Pandemie Spezial

Fluch und Segen

Neue Vaxzevria-Preprint-Publikationen verunsichern unnötig – Ein Gastkommentar

Die Online-Veröffentlichung des Preprint-Artikels über das „Vakzin-induzierte COVID-19-Mimikry-Syndrom“ auf Research Square hat sicherlich dazu geführt, dass beim verantwortlichen Autor der E-Mail-Account übergequollen ist und das Telefon nicht mehr still stand. Dabei ist bei allen Veröffentlichungen auf dieser Online-Plattform explizit angegeben, dass – frei übersetzt – „Preprints vorläufige Berichte sind, die nicht von Fachkollegen geprüft wurden. Sie sollten nicht als beweissicher angesehen, zur Orientierung in der klinischen Praxis verwendet oder von den Medien als validierte Informationen zitiert werden“. Trotzdem kommt es anschließend zu Schlagzeilen wie „Corona-Impfung: Forscher aus Frankfurt mit Durchbruch?“, „Thrombose-Rätsel offenbar gelöst“ (Frankfurter Rundschau) oder „Scientists claim to have solved Covid vaccine blood-clot puzzle“ (Financial Times). Und auch ein anderer Preprint-Artikel über Verunreinigungen in Vaxzevria sorgt für ähnliche Schlagzeilen: „Astra-Thrombosen – Fall gelöst?“ (DocCheck) oder „Coronavirus: Verunreinigung in AstraZeneca-Impfstoff entdeckt“ (SWR). Und schon werden aus den „vorläufigen Berichten“ über interessante Hypothesen zu möglichen Ursachen der beobachteten seltenen Fälle einer Vakzin-induzierten immuno­genen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) Tatsachen. Für die Leserinnen und Leser der entsprechenden Texte wird Vaxzevria dadurch zunehmend zu einem No-Go. Fasst man ­beide Artikel zusammen, kann man – wenn man denn möchte – heraus­lesen, dass AstraZeneca, und wahrscheinlich dann auch Johnson & Johnson, ihren jeweiligen Vektor-Impfstoff unter Missachtung der entstehenden Spleißstellen nicht nur schlampig entwickelt, sondern auch noch unsauber hergestellt haben. Niemand will mehr mit einem der Vektor-Impfstoffe immunisiert werden.

Dr. Ilse Zündorf

Bedenklich oder harmlos?

Bei all den Schlagzeilen wird jedoch nicht auf die alles entscheidende Frage nach der klinischen Relevanz eingegangen. Sind die gefundenen Verunreinigungen im Impfstoff eigentlich tatsächlich immunologisch bedenklicher „Dreck“, oder aber harmlos? Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir uns nicht gegen Influenza impfen lassen können, wenn wir allergisch auf Hühnereiweiß reagieren. Und es hat wahrscheinlich auch noch nie jemand verschiedene Chargen von beispielsweise Masern-Impfstoff ebenfalls im Protein-Gel analysiert – was würde man da wohl sehen?

Die Herstellungsprozesse von Impfstoffen erfordern Zellsysteme, die ihre eigenen Proteine mitbringen, die wiederum anschließend abgereichert werden müssen. In welchem Ausmaß das stattfindet, ist in den Zulassungsunterlagen festgelegt und wird immer wieder kontrolliert. Zum Teil könnten die Verunreinigungen als eine Art Adjuvans gewünscht sein, um die Immunantwort zu verstärken.

Prof. Dr. Robert Fürst

Spleißvarianten: Klinische Relevanz ungeklärt

Auch die klinische Relevanz der Spleißvarianten des Spike-Proteins ist erst noch zu klären. Die aufgestellte Hypothese klingt sehr plausibel, es fehlt aber noch der Nachweis, dass die dabei möglicherweise entstehenden löslichen S-Protein-Varianten tatsächlich in VITT-Patienten zu finden sind. Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass im Laufe des Entwicklungs- und Zulassungsprozesses der Vektor-­Vakzine – aber auch der mRNA-Vakzine – nie genau überprüft wurde, welche Proteine bzw. Proteinfragmente verschiedene Zellen nach einer Transfektion mit den codierenden Nukleinsäuren herstellen. Schließlich sind das die Antigene, mit denen sich unser Immunsystem auseinandersetzen muss, und eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des jeweiligen Impfstoffes. Hier müssten die verkürzten Spike-Proteine durch das Spleißen der mRNA bei den Vektor-Impfstoffen eigentlich aufge­fallen sein.

Noch nicht ausgegoren

Die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Daten auf der Preprint-Plattform ResearchSquare hat zweifellos Vorteile: Ergebnisse und Erfahrungen sind schnell verfügbar und können von anderen Wissenschaftlern genutzt werden. Das hat sicherlich gerade bei der Versorgung von COVID-19-Patienten sehr geholfen. Der Nachteil ist aber, dass auch vieles veröffentlicht wird, was noch nicht richtig „ausgegoren“ ist. Damit ist nicht gemeint, dass die Ergebnisse der Preprint-Studien falsch sind, sondern dass die Interpretation der Daten vielleicht etwas zu intensiv geraten ist. Versetzt man sich in die Situation der Autoren, ist das auch ein gutes Stück weit nachvollziehbar, denn schließlich adressiert man in guter Absicht ein relevantes und hochaktuelles Problem. Nach einem Peer-Review-­Prozess, bei dem unabhängige Expertinnen und Experten nüchtern auf die Daten schauen, wird vieles auf „kleinere Flamme“ zurückgedreht. In der Wissenschaft ist das ein normaler Prozess und unverzichtbar, damit der menschliche Faktor soweit möglich in den Hintergrund tritt. Kritisch ist nur, wenn die Laienpresse sich auf die Ergebnisse stürzt und daraus reißerische Meldungen macht, die aufschrecken und verunsichern. Die extreme und ­unreflektierte Kondensation der Forschungsinhalte zu Schlagzeilen, ist dann meist ein gutes Stück von dem entfernt, was die für Fachleute sehr interessanten Studien wirklich hergeben. Wir haben hierzulande ein sehr gut funktionierendes System zur Zulassung und chargenspezifischen Freigabe von Impfstoffen. Man kann also davon ­ausgehen, dass auch Vaxzevria gut kontrolliert wurde und als Vakzine ­genutzt werden kann. |

Dr. Ilse Zündorf, Prof. Dr. Robert Fürst, 
Institut für Pharmazeutische Biologie, Goethe-Universität Frankfurt

Interessenkonflikte: Keine

Literatur

Kowarz E, Krutzke L, Reis J, Bracharz S, Kochanek S, Marschalek R. „Vaccine-Induced COVID-19 Mimicry” Syndrome: Splice reactions within the SARS-CoV-2 Spike open reading frame result in Spike protein variants that may cause thromboembolic events in patients immunized with vector-based vaccines. ResearchSquare. DOI: 10.21203/rs.3.rs-558954/v1

Krutzke L, Rösler R, Wiese S, Kochanek S. Process-related impurities in the ChAdOx1 nCov-19 vaccine. ResearchSquare. DOI: 10.21203/rs.3.rs-477964/v1

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