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Wirtschaft

Von der Politik vergessen?

Die Entwicklung des Apothekenhonorars seit Einführung des Kombimodells

Die Vergütung der Apotheker ist in hohem Maße abhängig von den Zuschlägen auf verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel. Da bis auf Ausnahmen nur noch diese Arzneimittel von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erstattet werden, müssen diese Zuschläge die Erfüllung der Gemeinwohlpflichten der Apotheken finanzieren. Aber wie haben sich die Packungshonorare der Apotheker von 2004 bis 2016 entwickelt, auch im Vergleich mit anderen Branchen? Eine nun erschienene Studie hat untersucht, ob der Gesetzgeber seiner Verpflichtung aus § 78 des Arzneimittelgesetzes gerecht wird, die lautet: „Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Apotheken Rechnung tragen.“ | Von Uwe Hüsgen 

Mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 1. Januar 2004 wurde die degressiv ausgestaltete Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), die bis Ende 2003 für alle apothekenpflichtigen Arzneimittel galt, auf das sogenannte Kombimodell umgestellt. Seitdem sind auf den Apothekeneinkaufswert jedes verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels (Rx-FAM) drei Prozent und ein Festzuschlag (von 8,10 Euro bis Ende 2012 bzw. von 8,35 Euro ab Anfang 2013) sowie die jeweils geltende Umsatzsteuer aufzuschlagen. Der Festzuschlag wurde 2003 auf 8,10 Euro festgesetzt, 2012 fand die erste und bisher einzige Erhöhung statt, seitdem beträgt er 8,35 Euro. Von diesem Betrag geht noch der Kassenabschlag ab, und seit 2013 kassiert die Apotheke bei der Abgabe jedes Rx-FAM eine Pauschale von 16 Cent, die an den Nacht- und Notdienstfonds duchgereicht werden. Nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel sind seither i. A. nicht mehr preisgebunden, ohne dass die Gemeinwohlpflichten der Apotheken (wie Kontrahierungszwang, Nacht- und Notdienst, Abgabeverweigerung bei erkennbarem Missbrauch usw.) eingeschränkt worden wären. Bis auf den erwähnten Nacht- und Notdienstfonds wurden für die Finanzierung dieser Pflichten auch keine weiteren Vergütungsmodelle geschaffen.

Seit Jahren fallende Handelsspanne

Die Handelsspanne in Prozenten des Netto-Umsatzes für zulasten der GKV abgegebene Rx-FAM ist zwischen 2004 und 2016 von 20,8 Prozent auf 16,9 Prozent gefallen. Das ist ein Indiz dafür, dass der Umsatz mit diesen Arzneimitteln wesentlich stärker zugenommen hat als der Rohertrag.

Die Studie zeigt, dass das packungsbezogene Honorar je zulasten der GKV abgegebenem Rx-FAM (unter Berücksichtigung von Kassenabschlag und Umsatzsteuer) im Untersuchungszeitraum um durchschnittlich 7,6 Prozent angestiegen ist. Außerhalb der GKV hat das Honorar je Rx-FAM sogar nur um 3,1 Prozent zugenommen.

Die kaufmännische Komponente des Apothekenrohertrages (3 Prozent Zuschlag auf den Apothekeneinkaufswert) ist je Rx-FAM dagegen von 2004 bis 2016 um 44,7 Prozent angestiegen. Verantwortlich für diesen Zuwachs ist der deutliche Anstieg der Abgabepreise der pharmazeutischen Unternehmer (ApU; früher Herstellerabgabepreis genannt). Getrieben wird dieses Wachstum einerseits durch größere Packungen, insbesondere aber durch die sogenannten Hochpreiser; also Arzneimittel, deren ApU 1200 Euro und mehr beträgt. Diese haben im Jahr 2016 mit nur 0,4 Prozent des Absatzes bereits 28,6 Prozent zum Rx-FAM-Umsatz der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen beigetragen.

Trotz dieser Entwicklung macht das packungsbezogene Fixhonorar immer noch – und gesundheitspolitisch so gewollt – den größten Teil des Apothekenhonorars aus. Die prozentuale kaufmännische Komponente hat dagegen nur einen kleinen Anteil an der Vergütung. Deswegen ist festzustellen, dass der Gesamtrohertrag je zulasten der GKV abgegebenem Rx-FAM nur um 11,9 Prozent gestiegen ist: Lag er im Jahr 2004 im Schnitt bei 7,20 Euro, so waren es 2016 durchschnittlich 8,05 Euro (s. Abb. 1).

Abb. 1: Entwicklung des Apotheken-Rohertrags seit 2004. Die Nacht- und Notdienstgebühr bleibt unberücksichtigt. [Quelle: IMS, Insight Health und Berechnungen des Autors]

Herstellerrabatte und Rabattverträge

Nach § 130a SGB V werden die sogenannten Herstellerrabatte, die den Krankenkassen von den Herstellern direkt zu gewähren sind, bei der Preisbildung auf der Apothekenstufe nicht berücksichtigt. Das heißt, dass die kaufmännische Komponente des Apothekenhonorars in Höhe von 3 Prozent nicht auf den tatsächlichen Arzneimittelpreis, sondern auf den vollständigen Listenpreis (ApU) erhoben wird. Die Studie untersucht deswegen, inwieweit die Apotheken im Rahmen der Preisbildung Profiteure dieser Nichtberücksichtigung (gewesen) sind.

Würden die Apotheken ihren 3-Prozent-Aufschlag auf die um die Herstellerabschläge reduzierten ApU erheben, hätten die deutschen Apotheken 2016 rund 175 Millionen Euro weniger Rohertrag erwirtschaftet (s. Tab. 1). Schon 2013 stellte der Autor detailliert dar, welche höheren Aufwendungen der Apotheken bei der Abgabe von rabattbegünstigten Arzneimitteln dieser rechnerischen Rohertragsdifferenz gegenüberstehen („Aufwand honorieren“, DAZ 2013, Nr. 8, S. 24). Für das Jahr 2016 stehen der fiktiven Rohertragsdifferenz von 175 Millionen Euro alleine höhere Personalaufwendungen von (mindestens) 450 Millionen Euro gegenüber!

Besonders interessant in diesem Zusammenhang: Schon seit Jahren übersteigen alleine die Einsparungen der Krankenkassen durch die Arzneimittel-Rabattverträge den gesamten Apothekenrohertrag deutlich. Oder in anderen Worten: Durch die (nicht gesondert honorierte!) Umsetzung der Rabattverträge erwirtschaftet die Institution Apotheke Einsparungen für das Solidarsystem, die höher liegen als der eigene Wertschöpfungsanteil.

Tab. 1: Den Krankenkassen gesetzlich und vertraglich gewährte Herstellerrabatte insgesamt (§ 130a SGB V) mit und ohne Umsatzsteuer, daraus resultierende, fiktive maximale Rohertragsverluste der Apotheken aus kaufmännischer Komponente, zulasten der GKV abgegebene rabattbegünstigte Fertigarzneimittel sowie zusätzlich anfallende Personalkosten der Apotheken aufgrund der verpflichtenden Abgabe von rabattbegünstigten Arzneimitteln gemäß Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung (nach § 129 Abs. 1 SGB V) in den Jahren 2007 bis 2016.
Jahr
Herstellerrabatt insgesamt (§ 130a SGB V)
Fiktiver max. Apotheken-Rohertragsverlust1
Rabatt­begünstigte Fertigarzneimittel
Zusätzliche Personalkosten2
In Mio. Euro
In Mio. Euro
In Mio. Euro
In Mio. Euro
(1) mit USt
(1a) ohne USt
(2)
(3)
(4)
2007
2317,7
1947,6
60,3
106,4
120,2
2008
2654,5
2230,7
69,0
259,2
292,9
2009
2919,9
2453,7
75,9
318,7
360,2
2010
3852,5
3237,4
100,2
314,7
355,7
2011
5423,9
4557,9
141,0
346,7
391,8
2012
6100,7
5126,6
158,6
370,4
418,6
2013
6771,2
5690,1
176,1
350,9
396,5
2014
5915,5
4971,0
153,8
363,4
410,7
2015
6423,5
5397,9
167,0
381,8
431,4
2016
6694,5
5625,7
174,1
397,7
449,4

1 Kaufmännische Komponente bei Rx-Fertigarzneimitteln aufgrund der Herstellerrabatte.

2 Auf der Basis 2011 in Apotheken aufgrund der Abgabe von rabattbegünstigten Fertigarzneimitteln (gemäß § 130a Abs. 8 SGB V). Vergleiche hierzu U. Hüsgen: „Aufwand honorieren!“ in DAZ 2013, Nr. 8, S. 24

[Quelle: BMG (KJ1), Insight Health und Berechnungen des Autors]

Entwicklung des Apotheken-­Rohertrages

Wie bereits erwähnt, ist der Apotheken-Rohertrag in den vergangenen 13 Jahren um 11,9 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung kann nur richtig beurteilt werden, wenn man sie mit anderen Bereichen vergleicht:

  • Die Umsatzsteuer je zulasten der GKV abgegebenem Rx-FAM ist von 5,54 Euro im Jahr 2004 auf 9,08 Euro im Jahr 2016, und damit um annähernd 64 Prozent angestiegen.
  • Die Netto-Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen je Versichertem haben in diesem Zeitraum um 33,2 Prozent zugelegt.
  • Der Nominallohnindex (Veränderung der durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste inklusive Sonderzahlungen im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich, ohne Berücksichtigung von Preissteigerungen usw.) ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes destatis von 2004 (= 100%) bis 2016 auf 125,8 Prozent gestiegen, und damit wesentlich schneller als der Apotheken-Rohertrag.
  • Der Verbraucherpreisindex, umgangssprachlich als „Entwicklung der Lebenshaltungskosten“ bezeichnet, ist im selben Zeitraum um 18 Prozent gewachsen, also um 6,1 Prozentpunkte mehr – bzw. um mehr als 50 Prozent schneller – gestiegen.

Die Studie bestätigt damit in beeindruckender Weise, dass das Apothekenhonorar aus der Abgabe von und der Beratung zu verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln weder mit der Entwicklung der Verbraucherpreise (Lebenshaltungskosten), noch mit der Nominallohnentwicklung, und schon gar nicht mit der Entwicklung der Netto-Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen auch nur annähernd Schritt halten konnte, von der Umsatzsteuer auf verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel ganz zu schweigen (s. Abb. 2).

Abb. 2: Der Apotheken-Rohertrag verglichen mit anderen Entwicklungen. [Quelle: Statistisches Bundesamt destatis, BMG, IMS, Insight Health, Berechnungen des Autors]

Fazit

In unserem bewährten System der Sozialen Marktwirtschaft können Apotheken die ordnungsgemäße, flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auf Dauer nur sicherstellen, wenn sie rentabel und wettbewerbsfähig betrieben werden. Gerade mit Blick auf die ausländischen Arzneimittelversender, die seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 Rabatte und Boni auf Rx-FAM gewähren und so die Umsätze der deutschen Vor-Ort-Apotheken auf sich lenken dürfen, sollte diese betriebswirtschaftliche Binsenweisheit im Blick gehalten werden.

Wer über einen längeren Zeitraum nicht rentabel arbeitet, verschwindet vom Markt. Wo das nicht der Fall ist, wie bei manchem europäischen Arzneimittelversender, darf unterstellt werden, dass Kapitalgeber langfristig Verluste in Kauf nehmen, um später eine Monopol-, jedenfalls aber eine Oligopolstellung im Markt zu erreichen, um die bis dahin entstandenen Verluste auszugleichen und satte Profite einzufahren.

Letztlich führt kein Weg daran vorbei: Wer als verantwortlicher Entscheider die Rolle der Vor-Ort-Apotheken als Garanten einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und wohnortnahen Akutversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ernst nimmt, muss eine stetige und angemessene Entwicklung des Apothekenhonorars sicherstellen. Gleichzeitig muss der destruktive Preiswettbewerb durch die ausländischen Versender unterbunden werden.

Wenn dies nicht geschehen sollte, muss es tatsächlich heißen: „Apotheken: Von der Politik vergessen!“ |

Autor

Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Essen, war langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein e.V.

Die Studie

Die Entwicklung des Apothekenhonorars wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Während zahlreiche Apotheker die schleppende Entwicklung und die daraus resultierende wirtschaftliche Belastung ihrer Apotheken beklagen, vertreten vor allem die gesetzlichen Krankenkassen die Auffassung, das Honorar müsse keine weitere Anpassung erfahren oder sei sogar zu hoch angesetzt.

Diese Studie, die die Apothekergenossenschaft Noweda herausgegeben hat, beleuchtet das komplexe Thema aus allen Perspektiven und ermittelt detailliert, warum das Apothekenhonorar im Vergleich deutlich hinter der Entwicklung in anderen Bereichen zurückbleibt. Sie stellt zudem anschaulich dar, dass eine Anpassung dringend erforderlich ist, um die umfangreichen Leistungen für das Gemeinwohl – vor allem auch vor dem Hintergrund steigender Bürokratie – angemessen zu vergüten.

Uwe Hüsgen

Apotheken: Von der Politik vergessen?
Die Entwicklung des ­Apothekenhonorars für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel
von 2004 bis 2016




Geplanter Erscheinungs­termin: Oktober 2017, XIV, 74 S., 12,5 x 18,5 cm
Kartoniert, 14,80 Euro, ISBN 978-3-7692-7103-4
Deutscher Apotheker Verlag

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