Die Kölner
Rechtsanwältin und Medizinrechts-Expertin Dr. Sabine Wesser hält das Urteil aus
Schleswig-Holstein nicht für überzeugend. Sie verweist auf die Gründe für die
gesetzliche Privilegierung von in Apotheken hergestellten Rezeptur- und
Defekturarzneimitteln. Diese beruhe zum einen darauf, dass diese Arzneimittel
nicht für den Handel, also für den Weitervertrieb durch den Großhandel
hergestellt werden, sondern zur Abgabe für den Endverbrauch, also für
bestimmte Verbraucher. Eine unabsehbare
Massenverbreitung scheide somit aus. Verbraucher im Sinne des
Arzneimittelgesetzes sei unstreitig aber nicht nur der Patient, sondern auch
zum Beispiel der Arzt, der für seinen Praxisbedarf ein Arzneimittel verschreibt
oder an seinen Patienten anwendet.
Ein weiterer Grund der
Privilegierung sei, dass die Anfertigung von Rezeptur- und
Defekturarzneimitteln regelmäßig unter der Verantwortung zweier Spezialisten
erfolge: So zeichne der Arzt
verantwortlich für die Wirksamkeit und Vertretbarkeit in therapeutischer
Hinsicht und der Apotheker für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
in pharmazeutischer Hinsicht. Auch diese
Doppelkontrolle rechtfertige, für das Herstellen und Inverkehrbringen von
Rezeptur- und Defekturarzneimitteln
nicht auch noch eine behördliche Erlaubnis und Zulassung zu verlangen.
Verschreibungsbegrenzung nur bei BtM
Wesser teilt daher
nicht die Auffassung, Ärzte dürften Arzneimittel nur „in Patientenportionen“
als Rezepturarzneimittel verschreiben und „abgabefertig“ im Sinne des § 21 Abs.
2 Nr. 1 AMG sei nur eine Packung, die zur Abgabe an den Verbraucher „Patient“
bestimmt ist. Eine Beschränkung des Arztes bezüglich der Menge des von ihm verschriebenen
Arzneimittels kenne das Gesetz nur bei Betäubungsmitteln. Apotheken seien nach
der Apothekenbetriebsordnung verpflichtet, ärztliche Verschreibungen
auszuführen – und zwar so, dass die abgegebenen Arzneimittel den
Verschreibungen entsprechen, gleich, ob der Arzt sie für einen bestimmten
Patienten oder für seinen Praxisbedarf ausgestellt hat.
Eine
richtlinienkonforme Auslegung hält Wesser ebenfalls nicht für geboten, weil
sich aus der genannten Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 26.
Oktober 2016 ergebe, dass die Richtlinie 2001/83/EG auf in Apotheken
defekturmäßig, d.h. in einem handwerklichen Verfahren und in durch die
Hunderterregel begrenzter Menge hergestellte und nicht für den Verkauf im
Großhandel bestimmte Arzneimittel gar keine Anwendung findet, weil sie nicht im
Sinne des Art. 2 der Richtlinie „gewerblich oder unter Anwendung eine
industriellen Verfahrens zubereitet“ seien.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Man darf gespannt, ob und wie sich die zugrundeliegenden Rechtsfragen klären werden.
Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 16. März 2017, Az.: 1 A 123/14
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