Aus den Ländern

Ein bunter Strauß Phytopharmaka

Apotheken-Sortiment auf Präparate beschränken, deren Wirksamkeit belegt ist

POTSDAM (rr) | Der Winter ist vorbei, die Tage werden wieder länger. Apothekenmitarbeiter aus Brandenburg gingen trotz schönem Frühlingswetter am vergangenen Samstag in den Fortbildungssaal der Landesapothekerkammer in Potsdam und frischten ihr Wissen über pflanzliche Arzneimittel auf. Großes Interesse galt einem Newcomer, der gar nicht mal so neu ist: Cannabis sativa.

Für das Thema „Rationale Phytotherapie“ hatte die Landesapothekerkammer Brandenburg ein kompetentes Referenten-Duo eingeladen: Dr. Mario Wurglics, Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Dr. Christian Ude, Stern-Apotheke Darmstadt, spielten sich an diesem Fortbildungstag unterhaltsam die Bälle zu. Aus fachlicher Sicht grenzen sich Phytopharmaka klar von Nahrungsergänzungsmitteln ab und lassen sich auch nach dem Grad ihrer Evidenz weiter differenzieren. Die beste Datenlage haben rationale Phytopharmaka, deren Wirksamkeit wissenschaftlich überprüft und nachgewiesen wurde. Für traditionelle Phytopharmaka fehlt der Wirksamkeitsbeleg, ihre Anwendung basiert ­allein auf langjährigen Erfahrungen. Die Palette an Präparaten ist groß und wird zunehmend unübersichtlicher. Nicht selten kommt es vor, dass ein Kunde den Preisvergleich eines apothekenpflichtigen oder freiverkäuflichen Arzneimittels mit Produkten aus dem Drogeriemarkt anbringt. Diesen kann die Apotheke mit guten Argumenten begegnen, etwa, dass diese Billigprodukte häufig viel zu niedrige Wirkstoffgehalte aufweisen. Die Referenten ermunterten die Anwesenden dazu, gleich am Montag das Sortiment in der Apotheke einer kritischen Prüfung zu unterziehen – nach dem Motto: Reicht die Evidenz für eine Empfehlung? – und das Portfolio zu verschlanken.

Foto: LAK Brandenburg
Die Referenten Dr. Christian Ude (li.) und Dr. Mario Wurglics.

ZNS-wirksame Phytotherapie

Johanniskraut zählt zu den am besten untersuchten Arzneipflanzen, sein Inhaltsstoffspektrum ist gut charakterisiert. Die Datenlage spricht klar dafür, Johanniskraut als Therapieoption bei leichten bis mittelschweren Depressionen in Betracht zu ziehen. Allerdings muss die Tagesdosis bei 900 mg eines quantifizierten Extrakts liegen, für den Methanol oder Ethanol 50 bis 80% als Auszugsmittel verwendet wurde (gemäß Ph. Eur. 8). Von Präparaten mit niedrigeren Dosisempfehlungen sollte abgeraten werden. Irreführend sind Bezeichnungen wie „hoch­dosiert: 1000 mg Johanniskraut/Tag“: Derartige Produkte enthalten bei genauerem Hinsehen so gut wie gar keine wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe. In der Beratung sollte unbedingt nach einer eventuellen Komedikation gefragt werden, denn das Interaktionspotenzial des starken CYP-Induktors Johanniskraut darf nicht unterschätzt werden. Mit klinischen Konsequenzen ist erwiesenermaßen bei gleichzeitiger Anwendung von Immunsuppressiva, Antikoagulanzien und Zytostatika zu rechnen.

Die gute Nachricht über Baldrian-Präparate: Sie sind sehr gut verträglich und verursachen keine Wechselwirkungen. Die schlechte Nachricht: Ihre Wirksamkeit ist nicht eindeutig belegt. Die Studienlage ist ausreichend, einen Therapieversuch bei leichten nervösen Spannungszuständen und Schlafstörungen zu unternehmen. Allerdings sollten nur Präparate ausgewählt werden, die einen standardisierten Extrakt mit dem Auszugsmittel Ethanol 40 bis 70% (V/V) enthalten, für den es eine HMPC-Monografie gibt. Eine Wirkung gegen Angststörungen konnte bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.

In dieser Indikation hat Lavendel einiges mehr an Evidenz zu bieten. Das einzige als Arzneimittel zugelassene Lavendelöl-Präparat enthält einen Arzneibuch-konformen Extrakt mit 80% Linalool und Linalylacetat in Summe. Es wirkt zwar nicht sedierend, verbessert aber die Schlafqualität. Die Wirksamkeit bei Angststörungen ist wissenschaftlich eindeutig belegt, fand aber noch keinen Eingang in die Leitlinien. Die Indikation Angststörungen geht mit einem hohen Beratungsbedarf einher. Es muss erkannt werden, wann die Grenzen der Selbstmedikation erreicht sind.

Auch für den Einsatz von Ginkgo-Präparaten bei beginnenden kognitiven Störungen sieht die Datenlage gut aus. Das A und O ist dabei die Auswahl eines Präparats mit dem Arzneibuch-konformen Extrakt EGb 761® mit der Dosierung zweimal täglich 120 mg – unabhängig von der Indikation. Bei Tinnitus fehlt der Wirksamkeitsbeleg von Ginkgo allerdings nach wie vor.

Foto: LAK Brandenburg
Gut besucht war der Fortbildungssaal im Apothekerhaus in Potsdam.

Newcomer Cannabis

Cannabis sativa ist zwar auch eine Arzneipflanze, jedoch nicht vergleichbar mit Pfefferminze, Kamille und Co. Lange Zeit in Deutschland verboten, sind Cannabis-Blüten und ihre Zu­bereitungen seit dem 10. März 2017 verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Die Datenlage ist dennoch dürftig. Die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) initiierte Begleiterhebung, die für die kommenden fünf Jahre angelegt ist, soll Klarheit bringen. Dr. Ude stellte die wichtigsten Neuerungen vor, die Apotheken betreffen: Welche Angaben gehören auf das Rezept? Was ist bei der Prüfung und der Verarbeitung von Blüten zum Rezepturarzneimittel zu beachten? Wie ist die Kostenfrage geregelt? Zur letzten Frage empfahl Ude, den Patienten zu fragen, ob die Krankenkasse die Genehmigung zur Therapie erteilt hat, und gegebenenfalls beim Arzt nachzuhaken. Einen Anruf bei der Krankenkasse hält er aber für wenig sinnvoll. Die GKV prüft derzeit, die elektrischen Verdampfer, die für die inhalative Anwendung von Cannabis-Blüten empfohlen werden, in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen. |

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