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Therapien im Gespräch
Dos and Don'ts in der Schwangerschaft
Neue Empfehlungen zur Behandlung von Schmerzen, Kopfläusen und HIV
Eindrückliche Zahlen Ende März auf dem Frühjahrskongress der Apothekerkammer Schleswig-Holstein: Über 40% der Schwangerschaften in Deutschland seien ungeplant (nicht ungewollt), weshalb das Thema „Arzneimittel in der Schwangerschaft“ alle Frauen im gebärfähigen Alter betrifft, also immerhin etwa ein Viertel der Bevölkerung (DAZ 13, S. 88). Diese Frauen sollten vorzugsweise mit gut untersuchten Arzneimitteln behandelt werden.
Daumen hoch!
Bei Blutungen im ersten Trimenon wird häufig Progesteron gegeben, da es physiologisch für den Erhalt der Schwangerschaft notwendig ist. In den empfohlenen Dosierungen schadet es nicht, doch nützt es auch nicht jeder Frau, wie die Ergebnisse der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten PRISM-Studie (Progesterone in Spontaneous Miscarriage) in diesem Jahr zeigten (DAZ 24, S. 31). Eine Subgruppenanalyse ergab aber, dass die Schwangerschaften von Frauen mit mindestens drei Aborten in der Vergangenheit signifikant häufiger in einer Lebendgeburt nach der 34. Schwangerschaftswoche (SSW) endeten als ohne Progesteron-Behandlung.
Dass Schwangere auf eine ausreichende Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren achten sollten, ist keine Neuigkeit. In diesem Jahr kamen noch weitere gute Argumente hinzu. Ein Cochrane Review mit den Daten von fast 20.000 Schwangeren und ihren Kindern ergab, dass die Einnahme von Omega‑3-Fettsäuren das Risiko einer Frühgeburt vor vollendeter 34. SSW fast halbieren kann. Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit eines geringen Geburtsgewichts niedriger (DAZ 3, S. 20).
Möglicherweise kann eine tägliche Folsäure-Zufuhr von ≥ 600 µg das Risiko für eine Autismus-Spektrum-Störung beim Ungeborenen senken, lautet das Fazit einer Beobachtungsstudie mit 305 Müttern (DAZ 14, S. 30). Für die Ableitung eines kausalen Zusammenhangs sowie für konkrete Empfehlungen ist es aber noch zu früh.
Der Integrase-Inhibitor Dolutegravir wird seit diesem Jahr offiziell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Behandlung von HIV in der Schwangerschaft empfohlen. Diese Entscheidung war zunächst überraschend, da eine Studie aus Botswana Hinweise auf eine vermehrte Rate von Neuralrohrdefekten ergab (DAZ 31, S. 28). In Tierversuchen war keine teratogene Wirkung beobachtet worden. Eine neue Auswertung der Studie zeigte, dass die Risikoerhöhung geringer ist als zunächst befürchtet: Sie liegt bei 0,30% der Kinder, deren Mütter bereits zum Zeitpunkt der Konzeption das Arzneimittel einnahmen. Für Dolutegravir spricht, dass es im Vergleich zu Alternativen besser verträglich sowie einfacher einzunehmen ist und sich seltener eine Resistenz entwickelt.
Erhobener Zeigefinger
Bislang gab es keine Hinweise zur Anwendung Metamizol-haltiger Arzneimittel in der Frühschwangerschaft. Ende März wurden die Fach- und Gebrauchsinformationen geändert: Einzelgaben sind in den ersten sechs Schwangerschaftsmonaten akzeptabel, sofern keine anderen Schmerzmittel genommen werden (DAZ 31, S. 20). Im dritten Trimenon besteht ebenso wie bei Ibuprofen und anderen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) eine Kontraindikation, da fetale Nierenschäden sowie ein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus möglich sind. In der Stillzeit sollte ganz auf Metamizol verzichtet werden.
Nur im ersten Trimenon sollte man auf Permethrin als Kopfläusemittel bisher verzichten. Nun soll die Anwendungsbeschränkung sicherheitshalber auf die gesamte Schwangerschaft ausgedehnt werden (Meldung auf DAZ.online vom 7. August 2019). Die Datenlage ist nach wie vor nicht eindeutig, ein kanzerogenes Risiko kann aber nicht sicher ausgeschlossen werden. Therapie der ersten Wahl bei Kopfläusen in der Schwangerschaft sind physikalische Methoden. Erst wenn diese nicht greifen, ist Permethrin eine Zweitlinienoption.
Auch gegenüber Fluconazol ist Vorsicht geboten: Eine kanadische Nested-Fall-Kontroll-Studie mit Krankenkassendaten von 441.949 Schwangerschaften ergab ein erhöhtes Risiko für Spontanaborte bei Einnahme in der Frühschwangerschaft – und zwar unabhängig davon, ob Fluconazol niedrig (≤ 150 mg) oder hoch (> 150 mg) dosiert wurde (DAZ 13, S. 29). Bei einer vaginalen Pilzinfektion sollte grundsätzlich zunächst topisch behandelt werden. Leider sind gerade schwangere Frauen mit Vulvovaginal-Candidiasis wegen Resistenzen schwieriger zu behandeln, sodass die Therapie häufig zu schnell eskaliert wird. Gemäß Herstellerangaben sollte die Anwendung „nur bei eindeutiger Notwendigkeit in Standarddosen und als Kurzzeittherapie“ erfolgen.
Eine weitere kanadische Fall-Kontroll-Studie beschäftigte sich mit der Frage, ob Benzodiazepine gleichermaßen das Risiko für kongenitale Missbildungen sowie Spontanaborte erhöhen (DAZ 31, S. 25). Das Ergebnis: Alle erfassten Wirkstoffe waren mit einem erhöhten Risiko assoziiert. Zwischen kurzwirksamen (Alprazolam, Bromazepam, Lorazepam, Oxazepam, Temazepam, Triazolam) und langwirksamen (Chlordiazepoxid, Clonazepam, Diazepam, Flurazepam, Nitrazepam) Benzodiazepinen ergaben sich keine Unterschiede. Die Daten weisen zudem auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hin.
Eine Forschungsgruppe aus den USA hat auf Basis von Versicherungsdaten die Risiken von Ondansetron im ersten Schwangerschaftsdrittel untersucht: Entwarnung gab es hinsichtlich kardialer Missbildungen, dafür scheint das Risiko für eine Kiefer-Gaumen-Spalte bei den Kindern erhöht zu sein (DAZ 6, S. 35). Besser erprobte Alternativen sind Meclozin, gegebenenfalls auch Dimenhydrinat oder Doxylamin.
Mehrere rote Hände
Via Rote-Hand-Brief wurde über das mögliche Risiko schwerer angeborener Fehlbildungen bei der Anwendung von Modafinil-haltigen Arzneimitteln während einer Schwangerschaft informiert. Das zentral wirkende Sympathomimetikum wird zur Behandlung von Erwachsenen mit exzessiver Schläfrigkeit bei Narkolepsie mit oder ohne Kataplexie angewandt (AMK-Meldung vom 9. Mai 2019).
Unter der Therapie mit Genvoya®(Elvitegravir/Cobicistat/Emtricitabin/Tenofoviralafenamid), Stribild®(Elvitegravir/Cobicistat/Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil) und Tybost®(Cobicistat) im zweiten und dritten Trimenon besteht ein erhöhtes Risiko für ein Therapieversagen und einer Mutter-Kind-Übertragung der HIV-Infektion (AMK-Meldung vom 26. März 2019).
Aufgrund des zweifach erhöhten Risikos für angeborene Fehlbildungen an Herz, Nieren, Knochen und Muskeln empfiehlt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Fingolimod(Gilenya®) bei schwangeren Frauen und Frauen mit Kinderwunsch nicht einzusetzen (AMK-Meldung vom 2. September 2019). Der Verdacht bestand schon länger aufgrund tierexperimenteller Studien, nun geben Post-Zulassungsdaten Gewissheit. Fingolimod wird eingesetzt zur Behandlung der remittierend schubförmigen multiplen Sklerose (DAZ 32, S. 24).
Pränataldiagnostik – Fluch oder Segen?
Auch abseits des Arzneimittelsektors gab es 2019 Neuigkeiten zum Thema Schwangerschaft. Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat beschlossen, dass Schwangere unter engen Voraussetzungen Bluttests auf Down-Syndrom von ihrer Krankenkasse bezahlt bekommen (DAZ 39, S. 16). Ein nicht-invasiver molekulargenetischer Test (NIPT) kann bereits ab der 10. Schwangerschaftswoche einen Hinweis darauf geben, ob das Ungeborene eine Trisomie 13, 18 oder 21 aufweist, basierend auf DNA-Sequenzierung und dem Nachweis freier fetaler DNA im Blut schwangerer Frauen. Bisher übernahmen Krankenkassen nur Verfahren wie invasive Chorionzottenbiopsie und Amniozentese, die allerdings mit erhöhten Risiken für Mutter und Kind verbunden sind. Die neue Kassenleistung kann voraussichtlich erst Ende 2020 in Anspruch genommen werden. Nicht vergessen werden sollte dabei, dass diese Tests lediglich eine Wahrscheinlichkeit als Ergebnis liefern, was sie besonders erklärungs- und interpretationsbedürftig macht. Die Entscheidung des G-BA löste eine Debatte darüber aus, wofür eine Pränataldiagnostik sinnvoll ist und wofür nicht. So ist es bereits möglich, Geschlechtschromosomen zu bestimmen und auf kleinere subchromosomale Aberrationen und Mikrodeletionen zu screenen (DAZ 20, S. 46).
Vorsicht Schilddrüse
Die Gehirnentwicklung des Ungeborenen hängt stark von der Schilddrüsenfunktion der Mutter ab, insbesondere im ersten Trimenon. Erst ab der 13. Schwangerschaftswoche arbeitet die kindliche Schilddrüse mit. Schwere maternale Hypothyreosen oder ein ausgeprägter Iod-Mangel haben geistige und körperliche Behinderungen zur Folge (DAZ 17, S. 29). Schwangere sollten aus diesem Grund ausreichend Iod zuführen und auf eine euthyreote Lage eingestellt werden. Unklar war bisher, ob auch Frauen mit Levothyroxin behandelt werden sollen, die zwar eine normale Schilddrüsenfunktion aufweisen, aber auch Thyreoperoxidase-Antikörper (TPOAb)-positiv sind. TPOAb können auf eine Autoimmunerkrankung hinweisen und sind mit einem erhöhten Risiko für Fehl- und Frühgeburten verbunden. Eine britische Studie mit fast 20.000 Frauen kam in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass eine präkonzeptionell begonnene und während der Schwangerschaft fortgeführte Einnahme von täglich 50 µg Levothyroxin keine positiven Auswirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf hat (DAZ 17, S. 29).
Auf die Thyreostatika Carbimazol und Thiamazol zur Behandlung einer Hyperthyreose sollte in der Schwangerschaft aufgrund des Risikos für Fehlbildungen verzichtet werden (DAZ 7, S. 27). Ist die Anwendung beispielsweise bei Thyreoidektomie oder Radioiodtherapie unabwendbar, sollte die niedrigste wirksame Dosis ohne zusätzliche Verabreichung von Schilddrüsenhormonen zum Einsatz kommen. |
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