Wer bin ICH?

Wie die gute alte Darmflora und die Mikrobiota das Individuum prägen


Von Ilse Zündorf und Theo Dingermann | Wenn wir morgens in den Spiegel schauen, sehen wir (meistens) in ein vertrautes Gesicht – das ist aber nur ein kleiner Teil von uns. Nur der kleine Teil unserer geschätzt zehn bis 100 Billionen Körperzellen, die unsere Oberfläche und den Bildausschnitt im Spiegel ausmachen. Was wir ebenfalls nicht sehen sind die mindestens genauso vielen Einzeller, die unseren Körper besiedeln. Meist sind das Bakterien, aber auch Pilze, Viren und Archaeen leben in oder auf uns und tragen dazu bei, dass wir sind, was wir sind. In den letzten Jahren wurden interessante Entdeckungen gemacht, was unsere Mitbewohner alles bewirken.


Mit der Entwicklung eines damals noch recht einfachen Mikroskops durch den niederländischen Wissenschaftler Antoni van Leeuwenhoek und den damit durchgeführten, ersten Untersuchungen von Zahnbelag und Eiter, wurde bereits im 17. Jahrhundert die Besiedelung des menschlichen Körpers mit Mikroorganismen entdeckt. Nachdem man damals diese Kleinstlebewesen noch nicht so recht klassifizieren konnte, wurden sie kurzerhand dem Pflanzenreich zugeteilt, und man sprach gemeinhin von der Mundflora, Darmflora, Vaginalflora etc. Heute weiß man besser, dass wir uns keine Pflanzen an und im Körper halten, und man spricht allgemein von „Mikrobiota“, also der Gesamtheit aller Mikroorganismen in einem bestimmten Lebensraum, was nicht nur die Bakterien, sondern auch Viren, Pilze und Archaeen einschließt. Häufig wird dieser Begriff synonym mit Mikrobiom verwendet, wobei das „Mikrobiom“ streng genommen noch zusätzliche Faktoren aus dem Habitat mit umfasst, sich also nicht nur auf die Organismen selbst beschränkt.

Das humane Mikrobiom-Projekt

Mit der Bearbeitung des humanen Genomprojekts wurde deutlich, dass die menschlichen Gene nur einen Bruchteil der im Körper enthaltenen genetischen Informationen ausmachen. Schließlich gibt es mindestens genauso viele Einzeller in und auf unserem Körper wie Körperzellen. Wie genau das Verhältnis von Bakterien- zu Humanzellen ist, wird immer wieder diskutiert und meist mit 10 : 1 angegeben. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass dieses Verhältnis eher in Richtung 1 : 1 tendiert. Dennoch übersteigt die Anzahl der Gene der Mikroorganismen um ein Vielfaches die ca. 22.000 menschlichen Gene. Es war also klar, dass auch die Mikro­biota genauer untersucht werden sollte, um ein Gesamtbild vom Menschen zu bekommen. 2008 startete an den National Institutes of Health das humane Mikrobiom-Projekt, um – in Analogie zum humanen Genom-Projekt – einen möglichst umfassenden Katalog aller unserer Mitbewohner aufzustellen. Dabei wurden zwei Ansätze unterschieden: Die Kartierung der Mikrobiota bei gesunden Menschen und daran anschließend die entsprechende Analyse bei kranken Menschen, wobei zunächst Krankheiten ausgewählt wurden, die vermeintlich mit einer veränderten Mikrobiota assoziiert sind. Als Ausgangsmaterial dienten Proben, die direkt an den Habitaten Haut, Urogenitaltrakt, Atemwege, Mundraum gesammelt bzw. über Fäzes indirekt entnommen wurden.

Was war das Ergebnis? Natürlich haben wir an all diesen Stellen Mikroorganismen. Die mit deutlichem Abstand größte Variabilität in der Mikrobiota-Zusammensetzung ist im Darmtrakt zu finden, gefolgt von Zahnbelag und Haut (Abb. 1). Die geringste Vielfalt trat hingegen in den Vaginalabstrichen auf. Innerhalb eines Individuums blieb die Zusammensetzung der untersuchten Mikrobiota auch über mehrere Probeentnahmen recht stabil. Zwischen Individuen bestand jedoch eine enorme Varianz bei den jeweiligen Mikrobiota.

Abb. 1: Durchschnittliche Verteilung der fünf häufigsten Bakteriengruppen nach Whole-Shotgun-Sequenzierung der Mikrobiota-Proben.

Die Darm-Mikrobiota

Gerade die vielfältigen Vertreter der Darm-Mikrobiota sind inzwischen interessante Forschungsobjekte, geht man doch davon aus, dass sie bei zahlreichen Krankheitsbildern in irgendeiner Weise involviert sind.

An der Etablierung unserer Darm-Mikrobiota spielen natürlich unsere Mütter eine entscheidende Rolle. Der Kinderarzt Theodor Escherich hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts postuliert, dass der Darm von Neugeborenen keimfrei ist, und an dieser Meinung wurde lange festgehalten. Mittlerweile mehren sich aber die Erkenntnisse, dass wir bereits in Utero mit Bakterien in Kontakt kommen und über das Fruchtwasser die erste Besiedelung des Darms bevorzugt mit Lactobacillus, Staphylococcus und Enterobacteriaceae erfolgt. Bereits bei den Mekonium-Proben sind die interindividuellen Unterschiede sehr groß, und es ist nach wie vor nicht genau geklärt, inwieweit eine Besiedelung mit bestimmten Bakterienspezies für eine Frühgeburt mitverantwortlich sein könnte.

Die nächste, wichtige Begegnung mit Mikroorganismen findet bei der Geburt statt. Natürlich unterscheidet sich diese Exposition dramatisch, je nachdem ob die Entbindung vaginal erfolgt und bereits Kontakt mit der Vaginal-Mikrobiota (z. B. Lactobacillus, Prevotella oder Sneathia) stattfindet oder per Kaiserschnitt, bei dem das Neugeborene zunächst Bakterien der Haut und des Operationssaals (z. B. Staphylococcus, Corynebacterium oder Propionibacterium) kennenlernt. Ein gewisser Ausgleich kann dadurch geschaffen werden, dass das Neugeborene nach dem Kaiserschnitt noch mit Vaginalflüssigkeit in Kontakt gebracht wird. Insgesamt scheint es für die Diversität der Mikrobiota und für die Etablierung des angeborenen Immunsystems wesentlich besser zu sein, auf natürlichem Weg das Licht der Welt zu erblicken. Mit einer Kaiserschnittgeburt wird ein erhöhtes Risiko, an Asthma, Fettleibigkeit, Zöliakie oder Typ-1-Diabetes zu erkranken, in Zusammenhang gebracht. Bei der Zusammensetzung der Mikrobiota ist auffällig, dass sich nach vaginaler Entbindung wesentlich mehr Bifidobacterium-, Bacteroides- und Lactobacillus-Arten im Darm der Neugeborenen ansiedeln, während sich in Kindern nach Kaiserschnittgeburt eher Clostridien und nicht klassifizierte Enterobakterien breitmachen können.

Die weitere Entwicklung der Darm-Mikrobiota hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem davon, ob die Mutter stillt und ob sie Anti- oder Probiotika zu sich genommen hatte. Aber auch genetische Faktoren des Wirts, die Sauberkeit der Umgebung und das soziale Gefüge, in dem das Kind heranwächst sowie die Impfungen, die ein Kind erhält, beeinflussen die Zusammensetzung der sich etablierenden Mikro­biota. Hatte man ursprünglich auch von der Muttermilch angenommen, dass sie steril sei, weiß man inzwischen, dass ein Baby, das im Schnitt pro Tag 800 ml Milch trinkt, zwischen 1 × 105 Bakterien und 1 × 107 Bakterien vor allem der Gattungen Lactobacillus, Staphylococcus, Enterococcus und Bifidobacterium zu sich nimmt. Zum Teil scheinen diese Bakterien über dendritische Zellen und Makrophagen der Mutter aus ihrem Darm in die Milchdrüse transportiert zu werden. Weitere Komponenten der Muttermilch unterstützen die Ansiedelung der richtigen Mikroorganismen im Darm des Kindes: Vor schädlichen Bakterien schützen Antikörper der Mutter und die nützlichen Bifidobakterien und Laktobazillen werden durch spezielle Oligosaccharide in der Muttermilch angefüttert.

Im Alter von zwei bis drei Jahren hat das Kind eine Mikro­biota, die der eines Erwachsenen entspricht und die sich dann auch nicht mehr dramatisch verändern wird, außer durch massive Eingriffe, wie z. B. einer Antibiotika-Therapie oder einer dramatischen und nachhaltigen Änderung der Ernährung.

Im Darm eines Erwachsenen existieren hunderte bis tausende verschiedene Spezies, die vor allem von den Gruppen der Bacteroidetes und Firmicutes, aber auch Actinobacteria, Proteobacteria und Verrucomicrobia dominiert werden (Tab. 1). Mehr als die Hälfte dieser Gattungen persistieren für mehrere Jahre in ihrem Wirtsorganismus und können sich auch meist nach einer Antibiotika-Therapie wieder recht schnell in ihrer Population regenerieren.

Tab. 1: Zuordnung der Gattungen zu den dominanten Bakteriengruppen in der Darm-Mikrobiota
Bakteriengruppe
Gattungen
Charakteristikum
Firmicutes
Clostridium
baut Resteiweiße ab
Lactobacillus
sorgt für Epithelerneuerung und -integrität
Ruminococcus
setzt Cellulasen frei
Eubacterium
produziert Butyrat
Faecalibacterium
produziert Butyrat
Roseburia
produziert Butyrat
Bacteroidetes
Bacteroides
baut Ballaststoffe ab, produziert Propionat
Prevotella
baut Ballaststoffe ab, produziert Propionat
Xylanibacter
baut Ballaststoffe ab, produziert Propionat
Actinobacteria
Bifidobacterium
Hauptproduzent von Folat
Proteobacteria
Escherichia
produziert über gemischte Säuregärung Essigsäure, Milchsäure und Bernsteinsäure
Desulfovibrio
kann durch anaerobe Atmung Sulfat reduzieren
Verrucomicrobia
Akkermansia
baut Mucus ab

Innerhalb des Darms nimmt die Menge an Bakterien vom Jejunum mit ca. 102 bis 103 Kolonie-bildenden Einheiten/g (cfu/g) über das distale Ileum mit 107 bis 108 cfu/g bis ca. 1011 bis 1012 cfu/g im aufsteigenden Colon zu. Um hierüber jedoch gesicherte Angaben machen zu können, reicht es nicht, die in den gesammelten Stuhl-Proben enthaltenen Bakterien zu analysieren. In den Fäzes-Proben erhält man nur diejenigen Bakterien, die relativ am Ende des Darms und dort im Lumen vorkommen. Demgegenüber sind Mikroorganismen, die sich innerhalb des Darm-Mucus befinden, eher unterrepräsentiert. Der gesamte Gastrointestinaltrakt ist von einer Schleimschicht überzogen, wobei der Mucus im Colon am dicksten ist. Dort lässt er sich in zwei Schichten unterscheiden, wobei die innere dicht und undurchdringlich und deshalb auch steril ist, während der äußere Bereich lockerer und von Bakterien besiedelt ist, die an den verschiedenen O-Glykanen des Schleims binden und sich davon ernähren. Welche O-Glykane im Mucus vorkommen, hängt entscheidend von der enzymatischen Ausstattung des Wirts ab und bestimmt wiederum die Zusammensetzung der Mikrobiota.

Glossar

  • Firmicutes sind überwiegend grampositive Bakterien, die zum Teil Endosporen bilden können. Sie gelten insgesamt als sehr gute Nahrungsverwerter. Im Darm von fettleibigen Menschen sind sie besonders stark vertreten.
  • Bacteroidetes umfassen drei große Gruppen gramnegativer Bakterien, die keine Endosporen bilden und anaerob oder auch aerob leben. Sie gelten als schlechte Nahrungsverwerter und sind im Darm fettleibiger Menschen eher unterrepräsentiert.
  • Actinobacteria sind grampositive Stäbchen, deren Vertreter über vielfältige Stoffwechselwege verfügen und von strikt aerob bis strikt anaerob unter verschiedenen Sauerstoffmilieus wachsen. Einige Bakterien aus der Gruppe sind filamentös und mehrzellig, viele sind in der Lage, Endosporen zu bilden.
  • Proteobacteria beinhalten sehr formenreiche, gramnegative Bakterien, von denen etliche Geißeln zur Fortbewegung besitzen.
  • Verrucomicrobia ist eine relative kleine Gruppe gram­negativer, immobiler Bakterien, die keine Endosporen bilden.

Aufgaben der Darm-Bakterien

Ileostomie-Proben zeigten, dass im Dünndarm vor allem bestimmte Proteobakterien und Clostridium-Arten vorkommen, die das Milieu mit Gallensäuren gut tolerieren. Im Dickdarm kommen überwiegend Bakterien vor, die fermentativ Polysaccharide abbauen können, wie Vertreter aus den Familien Bacteroidaceae und Clostridiaceae.

Insgesamt gehören mehr als 90% der Darmbakterien zu den beiden Gruppen der Bacterioidetes oder Firmicutes (Tab. 1). Die Bakterien im Darm spielen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Schleimhautbarriere, um Nährstoffe wie z. B. Vitamine bereitzustellen oder um gegen Pathogene zu schützen. Vor allem die Bacteroides-Arten sind dafür bekannt, dass sie besonders viele und besonders ausgefallene Gene aufweisen, die für den Polysaccharid-Abbau wichtige Enzyme codieren.

Je nachdem, welche Bakteriengruppe im Darm vorherrscht, lassen sich die jeweiligen humanen Wirtsorganismen verschiedenen sogenannten Enterotypen zuordnen:

  • Bacteroides (Enterotyp 1),
  • Prevotella (Enterotyp 2) oder
  • Ruminococcus (Enterotyp 3).

Allerdings lassen sich eigentlich nur die Enterotypen 1 und 2 halbwegs klar unterscheiden, und inzwischen geht man auch eher von graduellen Zusammensetzungen aus. Ernährt sich der Wirt über längere Zeit überwiegend von Protein und tierischen Fetten, fühlen sich die Bacteroides besonders wohl und produzieren vor allem die Vitamine C, B2, B5 und H. Enterotyp-1-Menschen werden mit einer erhöhten Neigung für eine Adipositas in Verbindung gebracht, da sie die Verwertung der Polysaccharide optimieren. In der Gattung Prevotella überwiegen die Produzenten von Vitamin B1 und Folsäure, die jedoch auch den Mucus im Darm abbauen können und somit für die Entstehung eines Reizdarms (mit-)verantwortlich sein könnten. Der Enterotyp 2 findet sich vor allem bei Menschen, die sich sehr kohlenhydratreich mit eher einfachen Zuckern ernähren.

Aus den Kohlenhydraten entstehen dabei wichtige Metabolite wie die kurzkettigen Fettsäuren (short chain fatty acids, SCFA) Propionat, Butyrat und Acetat. Während Acetat von den meisten Anaerobiern im Darm hergestellt wird, sind Bacteroidetes für die Produktion von Propionat und die Firmicutes für Butyrat zuständig. Butyrat ist bekannt für seine antiinflammatorischen sowie antikanzerogenen Eigenschaften und dient als wesentliche Energiequelle für die Darm-Epithelzellen. Außerdem sorgt Butyrat für eine ausgewogene Regeneration des Darm-Epithels, für dichte tight junctions zwischen den Epithelzellen und für eine ausgewogene Mucin-Synthese, wodurch die Barrierefunktion des Darms verstärkt wird. In der Leber fördern Butyrat und auch Acetat die Lipogenese, während Propionat die Gluconeogenese aktiviert. Sowohl Propionat als auch Butyrat wirken als Histondeacetylase-Inhibitoren und modulieren darüber die Expression verschiedener Gene. Außerdem wirkt Propionat auf die β-Zellfunktion und verringert das Frust-Essverhalten.

Dysbiose und ihre Folgen

Verringert sich die Vielfalt der Mikrobiota oder verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bakteriengruppen, kann zunächst die Barrierefunktion der Darmwand nachlassen. Das kann vor allem zu einer Dysregulation des Immunsystems führen. Mittlerweile sind außerdem Korrelationen zwischen bestimmten Krankheitsbildern und einer Dysbiose bekannt (Tab. 2). Beispielsweise sieht man bei Fettleibigkeit ein erhöhtes Verhältnis von Firmicutes : Bacteroidetes und eine verringerte Vielfalt an Darm­bakterien.

Tab. 2: Die intestinale Mikrobiota kommuniziert mit peripheren Organen im Körper und beeinflusst Prozesse in Gesundheit und Krankheit
Organ
Einflüsse durch die Darm-Mikrobiota
mit einer Dysbiose/mikrobiellen Metaboliten assoziierte Krankheit
Fettgewebe
Adipozytenvolumen
braunes Fettgewebe
Thermogenese
Entzündung
Fettleibigkeit/Insulin-Resistenz
Insulin-Resistenz
Leber
Gallensäure-Metabolismus
Lipogenese
Energieverbrauch
NAFLD/NASH
Pankreas
Insulin-Sekretion
Diabetes mellitus Typ 2
ganzer Körper
Körperwachstum
Unterernährung
kardio­vaskuläres System
Schlaganfall
Atherosklerose
Thrombose
Gehirn
Verhalten
Serotonin-Metabolismus
Blut-Hirn-Schranke
Appetit-Regulation
intestinale Gluconeogenese
Autismus-Spektrum-Störung
Stress-Antwort
metabolisches Syndrom
Lunge
Gen-Expression
allergisches Asthma

Allerdings ist dabei zu bedenken, dass viele Versuche zu diesen Korrelationen bisher an Mäusen durchgeführt wurden und dass die dort erhaltenen Ergebnisse sich erst allmählich beim Menschen bestätigen. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass Lactobacillus-Stämme im Darm Tryptophan zu Indol-3-aldehyd abbauen, was wiederum ein Ligand für den Arylhydrocarbon-Rezeptor auf Zellen des angeborenen Immunsystems ist, der anschließend die Expression des Interleukins 22 (IL-22) steigert und für eine ausgewogene Homöostase des Darm-Epithels sorgt. Bei entzündlichen Darm-Erkrankungen werden zu wenige Liganden für den Arylhydrocarbon-Rezeptor gebildet, was eine Erklärung für den Krankheitsverlauf sein kann. Hier könnte also eine zusätzliche Ansiedelung von Laktobazillen im Darm das Krankheitsbild sowohl von Colitis ulcerosa als auch von Morbus Crohn positiv beeinflussen.

Allerdings wurde auch ein Fehlen des Butyrat-Produzierers Faecalibacterium prausnitzii mit dem Auftreten chronisch entzündlicher Darm-Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Allein dieses Beispiel zeigt, dass meist nicht das Bakterium für das Auftreten der Erkrankung XY verantwortlich gemacht werden kann. Dadurch, dass verschiedene Mikroorganismen die gleichen Metaboliten herstellen, kann das Fehlen eines Bakteriums eventuell durch ein anderes Bakterium kompensiert werden. Derzeit lernen wir noch viele Zusammenhänge zwischen der Mikrobiota und unserer Gesundheit, was auch an der rasanten Vermehrung der einschlägigen Veröffentlichungen zu sehen ist. Aber ist das, was in den verschiedenen Tiermodellen – meist Maus – gesehen wird, auch wirklich relevant für den Menschen? Was ist bei einem gleichzeitigen Auftreten bestimmter Mikroorganismen mit einer Krankheit die Ursache und was ist ein Effekt? Und vor allem: Helfen die aus den möglichen Korrelationen abgeleiteten Therapieempfehlungen dann tatsächlich auch dem Menschen?

Literaturtipp

Wie Darm und Hirn miteinander kommunizieren

Viele Menschen sind überzeugt, dass es „zwei Gehirne“ gibt - eines im Kopf und eines im Bauch. Das Bauchhirn beschreibt ein zweites Nervensystem, das manchmal ein geheimnisvolles Eigenleben zu führen scheint. Beeinflussen die Bakterien im Darm unsere Nerven? Macht der Darm uns mutig oder ängstlich oder depressiv? Vielen Patienten mit Motilitätsstörungen, unspezifischen Beschwerden oder einem aus dem Gleichgewicht geratenen Immunsystem können spezialisierte Neurogastroenterologen helfen. Von denen gibt es aber nur wenige. Mit Paul Enck, Professor für Medizinische Psychologie und Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uni Tübingen, Thomas Frieling, Neurogastroenterologe und Direktor der Medizinischen Klinik der Helios-Kliniken in Krefeld, und Michael Schemann, Humanbiologe an der TU München mit dem Schwerpunkt nervale Regulation gastrointestinaler Funktionen, geben drei ausgewiesene Experten unterhaltsam Einblicke in die faszinierende Neurogastro­enterologie. Für Laien verständlich, aber mit großer wissenschaftlicher Expertise erläutern sie die Beziehungen zwischen Darm und Gehirn.

Paul Enck, Thomas Frieling und Michael Schemann

Darm an Hirn!

Der geheime Dialog unserer beiden Nervensysteme und sein Einfluss auf unser Leben

1. Auflage 2017, gebunden, 176 Seiten, 19,99 Euro,
ISBN: 978-3-451-60015-9

Verlag Herder


Einfach und schnell bestellen

Deutscher Apotheker Verlag, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart

Tel. 0711 – 25 82 341, Fax: 0711 – 25 82 290

E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de

oder unter www.deutscher-apotheker-verlag.de

Vielfach wird inzwischen die Stuhl-Transplantation von einem gesunden Spender auf einen kranken Empfänger propagiert, und sicherlich erscheint das Vorgehen für manche Krankheitsbilder wie chronisch entzündliche Darm-Erkrankungen oder rezidivierende Clostridium-difficile-Infektionen durchaus plausibel. Und Kasuistiken zeigen, dass eine Stuhl-Transplantation tatsächlich im Sinne eines positiven Outcomes erfolgreich sein kann. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, eine generelle Empfehlung für eine Stuhl-Transplantation zu geben, da zum einen nicht klar ist, was eine „gute“ bzw. „schlechte“ Mikrobiota ist, und weil sich bei etlichen Patienten gezeigt hat, dass sich die alte Mikrobiota nach einigen Monaten wieder durchgesetzt hat. Ähnliches gilt für Probiotika. Erschwerend kommt bei einer peroralen Anwendung hinzu, dass nur sehr wenige Bakterien tatsächlich die Magenpassage überleben und sich anschließend im Darm ansiedeln können. Will man die Mikrobiota seines Darmes verändern, hilft wohl am besten, seine Ernährungsgewohnheiten radikal und nachhaltig umzustellen. Ob dadurch allerdings eine bessere Wohngemeinschaft entsteht, ist bislang nur wenig vorhersehbar. |

Literatur

Chanyi RM, Craven L, Harvey B, Reid G, Silverman MJ, Burton JP. Faecal microbiota transplantation: Where did it start? What have studies taught us? Where is it going? SAGE Open Med 2017;5:1-6

Donaldson GP, Lee SM, Mazmanian SK. Gut biogeography of the bacterial microbiota. Na Rev Microbiol 2016;14:20-32

Fernández L, Langa S, Martín V, Maldonado A, Jiménez E, Martín R, Rodríguez JM. The human milk microbiota: origin and potential roles in health and disease. Pharmacol Res 2013;69:1-10

Iqbal S, Quigley EM. Progress in Our Understanding of the Gut Microbiome: Implications for the Clinician. Curr Gastroenterol Rep 2016;18:49

Jeffery IB, Claesson MJ, O‘Toole PW, Shanahan, F. Categorization of the gut microbiota: enterotypes or gradients? Nat Rev Microbiol 2012;10:591-592

Jones RM. The Influence of the Gut Microbiota on Host Physiology. In: Pursuit of Mechanisms. Yale J Biol Med 2016;89:285-297

Koleva PT, Kim JS, Scott JA, Kozyrskyj AL. Microbial programming of health and disease starts during fetal life. Birth Defects Res C Embryo Today 2015;105:265-277

NIH HMP Working Group: The NIH Human Microbiome Project. Genome Res 2009;19:2317-2323

Proctor LM. The National Institutes of Health Human Microbiome Project. Semin Fetal Neonatal Med 2016;21:368-372

Rutayisire E, Huang K, Liu Y, Tao F. The mode of delivery affects the diversity and colonization pattern of the gut microbiota during the first year of infants‘ life: a systematic review. BMC Gastroenterol 2016;16:86

Schroeder BO, Bäckhed F. Signals from the gut microbiota to distant organs in physiology and disease. Nat Med 2016;22:1079-1089

Thursby E, Juge N. Introduction to the human gut microbiota. Biochem J 2017;474:1823-1836

Velasquez-Manoff M. Gut microbiome: the peacekeepers. Nature 2015;518:3-11

Autoren

Prof. Dr. Theo Dingermann ist Seniorprofessor am Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt.


Dr. Ilse Zündorf ist dort als akademische Oberrätin tätig.



Institut für Pharmazeutische Biologie Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9 60438 Frankfurt/Main

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

Foto: ingimage

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.