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Exklusiv-Interview Dittmar (SPD) / Hennrich (CDU)
„Wenn wir nichts unternehmen, verändert sich der Markt“
Nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung steht bislang nur eines fest: der Gesetzgeber muss handeln. Doch die Große Koalition ist sich uneinig. Während die Union die Apotheker vor der Versand-Konkurrenz schützen will, kann sich die SPD mehr Wettbewerb vorstellen. DAZ.online hat die Arzneimittel-Experten der Regierungsfraktionen, Sabine Dittmar (SPD) und Michael Hennrich (CDU) gefragt, wie es weitergehen soll.
Knapp einen Monat nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung steht der Apothekenmarkt vor vielen offenen Fragen: Wie reagieren deutsche Versandapotheken auf die Boni-Erlaubnis für DocMorris und Co.? Ist ein Rx-Versandhandelsverbot eine sinnvolle Lösung, um die Apotheke vor Ort zu schützen? Und welche sonstigen Alternativen gäbe es, um für alle Marktbeteiligten wieder klare Strukturen in den Markt zu bringen?
Die Apotheker fordern weiterhin vehement das Rx-Versandverbot, um die neuen Chancen der Versender im Keim zu ersticken. Auf ihrer Seite steht die Bundestagsfraktion der Union samt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Michael Hennrich, Arzneimittel- und Apothekenexperte der Union im Bundestag, sprach sich sofort nach dem Urteil dafür aus, den Versand mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu verbieten. Die SPD hingegen warnt seitdem vor Schnellschüssen. Sabine Dittmar, Berichterstatterin für das Thema Apotheken, will erst alle Optionen prüfen, bevor Beschlüsse gefasst werden.
DAZ.online hat beide Politiker mit dieser Meinungsverschiedenheit konfrontiert. Hier das Interview:
DAZ.online: Herr Hennrich, warum ist das Rx-Versandhandelsverbot die richtige Reaktion auf das EuGH-Urteil zur Preisbindung?
Hennrich: Das Urteil ist eine Zäsur für den gesamten Markt. Die Apotheker können sich nun nicht mehr sicher sein, wie es in Zukunft weitergeht. Unternehmen wir nichts, steht ein Paradigmenwechsel an. Mit einem Rx-Versandverbot würden wir wieder wissen, was im Markt passiert. Natürlich müssen wir auch andere Varianten prüfen, aber das benötigt Zeit. Und deswegen ist das Verbot erst einmal die beste Lösung.
Dittmar: Die schnellste, nicht unbedingt die beste!
DAZ.online: Frau Dittmar, Sie haben mit dem Verbot Probleme. Warum wäre ein Versandausschluss für Rx-Arzneimittel für Sie nicht das Richtige?
Dittmar: Als Medizinerin möchte ich zunächst festhalten, dass ich mich für ein vertrauensvolles und persönliches Zusammenspiel zwischen Arzt und Apotheker einsetze. Wir müssen dafür sorgen, dass die Präsenzapotheke ihren Gemeinwohlpflichten nachkommen kann. Und ich stehe dem Versandhandel auch skeptisch gegenüber: Aus meiner Sicht ist aber eher der OTC-Versandhandel ein Problem. Es ist schwierig, wenn sich Menschen ohne Kontrollinstanz Paracetamol oder Omeprazol in Massen bestellen können. In der nun vorliegenden Frage bin ich aber gegen Schnellschüsse. Mir ist wichtig, dass wir die Rx-Preisbindung nicht aufgeben. Aber wieso können wir nicht über eine Umstrukturierung des Apothekenhonorars sprechen? Und wieso können wir nicht prüfen, ob wir auch deutschen Apotheken erlauben, Boni im Rahmen der Preisbindung zu gewähren? Der Großhandel darf das gegenüber Apotheken im engen Korridor ja auch. Außerdem sind wir nicht davon überzeugt, dass ein Rx-Versandhandelsverbot überhaupt rechtssicher umsetzbar wäre
Wie rechtssicher wäre das Rx-Versandverbot?
Hennrich: Wir glauben schon, dass das Rx-Versandhandelsverbot rechtssicher wäre. Das EU-Recht lässt es schließlich zu, dass Mitgliedstaaten den Versandhandel verbieten. Auch auf nationaler Ebene sollte es keine Probleme geben, weil wir nicht den gesamten Versandhandel verbieten wollen. Im Übrigen finde ich auch nicht, dass unser Vorschlag ein „Schnellschuss“ ist. Wir hatten vor dem EuGH-Urteil genug Zeit, um uns mit allen Möglichkeiten zu beschäftigen. Wir haben sehr wohl abgewogen.
DAZ.online: Welche juristischen Argumente sprechen denn gegen das Rx-Versandverbot, Frau Dittmar?
Dittmar: Zunächst einmal, weil der EuGH uns die Argumente, die wir ihm vor einem Jahr zur Verhandlung vorgelegt haben, um die Ohren gehauen hat. Es ist mehr als wackelig, wenn wir mit diesen gleichen Argumenten jetzt den Rx-Versandhandel verbieten wollen. Außerdem sind wir uns inzwischen sicher, dass ein Notifizierungsverfahren folgt. Gibt es dabei Probleme, kann sich das Verfahren über anderthalb Jahre hinziehen. Und in dieser Zeit steht der Markt nicht still.
Hennrich: Da gebe ich der Kollegin Recht. Wenn wir nichts unternehmen, verändern sich innerhalb von ein bis zwei Jahren die Marktstrukturen. Wir müssen daher schnell eingreifen und noch in dieser Legislaturperiode neue Regeln aufstellen.
Dittmar: Das stimmt. Genau aus diesem Grund sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass dieses Rx-Versandverbot nicht unbedingt zur Lösung beiträgt, um die Präsenzapotheken zu sichern. Wir sehen doch jetzt schon, wie erfinderisch die europäischen Versandapotheken sind. Ein Rx-Versandhandelsverbot wird die nicht lange jucken. Da werden einfach Modelle entworfen, um das Verbot zu umgehen, wie etwa beauftragte Abholungen.
Hennrich: Wähler hätten Verständnis für das Versandverbot
DAZ.online: Herr Hennrich, wie verkaufen Sie ein Rx-Versandhandelsverbot eigentlich Ihren Wählern? Wie erklären Sie einer sich digitalisierenden, modernen Gesellschaft, dass im Jahr 2017 ein Online-Marktsegment verboten werden soll?
Hennrich: Das ist einfach darzulegen. Ich erkläre den Menschen, dass es in dieser Frage um grundsätzlichere Veränderungen geht, die die ganze Gesellschaft betreffen. Wir müssen uns zum Beispiel darüber Gedanken machen, wie unsere Beschäftigung, unsere Arbeit in Zukunft aussehen soll? Wollen wir einen Apotheker im Ort haben, mit dem wir Angesicht zu Angesicht sprechen können? Oder sollen alle Menschen künftig in großen Lagerhallen oder an Telefonhörern arbeiten? Sie werden lachen, aber für diese Position bekomme ich im Wahlkreis sehr viel Verständnis.
Dürfen sich Versicherte mit Rx-Boni bereichern?
DAZ.online: Am vergangenen Donnerstag hatten Sie ja die Gelegenheit, sich auf Spitzenebene mit dem Bundesgesundheitsministerium zu dem Thema auszutauschen. Können Sie bald eine gemeinsame Lösung präsentieren?
Dittmar: Nein, noch nicht. Wir müssen uns noch einmal zusammensetzen. Für uns als SPD wäre es sinnvoll, das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) früh einzubinden. Schließlich geht es ums Apothekenhonorar, für das das BMWi federführend zuständig ist.
Hennrich: Wir müssen auch noch einmal darüber sprechen, was mit den Boni passiert, die DocMorris anbietet. Es kann nicht sein, dass die beim Patienten bleiben. Die Rabatte müssten eigentlich an die Versichertengemeinschaft weitergegeben werden. So funktioniert unser Solidarsystem. Und bei der steigenden Höhe der Rx-Boni wird das zum Thema. Früher gab es ein paar Euro pro Rezept, heute ist da viel mehr Geld im Spiel.
DAZ.online: Frau Dittmar, Sie bezeichnen das Rx-Versandverbot als Schnellschuss und wollen alle Varianten prüfen. Haben Sie dem BMG denn eine machbare Alternative vorgelegt?
Dittmar: Die SPD-Arbeitsgruppe hat sich wie gesagt darauf verständigt, alle denkbaren Optionen zunächst auf ihre europa- und verfassungsrechtliche Umsetzbarkeit und Rechtssicherheit prüfen zu lassen. Aus unserer Sicht wäre es wichtig, das Honorarsystem als Ganzes zu betrachten und zu hinterfragen. Ich setze mich dafür ein, dass der Apotheker grundsätzlich stärker als Heilberufler anerkannt wird und nicht nur als Verkäufer. Das derzeitige Vergütungssystem zielt allerdings lediglich darauf ab, die Packungsabgabe zu vergüten. Und jetzt wäre die Gelegenheit, dieses Thema anzupacken.
DAZ.online: Dazu müssten Apotheker aber erst einmal mehr machen dürfen. Wenn Sie sie am Medikationsplan nicht beteiligen und die Ärzte jegliche Arbeitsabnahme durch Apotheker abblocken, brauchen wir uns über den Apotheker in der Primärversorgung nicht zu unterhalten…
Dittmar: ARMIN ist für mich ein tolles Beispiel für die Kooperation zwischen Ärzten und Apothekern, wie sie für mich eigentlich sein sollte. Ärzte wissen nun einmal nicht alle Wechselwirkungen auswendig – natürlich ist es gut, dass der Apotheker sich dann darum kümmert. Auch die technische, digitalisierte Kommunikation zwischen allen Beteiligten ist beispielhaft. Und Sie haben Recht, da werden die Apotheker oft von den Ärzten ausgebremst. Aber ich sage meinen Mediziner-Kollegen auf jeder Veranstaltung, dass sie sich da öffnen müssen.
Apotheker müssen sich öffnen, auch liefern und kreativer werden
DAZ.online: Kommen denn aus der Berufsvertretung der Apotheker aus Ihrer Sicht genügend Vorschläge, wie man das Gesundheitssystem innovativ weiterentwickeln kann?
Dittmar: In den Gesprächen mit der ABDA fehlt mir ab und zu schon etwas die Kreativität. Nach dem EuGH-Urteil haben wir immer nur ein Argument vernommen: den Rx-Versandhandel verbieten. Neue, alternative und kreative Ideen zur Weiterentwicklung wären auch mal schön. Die Offizinapotheker müssen auch ihren Beitrag leisten, um die Patientenbindung aufgrund ihrer fachlichen und persönlichen Kompetenz weiter auszubauen.
Hennrich: Das ist in der Sache richtig. Allerdings liegt das aus meiner Sicht oft gar nicht an den Verbänden selbst, sondern an ihren Mitgliedern. Verbände sind mit dem Denken oft weiter als ihre Mitglieder. Häufig ist es aber so, dass die Mitglieder die von ihrer Berufsvertretung vorgeschlagenen Konzepte ablehnen. Den Verbänden bleibt dann die Verteidigung des Status Quo.
DAZ.online: Aus Ihrer Sicht ist die von der ABDA vorgebrachte Argumentationskette in Sachen Rx-Versandhandelsverbot also schlüssig, Herr Hennrich?
Hennrich: Wie gesagt, wir müssen die Präsenzapotheke vor Ort jetzt schnell stärken und somit Gerichtsverfahren und Klagen vermeiden. Wir brauchen Sicherheit und klare Strukturen im Markt. Die von Frau Dittmar angesprochene grundsätzliche Veränderung des Honorarsystems sehe aber auch ich. Tendenzen dazu gibt es bereits, das sehen Sie bei der Honorarerhöhung für Rezepturen und die BtM-Abgabe. Das kostet aber Zeit und die haben wir im Moment nicht. Auf Ihre Frage hin sage ich aber auch, dass wir in den Reihen der Apotheker einen Kulturwandel brauchen.
DAZ.online: Inwiefern?
Hennrich: Das beste Beispiel ist eigentlich die Debatte um die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wer sich bei diesem Thema ständig versperrt und nicht mitgeht, hat eigentlich schon verloren. Beim eRezept müssen sich die Apotheker beispielsweise einfach öffnen, da müssen sie einfach mitgehen.
DAZ.online: Sonst?
Hennrich: Es ist schon vorgekommen, dass ich mich von den Apothekern auf Veranstaltungen beschimpfen lassen musste, weil ich sagte, dass sie mit den Rabattverträgen leben müssten. Für mich ist klar: Wenn das Rx-Versandhandelsverbot tatsächlich kommen sollte, dann werde ich auf solche Situationen keine Lust mehr haben. In Diskussionen, die sich beispielsweise um die Digitalisierung drehen, würde ich dann Dinge auch einmal mit einer anderen Autorität einfordern.
12 Kommentare
Um die SPD mache ich mir keine Sorgen mehr.
von Christian Timme am 12.12.2016 um 19:31 Uhr
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SPD ? Nicht wählbar für Apothekenmitarbeiter
von Tilmann Schöll am 15.11.2016 um 8:15 Uhr
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Nachtrag
von gabriela aures am 14.11.2016 um 22:22 Uhr
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Zuerst einmal vielen Dank,
von gabriela aures am 14.11.2016 um 16:48 Uhr
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Politikwechsel
von Ulrich Janzik am 14.11.2016 um 16:02 Uhr
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Dumm gelaufen
von Wolfgang Müller am 14.11.2016 um 15:41 Uhr
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Patientenbindung
von Frank Zacharias am 14.11.2016 um 15:12 Uhr
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Konsequenzen aus dem EuGH-Urteils
von Uwe Hüsgen am 14.11.2016 um 14:29 Uhr
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Nix passiert
von Peter Bauer am 14.11.2016 um 14:28 Uhr
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AW: Leider gut, aber in die falsche Richtung argumentiert
von Wolfgang Müller am 14.11.2016 um 16:04 Uhr
Minderheitenpartei SPD
von Frank ebert am 14.11.2016 um 14:10 Uhr
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Ich kann mich nur wiederholen!
von Christiane Patzelt am 14.11.2016 um 13:56 Uhr
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