Orale Antikoagulanzien

Wirkt Dabigatran prothrombotisch?

06.02.2017, 14:00 Uhr

Dabigatran schützt vor Schlaganfällen und Beinvenenthrombosen – doch warum steigt das Herzinfarktrisiko geringfügig an? (Foto: Boehringer Ingelheim)

Dabigatran schützt vor Schlaganfällen und Beinvenenthrombosen – doch warum steigt das Herzinfarktrisiko geringfügig an? (Foto: Boehringer Ingelheim)


Aus Studien ist bekannt, dass Patienten, die mit dem Thrombininhibitor Dabigatran
behandelt werden, ein geringfügig höheres Herzinfarktrisiko besitzen als diejenigen
unter VKA-Therapie. Eine Münchener Forschergruppe hat kürzlich Ergebnisse von
In-vitro-Untersuchungen veröffentlicht, die eine mögliche Erklärung dafür liefern.

Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2013 scheint das leicht erhöhte
Herzinfarktrisiko (die Vergleichssubstanz war hier Warfarin) ein Klasseneffekt der direkten Thrombininhibitoren zu sein, also beispielsweise auch auf Ximelagatran zuzutreffen, das 2006 wegen des Risikos für Leberschäden vom Markt genommen worden war.

Dr. Tobias Petzold und sein Team vom Klinikum der Universität München und weiteren Einrichtungen wollten der Ursache dafür auf den Grund gehen. Sie führten deshalb In-vitro-Experimente mit Blut von Patienten sowie In-vivo-Versuche mit Mäusen durch. In vitro analysierten sie die Thrombozytenfunktion mithilfe von Plastikkammern, in die sie Blut von Patienten, die Dabigatran (150 mg zweimal täglich, N=41) oder VKA (INR zwischen 2 und 3, N=54) eingenommen hatten bzw. von gesunden Kontrollen, einfüllten.

Nachdem der natürliche Blutfluss simuliert worden war, kam es im Dabigatran-haltigen Patientenblut zu stärkerer Thrombozytenaggregation und Thrombusbildung als in den VKA-haltigen Blutproben. Waren die Kammern mit atherosklerotischem Plaquematerial von Patienten beschichtet, verstärkte sich der Effekt noch. Im Mausmodell war die Thrombusbildung in verletzten Carotis-Arterien unter Dabigatran ebenfalls stärker ausgeprägt als unter VKA.

Hypothese zum Mechanismus

Mit Acetylsalicylsäure sowie Antikörpern gegen den Oberflächenrezeptor
Glykoprotein Ibα (GPIbα) auf Thrombozyten ließen sich diese Wirkungen
antagonisieren. Daher liegt die Vermutung nahe, dass GPIbα, dessen Aktivierung durch den von-Willebrandt-Faktor die Aggregation der Thrombozyten sowie deren Anheftung an die Endothel von Blutgefäßen vermittelt, eine Rolle spielen könnte.

Möglicherweise, so postulieren die Forscher, wirkt Dabigatran prothrombotisch, indem es die Bindung des Gerinnungsfaktors Thrombin an GPIbα verändert. Dies könnte zum Anstieg des Herzinfarktrisikos bei den mit Dabigatran behandelten Patienten beitragen. Sie verweisen aber auch darauf, dass die Mechanismen, die die Thrombusbildung im arteriellen System regulieren, sehr komplex sind. Daher ist es auch nicht möglich, die im Laborversuch gewonnenen Erkenntnisse auf klinische Situationen zu übertragen.

Insbesondere dürfen die Ergebnisse auch nicht auf Antikoagulanzien mit anderen Wirkmechanismen, d.h. auf die Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban übertragen werden, betonen die Autoren der Studie. Notwendig seien nun weitere experimentelle Untersuchungen sowie randomisierte klinische Studien, um dieses Problem zu bearbeiten. Vielleicht sei es aber schon jetzt sinnvoll, vor der Verordnung eines Thrombininhibitors das Herzinfarktrisiko des Patienten abzuwägen, so das vorläufige Fazit der Münchener Forscher.



Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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