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Wirtschaft
Preisexplosion bei Kaliumbromid
Wie kommt es zu der Verteuerung des Antiepileptikums?
Kaliumbromid ist eines der ältesten Antiepileptika und wurde bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt. Heutzutage wird es nur noch selten verwendet, und zwar als Mittel der zweiten Wahl bei bestimmten Epilepsieformen im Kindesalter. Bis Ende Dezember 2019 stand hierfür das Präparat Dibro-be Mono des in Baden-Baden ansässigen Unternehmens Dibropharm zur Verfügung. Die Packung mit 60 Tabletten zu 850 mg kostete 32 Euro. Doch mit einem auf den 2. Januar 2020 datierten Schreiben teilte Dibropharm mit, dass der Vertrieb des Antiepileptikums zum 31. Dezember eingestellt wurde. Die Gründe hierfür seien vielfältig, zu nennen wären „u. a. das Preismoratorium für Arzneimittel, das es uns seit ca. 20 Jahren verbietet, die teils drastisch gestiegenen Preise für Wirkstoffe, Herstellung etc. zu kompensieren“. Für die weitere Versorgung stehe ab dem 1. Januar 2020 das äquivalente Arzneimittel Kaliumbromid Desitin 850 mg zur Verfügung.
Und in der Tat: Ein Versorgungsengpass, der sich für Kinder mit Epilepsie dramatisch auswirken könnte, ist nicht eingetreten. Allerdings lässt sich die Firma Desitin ihr In-die-Bresche-Springen gut bezahlen. Statt zuvor 32 Euro werden nun 599 Euro für die Packung mit 60 Tabletten fällig.
Desitin nennt hohe Aufwendungen als Begründung
Doch wie begründet Desitin diese Preissteigerung? Auf Anfrage der AZ teilt das Hamburger Unternehmen mit, dass ihm als Spezialist für die Indikation Epilepsie „die Notwendigkeit des Erhalts von Kaliumbromid als Arzneimittel für die betroffene Patientengruppe“ wichtig sei. Dies werde beim Dravet-Syndrom eingesetzt, bei dieser schweren Epilepsieform im Kindesalter handle es sich um eine Orphan-Erkrankung. Zur Preisstellung von Dibro-be von Dibropharm will Desitin nicht Stellung nehmen, verweist aber ebenfalls auf das Preismoratorium, das eine Preisanhebung nach Markteinführung unmöglich mache. „Wir können uns vorstellen, dass dieses Produkt für eine kleine Patientengruppe bei immer mehr Aufwendungen für Qualität (Umstellung des Wirkstoffes etc.), Arzneimittelsicherheit und zuletzt Fälschungssicherheit vor dem Hintergrund des Preismoratoriums unwirtschaftlich wurde“, heißt es weiter. Als Grundlage für die eigene Preiskalkulation nennt Desitin „unter anderem hohe Aufwendungen für Qualität und Sicherheit, gesetzliche Vorgaben der Serialisierung zur Fälschungssicherheit und Rohstoffpreise“. Darüber hinaus habe man die Preisstellung für Kaliumbromid Desitin an „Produkten, die alternativ für Dravet eingesetzt werden (Epidiolex, Diacomit), orientiert“. Die Tagestherapiekosten für ein Kind, das zum Beispiel 20 kg wiegt, lägen für Kaliumbromid Desitin bei 11,75 Euro, für Diacomit bei 16,68 Euro und für Epidiolex bei 57,27 Euro. Damit sei Kaliumbromid das preiswerteste Produkt für diese Patientengruppe.
Preisgestaltung ist rechtlich nicht angreifbar
In der Tat ist die Preisgestaltung von Kaliumbromid Desitin offenbar rechtlich nicht angreifbar. Zu diesem Ergebnis kommt auch der GKV-Spitzenverband, der gegenüber der AZ erklärt: „Unsere Fachleute haben sich den Fall näher angeschaut und insbesondere die Anwendbarkeit des Preismoratoriums geprüft. Bei dem Wirkstoff handelt es sich nicht um ein AMNOG-Arzneimittel, da weder Patentschutz noch Unterlagenschutz bestehen. Kaliumbromid Desitin 850 mg wurde auf Basis einer generischen Zulassung neu in den Markt eingeführt. Der pharmazeutische Unternehmer hat die in den bestehenden gesetzlichen Regelungen vorhandene Lücke genutzt, die ihm eine Möglichkeit zur exzessiven Bepreisung eröffnet. (…) Nach unserer Einschätzung handelt es sich um eine gesetzliche Grauzone, die aber nach Prüfung in diesem speziell gelagerten Fall (zumindest rechtlich) nicht zu beanstanden wäre.“
Bei Verordnung des Vorgängerpräparats austauschen
Doch wie sieht es in den Apotheken aus? Wird Kaliumbromid Desitin verschrieben, ist der Sachverhalt klar – hier bezahlt die Kasse. Aber was ist, wenn das Vorgängerpräparat verordnet wurde? Auch hier dürfte es keine Probleme geben. Apothekerin Juliane Brüggen vom Retax-Spezialisten DAP Networks/DAP DeutschesApothekenPortal schreibt dazu, dass eine Retaxation „nach unserer Ansicht nicht zulässig (wäre), wenn die Abgabe des Nachfolgeartikels nach AV-Meldung des Vorgängerpräparats erfolgte“. Denn mit der 1. Änderungsvereinbarung zum Rahmenvertrag vom 1. November 2019 wurde folgender Passus in § 2 Abs. 13 Rahmenvertrag aufgenommen: „Das nach den Bestimmungen dieses Rahmenvertrages abzugebende Arzneimittel bzw. das in die Arzneimittelversorgung nach § 31 SGB V einbezogene Produkt ist im Preis- und Produktverzeichnis gelistet und der Vertriebsstatus hat den Wert ‚außer Vertrieb‘ (AV). Ein mit ‚außer Vertrieb‘ (AV) gekennzeichnetes Fertigarzneimittel ist bei der Ermittlung der Abgaberangfolge nach den §§ 10 ff. nicht zu berücksichtigen. Ein mit ‚außer Vertrieb‘ (AV) gekennzeichnetes Arzneimittel darf jedoch abgegeben werden, wenn es die Voraussetzungen dieses Vertrages erfüllt.“ Dies heiße, so Brüggen: „Wenn der Vorgängerartikel verordnet, aber AV gemeldet ist, dürfte das teurere Präparat abgegeben werden, da AV-Präparate bei der Abgaberangfolge nicht mehr berücksichtigt werden.“ Es stehe „natürlich (wie immer) auf einem anderen Blatt“, wie die gesetzliche Krankenkassen dies sehen, zusätzlich seien auch die regionalen Arzneilieferverträge zu beachten, die abweichende Regelungen enthalten könnten.
Und was ist bei aut idem?
Bleibt der spezielle Fall, dass das Alt-Präparat Dibro-be Mono verordnet und zudem das Aut-idem-Kästchen angekreuzt wurde. Muss die Apotheke in diesem Fall eine Retaxation fürchten, wenn sie dennoch Kaliumbromid Desitin abgibt? Der GKV-Spitzenverband antwortet darauf, es sei davon auszugehen, „dass Apotheker versuchen, bei einem Aut-idem-Kreuz das alte Präparat Dibro-be Mono über den Großhandel zu bekommen. Sollte das nicht funktionieren, müsste Rücksprache mit dem Arzt gehalten und beraten werden, wie man vorgeht, und diesen Schritt dokumentieren.“ Doch was tun, wenn die Verordnung am Samstagvormittag vorgelegt wird und weder das alte Präparat bestellt werden kann noch eine Rückfragemöglichkeit beim Arzt besteht? Die besorgten Eltern auf Montag vertrösten und damit einen epileptischen Anfall zu riskieren dürfte ebenso wenig eine Option sein wie der Verweis auf die Notdienstpraxis mit einem gut gefüllten Wartezimmer mit potenziellen COVID-19-Patienten. Wird vor diesem Hintergrund das Nachfolgepräparat abgegeben, trägt das Risiko die Apotheke. Ob dann eine Retaxation erfolgt, liegt bei der jeweiligen Krankenkasse, so der GKV-Spitzenverband. Sicherer dürfte daher der Weg sein, mit dem verordnenden Arzt im Nachhinein Kontakt aufzunehmen und um die Ausstellung eines neuen Rezepts zu bitten. |
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