Verordnung für den Praxisbedarf

Wie weit geht das Rezeptur- und Defekturprivileg der Apotheken?

Berlin - 24.04.2017, 14:00 Uhr

 Wie viele Spritzen – und für wen – darf eine Apotheke ohne besondere Zulassung anfertigen? (Foto: Svetlana Anikina / Fotolia)

Wie viele Spritzen – und für wen – darf eine Apotheke ohne besondere Zulassung anfertigen? (Foto: Svetlana Anikina / Fotolia)


Medizinrechts-Expertin widerspricht

Die Kölner Rechtsanwältin und Medizinrechts-Expertin Dr. Sabine Wesser hält das Urteil aus Schleswig-Holstein nicht für überzeugend. Sie verweist auf die Gründe für die gesetzliche Privilegierung von in Apotheken hergestellten Rezeptur- und Defekturarzneimitteln. Diese beruhe zum einen darauf, dass diese Arzneimittel nicht für den Handel, also für den Weitervertrieb durch den Großhandel hergestellt werden, sondern zur Abgabe für den Endverbrauch, also für bestimmte  Verbraucher. Eine unabsehbare Massenverbreitung scheide somit aus. Verbraucher im Sinne des Arzneimittelgesetzes sei unstreitig aber nicht nur der Patient, sondern auch zum Beispiel der Arzt, der für seinen Praxisbedarf ein Arzneimittel verschreibt oder an seinen Patienten anwendet.

Ein weiterer Grund der Privilegierung sei, dass die Anfertigung von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln regelmäßig unter der Verantwortung zweier Spezialisten erfolge: So zeichne der Arzt  verantwortlich für die Wirksamkeit und Vertretbarkeit in therapeutischer Hinsicht und der Apotheker für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in pharmazeutischer Hinsicht. Auch diese Doppelkontrolle rechtfertige, für das Herstellen und Inverkehrbringen von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln  nicht auch noch eine behördliche Erlaubnis und Zulassung zu verlangen.

Verschreibungsbegrenzung nur bei BtM

Wesser teilt daher nicht die Auffassung, Ärzte dürften Arzneimittel nur „in Patientenportionen“ als Rezepturarzneimittel verschreiben und „abgabefertig“ im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG sei nur eine Packung, die zur Abgabe an den Verbraucher „Patient“ bestimmt ist. Eine Beschränkung des Arztes bezüglich der Menge des von ihm verschriebenen Arzneimittels kenne das Gesetz nur bei Betäubungsmitteln. Apotheken seien nach der Apothekenbetriebsordnung verpflichtet, ärztliche Verschreibungen auszuführen – und zwar so, dass die abgegebenen Arzneimittel den Verschreibungen entsprechen, gleich, ob der Arzt sie für einen bestimmten Patienten oder für seinen Praxisbedarf ausgestellt hat.

Eine richtlinienkonforme Auslegung hält Wesser ebenfalls nicht für geboten, weil sich aus der genannten Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Oktober 2016 ergebe, dass die Richtlinie 2001/83/EG auf in Apotheken defekturmäßig, d.h. in einem handwerklichen Verfahren und in durch die Hunderterregel begrenzter Menge hergestellte und nicht für den Verkauf im Großhandel bestimmte Arzneimittel gar keine Anwendung findet, weil sie nicht im Sinne des Art. 2 der Richtlinie „gewerblich oder unter Anwendung eine industriellen Verfahrens zubereitet“ seien.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Man darf gespannt, ob und wie sich die zugrundeliegenden Rechtsfragen klären werden.

Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 16. März 2017, Az.: 1 A 123/14



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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