für eine solche Belastung nicht ausgelegt sind.

Beim Test der Inkontinenzhilfsmittel sollten die Prüfstücke mit verschiedenen Flüssigkeitsmengen beaufschlagt werden, um eine leichte, mittlere oder schwere Inkontinenz zu imitieren. Ebenso muss das Produkt wie in der Realität einem Druck (Gewicht) ausgesetzt werden. |


Autorin

Agata Henkel, Leitung Kommunikation bei SENI

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