Gesundheitspolitik

DAV bittet BMG um Klarstellung

Apotheken und Kassen sind uneins über Auslegung der ALBVVG-Regeln

ks | Seit fast zwei Monaten sind im Sozialgesetzbuch V zumindest einige der von Apotheken lange eingeforderten Austauschregeln für nicht lieferbare Arzneimittel verankert. Zudem gibt es gesetzliche Retaxausschlüsse sowie neue Preisregelungen in der Arzneimittelpreisver­ordnung. Allerdings bieten die gesetzgeberischen Vorgaben Interpretationsspielraum – und Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband können sich in einigen Punkten nicht auf eine gemeinsame Lesart verständigen. Der DAV hat daher das Bundesgesundheitsministerium um Klarstellung gebeten.

Zu den Zielen des Arzneimittel­lieferengpass- und Versorgungs­verbesserungsgesetzes (ALBVVG) zählt auch, Apotheken das Engpassmanagement zu erleichtern und sie vor unberechtigten Beanstandungen der Kassen zu schützen. Doch GKV-Spitzenverband und DAV sind sich nicht einig, wie einige der neuen Regelungen nun genau auszulegen sind. Das geht aus einem Brief des Geschäftsbereichs Ökonomie des DAV an das BMG – konkret: Abteilungsleiter Thomas Müller – hervor. Demnach hätten sich diese Meinungsunterschiede im Zuge der Gespräche gezeigt, die der DAV regelmäßig mit dem GKV-Spitzenverband führe. Sie „ließen sich trotz mehrfachen Austauschs in keinem Punkt ausräumen“.

Neue Retaxgefahren statt erhoffter Sicherheit?

Da der DAV die Apotheken bereits über seine Interpretation der seit bald zwei Monaten geltenden Vorgaben informiert hat, befürchtet er nun, dass die Kassen nach ihrer eigenen Sichtweise verfahren werden – mit der Folge von Retaxationen. Doch eben dies stehe der mit dem Gesetz angestrebten Erleichterung und Rechtssicherheit ent­gegen. Daher habe sich der DAV entschieden, das BMG „in diesem Fall ausnahmsweise um Aus­legungshilfe zu bitten“. Konkret geht es um vier Punkte, die der DAV in dem Brief genauer darlegt.

1. Wie ist die Regelung zum Austausch abweichend von den Vorgaben im Rahmenvertrag zu verstehen?

Im neuen Absatz 2a des § 129 SGB V heißt es: „Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels dieses gegen ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen.“

Doch was bedeutet das? Der DAV interpretiert diese Regelung so, dass die Apotheke zunächst zu prüfen hat, welches Arzneimittel sie laut Rahmenvertrag abzugeben hat. Hierbei hat sie die erste Stufe der Abgabereihenfolge zu prüfen, die der Rahmenvertrag vorgibt. Ergibt diese Prüfung, dass das abzugebende (Rabatt-)Arzneimittel nicht verfügbar ist, ist die Apotheke in der Auswahl frei und kann das abzugebende gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Stehen mehrere Arzneimittel zur Auswahl, etwa weil mehrere Rabattartikel im Markt sind, muss die Apotheke nach Auffassung des DAV lediglich prüfen, ob eines dieser Arzneimittel verfügbar ist. Wenn das nicht der Fall, wäre sie ebenfalls von der Abgaberangfolge des Rahmenvertrages befreit und könnte ein verfügbares wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben.

Aus DAV-Sicht sollte die aufwen­dige mehrstufige Prüfung der Abgabereihenfolge – die im Brief nochmals genauer beschrieben wird – erleichtert werden und die neue Möglichkeit, von ihr abzuweichen, bereits greifen, wennein einziges nach Rahmenvertrag abzugebendes Arzneimittel nicht verfügbar ist. „Das Wort ‚ein‘ verstehen wir dabei als zahlenmäßige Vorgabe (also im Sinne von ein ‚einziges Arzneimittel‘)“, erläutert der DAV dem BMG.

Anders sehe es der GKV-Spitzenverband. Er vertrete die Auffassung, dass ungeachtet der gesetz­lichen Neuregelung alle Stufen der Abgabereihenfolge des Rahmenvertrages weiterhin zu durchlaufen seien, schreibt der DAV. Die Apotheke müsse also alle in Betracht kommenden wirkstoffgleichen Arzneimittel auf ihre Verfügbarkeit hin prüfen. „Dies hieße, dass die Neuregelung im Ergebnis keinerlei Änderung an der bisherigen Rechtslage laut Rahmenvertrag bewirken würde“, schreibt der DAV. Doch das wolle die Kassenseite nicht einsehen. „Wir halten dies für eine verfehlte Rechtsmeinung und bitten darum, dass Sie die aus unserer Sicht klare Bedeutung des Regelungsinhalts bestä­tigen, wie es der Wortlaut und vor allem der Sinn und Zweck der Vorschrift in sich tragen.“

2. Ab wann sind die neuen Regeln des Retaxationsausschlusses anzuwenden?

Im neuen § 129 Abs. 4d Satz 1 SGB V heißt es: „Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation aus­geschlossen, wenn (...).“ Und dem folgt in Satz 2: „Sofern entgegen Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Satz 3 eine Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht erfolgt oder die nach Absatz 2a Satz 2 vorgesehenen Verfügbarkeits­anfragen ganz oder teilweise nicht vorgenommen wurden, ist eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen; (...).“

Während der DAV dies so versteht, dass die Neuregelung alle noch laufenden Beanstandungsverfahren, unabhängig vom Zeitpunkt der Arzneimittelabgabe oder dem Beginn des Verfahrens, umfasst, meint die GKV-Seite, dass nur nach dem Inkrafttreten der Neu­regelung neu aufgenommene Verfahren erfasst sind. Doch nach letzterer Auffassung, so der DAV, würden „entgegen Wortlaut und Gesetzeszweck eine Vielzahl potenzieller Retaxationen aus dem Anwendungsbereich der Regelung fallen“. Daher möge auch hier das BMG die DAV-Auffassung bestätigten.

3. Wie hoch ist der Engpass­zuschlag bei mehr als einem Arzneimittel in einer Verordnungszeile?

Gemäß der Neuregelung in § 3 Abs. 1a Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) erhalten Apo­theken im Fall des Austauschs eines verordneten Arzneimittels nach § 129 Abs. 2a SGB V einen Zuschlag in Höhe von 50 Cent zuzüglich Umsatzsteuer.

Doch wie ist bei dem Austausch von mehr als einem Arzneimittel innerhalb einer Verordnungszeile zu verfahren? Der DAV geht nach dem Wortlaut („Austausch eines verordneten Arzneimittels“) und meint daher, dass der Zuschlag pro ausgetauschter Packung anfällt. Sind also zwei Packungen desselben Arzneimittels verordnet, werden aber wegen Nichtverfügbarkeit zwei andere Packungen abgegeben, fällt der Zuschlag laut DAV folglich zweimal an.“

Der GKV-Spitzenverband hält je Verordnungszeile aber nur einen einzigen Zuschlag für rechtmäßig. Auch hier wünscht der DAV also eine Klarstellung.

4. Wie funktioniert die Berechnung abgegebener Teilmengen nach den neuen Vorgaben?

In § 3 Abs. 5 Satz 1 AMPreisV hieß es schon vor dem ALBVVG: „Sofern die abzugebende Menge nicht in der Verschreibung vor­geschrieben oder gesetzlich bestimmt ist, haben die Apotheken, soweit mit den Kostenträgern nichts anderes vereinbart ist, die kleinste im Verkehr befind­liche Packung zu berechnen.“

Nun wurde Satz 2 ergänzt: „Satz 1 gilt auch in dem Fall, dass statt der verschriebenen Packungsgröße die verschriebene Menge des Arzneimittels als Teilmenge aus einer Packung abgegeben wird, die größer ist als die verschriebene Packungsgröße.“

Hier moniert der DAV, dies führe „bei wortlautgetreuer Lesart zu der absurden Konstellation, dass möglicherweise die berechnungsfähige Menge geringer ist als die verordnete und abgegebene Menge“. Er führt ein Beispiel an: Verordnet sind 50 Stück, die kleinste im Handel befindliche Packung enthält 20 Stück. Verfügbar ist aber nur die Packung mit 100 Stück: Die Apotheke entnimmt der Packung mit 100 Stück die ver­ordnete Menge von 50 Stück, darf aber nur 20 Stück berechnen.

Der DAV ist überzeugt: Das ist so nachteilig für die Apotheke, dass es nicht gewollt gewesen sein kann. Er bittet daher um eine Anpassung der Norm bei nächster Gelegenheit. Sein Formulierungsvorschlag: „Sofern statt der verschriebenen Packungsgröße die verschriebene Menge des Arzneimittels als Teilmenge aus einer Packung abgegeben wird, die größer ist als die verschriebene Packungsgröße, ist die verwendete Packung zu berechnen. Werden aus der verwendeten Packung weitere Teilmengen abgegeben, sind diese gemäß Absatz 6 zu berechnen.“

Zeitnahe Lösung?

Abschließend bittet der DAV um „eine möglichst zeitnahe Beantwortung unserer Fragen“. Kurzfristige gesetzliche Anpassungen sind durchaus denkbar, etwa über das Pflegestudiumstärkungsgesetz, das auch für Änderungsanträge im Sinne von Lauterbachs 5-Punkte-Plan für den kommenden Winter genutzt werden soll. |

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