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Ergebnis frühestens im Jahr 2024

AvP-Insolvenzverfahren: mühsame Detailarbeit, Musterprozesse und viele Klagen

tmb | Um die Insolvenz des Rechenzentrums AvP war es in den vorigen Monaten recht still geworden. Dennoch hat sich viel getan, wie der jüngste Bericht des Insolvenzverwalters Dr. Jan-Philipp Hoos für das zuständige Gericht zeigt. Der Umgang mit den bekannten Problemen erweist sich im Detail als sehr mühsam. Wegen der Un­sicherheiten zu Aussonderungsrechten und Forderungen aus Rabattverfall werden Musterprozesse vorbereitet. Das Verfahren wird voraussichtlich noch mindestens bis 2024 dauern.

Ein relativ großer Abschnitt im Tätigkeitsbericht vom 15. Dezember zur Insolvenzverwaltung für die AvP Deutschland GmbH bezieht sich auf mögliche Aussonderungsrechte von Apotheken. (Zum Hintergrund: Solche Rechte würden dazu führen, dass Apotheken die betreffenden ausstehenden Zahlungen vorab in voller Höhe erhalten. Sie müssten dann nicht auf das Ende des Insolvenz­verfahrens warten und sich nicht mit einem Anteil an der noch unbekannten Insolvenzmasse begnügen.) Kurz nach Bekanntwerden der AvP-Insolvenz wurde primär über mög­liche Aussonderungsrechte an den damaligen Guthaben von AvP diskutiert. Mittlerweile geht es auch um Aussonderungsrechte zu den Zahlungen, die erst nach der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung am 16. September 2020 auf Treuhand­konten eingegangen sind oder die jetzt noch ausstehen. Dies betrifft insbesondere Abrechnungsvorgänge, die am Stichtag bereits liefen. Die AvP hatte die noch offenen Forderungen auf etwa 200 Millionen Euro beziffert. Da die AvP jedoch keine vollständige Debitorenbuchhaltung geführt habe, seien verlässliche Angaben zu den derzeit noch offenen Forderungen „weiterhin nicht möglich“, berichtet der Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos.

Weniger als eine Million Euro für Aussonderungsberechtigte

Für Apotheken, die mit der AvP eine spezielle Zusatzvereinbarung getroffen hatten, hatte Hoos schon im Januar 2021 Aussonderungsrechte für ausstehende Zahlungen anerkannt. Dies betreffe 314 Offizinapotheken sowie Krankenhausapotheken mit 220 Institutskennzeichen. Die Beträge müssten vielfach manuell zugeordnet werden, weil die Kostenträger Gesamtbeträge in Sammelabrechnungen für viele Apotheken überweisen und die gezahlten Beträge wegen Retaxationen von den Sollbeträgen abweichen können. Der Insolvenz­verwalter habe im Berichtszeitraum etwa 942.200 Euro von den Treuhandkonten an aussonderungsberechtigte Apotheken ausgekehrt, erklärt er in seinem Bericht.

13 Leistungserbringer klagen auf Aussonderungsrechte

Darüber hinaus hätten weitere Leistungserbringer (also Apotheken) Aussonderungsrechte geltend gemacht. Der Insolvenzverwalter habe diese Ansprüche geprüft und zusätzlich eine externe Kanzlei mit der Prüfung beauftragt. Diese Prüfungen hätten ergeben, dass weitere Aussonderungsrechte nicht bestehen. Da dies jedoch zwischen dem Insolvenzverwalter und den Anwälten der Apotheker umstritten sei, hätten bisher 13 Leistungserbringer auf Aus­son­derungsrechte geklagt. Dabei gehe es sowohl um Forderungen gegen Kostenträger als auch um die Geschäftsguthaben von AvP, die zu Beginn der Insolvenzverwaltung bestanden hatten.

Unsicherheit bei den Krankenkassen

Insolvenzverwalter Hoos beschreibt die mühsame Arbeitsweise, die sich aus der Unsicherheit über die Aussonderungsrechte ergibt. Zahlreiche Leistungserbringer hätten die Kostenträger wegen mutmaßlicher Aussonderungsrechte aufgefordert, nur noch unmittelbar an die Leistungserbringer zu zahlen. Daraufhin habe Hoos mit dem Ersatzkassenverband und mit sieben Allgemeinen Ortskrankenkassen Treuhandvereinbarungen über die Verwahrung der Gelder bei einem externen Treuhänder geschlossen. Wegen der behaupteten Gläubigerunsicherheit hätten allerdings zwei Krankenkassen offene Beträge gerichtlich hinterlegt. Hoos folgert, für den Fortgang des Insolvenzverfahrens sei es „von zentraler Bedeutung, die Frage des Bestehens etwaiger bislang nicht anerkannter Aussonderungsrechte einer rechtssicheren Klärung zuzuführen“. Mit Blick auf die vermeidbaren Kosten individueller Rechtsstreite habe sich „eine breite Zustimmung für ein koordiniertes Vorgehen, vorzugsweise im Wege von Musterprozessen, herauskristallisiert“. Abstimmungen mit Vertretern der Apotheken und des Apothekerverbandes Nordrhein hätten bereits stattgefunden. Derzeit werde an der Gruppenbildung und an Bindungsvereinbarungen gearbeitet.

Zahlungsklagen gegen frühere Geschäftsführer angekündigt

Der zweite große Themenblock im Tätigkeitsbericht betrifft die Mehrung der Insolvenzmasse. Zu Ansprüchen wegen unberechtigter Entnahmen der früheren Geschäftsführung berichtet Hoos, die „Aufarbeitung der komplizierten Sach- und Rechtslage“ gestalte sich „äußerst aufwendig“ und dauere noch an. Einen Teil der Ansprüche habe Hoos außergerichtlich geltend gemacht, aber „voraussichtlich“ werde er „kurzfristig“ Zahlungsklagen erheben.

Mühsame Aufarbeitung zum „Rabattverfall“

Zu den möglichen Ansprüchen aus „Rabattverfall“ äußert sich der Insolvenzverwalter eher zurückhaltend. Dabei geht es um Rückforderungen von Krankenkassenrabatten aufgrund verspäteter Zahlungen der Krankenkassen. Im vorherigen Bericht des Insolvenzverwalters vom 14. Juni 2021 war dazu aufgrund einer Angabe der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Andersch AG ein Forderungspotenzial von 37,2 bis 137,4 Millionen Euro erwähnt worden. Diese Zahlen werden jetzt nicht mehr genannt. Stattdessen erfolgt eine viel kleinteiligere Betrachtung, die die großen Mühen bei der Bearbeitung deutlich macht. Ansprüche aus verschiedenen Jahren werden dabei getrennt behandelt. Um eine Verjährung Ende 2020 zu verhindern, seien mit 67 Kostenträgern Vereinbarungen zur Neufestsetzung der Verjährung geschlossen worden. Außerdem seien gegenüber 15 Kostenträgern Ansprüche klageweise geltend gemacht worden, wobei ein Fall als „Musterprozess“ geführt werden solle. Auch zu Forderungen mit drohender Verjährung Ende 2021 und jüngeren Forderungen seien Vereinbarungen über eine veränderte Verjährung geschlossen worden. In anderen Fällen hätten die Kostenträger belegen können, dass die Zahlungen doch pünktlich erfolgt seien. Unterschiede zwischen den Bundesländern und Unwägbarkeiten bei den Post­laufzeiten würden die Beurteilung erschweren. Für elf Fälle mit einem Gesamtumfang von etwa 800.000 Euro kündigt Hoos an, er werde voraussichtlich kurzfristig Zahlungsklage erheben. Die Prüfung zu Ansprüchen aus den Jahren 2018 bis 2020 dauere an. Als Ergebnis aller dieser Bemühungen seien im Berichtszeitraum allerdings keine Zahlungen zu Forderungen aus Rabattverfall vereinnahmt worden. Die von AvP vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Schätzungen zu diesen Forderungen seien deutlich zu korrigieren, erläutert Hoos. Aufgrund des enormen nötigen Aufwands war die AvP „offenkundig nicht in der Lage, belastbare Angaben zu dem Umfang der tatsächlich bestehenden Forderungen zu machen“, erklärt Hoos. Eine Aufarbeitung sei möglicherweise auch gar nicht gewünscht gewesen. Stattdessen seien fingierte Erträge zur „Bilanzverschönerung“ verwendet worden, wie Hoos früher schon erläutert hatte.

Möglicherweise Ansprüche von 143,2 Millionen Euro

Weiter berichtet der Insolvenzverwalter über die Prüfung von Ansprüchen gegen das Bankenkonsortium, bei dem die AvP eine Kreditlinie von 245 Millionen Euro unterhalten hatte. Eine Anwaltskanzlei habe in einem Gutachten dargestellt, dass Aussichten für eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Banken insbesondere wegen unzulässiger Verrechnungen im Kontokorrent in Höhe von rund 143,2 Millionen Euro bestünden. Die Kanzlei habe diese Ansprüche mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 zunächst außer­gerichtlich geltend gemacht.

Verfahren mindestens bis 2024

Zur voraussichtlichen Dauer des Insolvenzverfahrens erklärt Hoos, diese hänge in erster Linie von der Prüfung und Klärung etwaiger Drittrechte ab. Hinzu kämen die Aufarbeitung der früheren Geschäftsvorfälle und die Korrespondenz mit Gläubigern. Voraussichtlich könne das Verfahren frühestens 2024 abgeschlossen werden. Eine Insolvenzquote lasse sich noch nicht beziffern, weil die Spannweite angesichts etwaiger Drittrechte erheblich sei.

Folgen für die Apotheken

Was bedeuten diese Neuigkeiten aus dem Tätigkeitsbericht für die betroffenen Apotheken? Die Aussichten auf eine Mehrung der Insolvenzmasse durch Forderungen aus Rabattverfall oder Ansprüche gegenüber den Konsortialbanken bleiben vage. Das alles kann zu Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen führen und sehr lange dauern. Damit erscheinen mögliche Aussonderungsansprüche umso bedeutsamer. Der Insolvenzverwalter bestreitet solche Rechte zwar für die meisten Konstellationen, räumt aber ein, dass wegen dieser Unsicherheit die Insolvenzquote nicht geschätzt werden kann. Damit dürften die anstehenden Musterprozesse zum Schlüssel für den weiteren Verlauf des Verfahrens werden. |

 

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