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Mutation im Natriumkanal
Gen hilft bei Therapieentscheidung mancher Epilepsiepatienten
Bei Patienten mit einer Mutation im Natriumkanal-Gen SCN2A kann eine genetische Analyse bei der Wahl der Therapie helfen: Je nachdem, ob die Mutation eine Überfunktion oder eine Unterfunktion des Natriumkanals bewirkt, ist ein Natriumkanal-Blocker indiziert oder nicht. Manche Experten zweifeln jedoch noch an der praktischen Relevanz der Ergebnisse.
„Meilenstein in der Epilepsie-Therapie: Gen verrät, ob Medikamente wirken“, verkünden die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) und die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) in einer gemeinsamen Presseerklärung. „Säuglinge, bei denen eine bestimmte Epilepsie in den ersten drei Lebensmonaten ausbricht, profitieren von anderen Medikamenten als Kinder, die später erkranken“, heißt es mit Verweis auf eine neue Studie im Fachmagazin „Brain“.
Fast jede zweite Epilepsie beginnt im Kindesalter, schreiben die Gesellschaften. Dabei sind Mutationen im Natriumkanal-Gen SCN2A allerdings ein seltener Auslöser. Laut der Presseerklärung lösen sie schwer verlaufende und sehr schwierig zu behandelnde Epilepsien aus, die auch mit Entwicklungsstörungen einhergehen. „Neugeborene und Säuglinge mit schweren und häufigen Anfällen benötigen rasch eine wirksame Therapie, damit sich ihr Gehirn gesund entwickeln kann“, heißt es – doch nicht alle Kinder profitierten gleichermaßen von den verfügbaren Arzneimitteln.
Unterschiede je nach Mutation
Die Forscher analysierten gut 70 Fälle von SCN2A-Epilepsien. Sie stellten fest, dass bei etwa jedem zweiten Kind die Epilepsie in den ersten drei Lebensmonaten beginnt, bei den anderen später – bis zum Alter von acht Jahren. „Kinder mit einem frühen Krankheitsbeginn profitierten deutlich von einer medikamentösen Therapie mit Natriumkanal-Blockern“, erklären die Wissenschaftler. Bei den Kindern mit spätem Beginn hätten dieselben Epilepsie-Medikamente jedoch keine oder sogar negative Effekte.
Der Neuropädiater Markus Wolff und der Neurologe Holger Lerche konnten außerdem zeigen, welcher Mechanismus dem unterschiedlichen Ansprechen auf eine Therapie zugrunde liegt: Bestimmte SCN2A-Mutationen führen entweder zu einer Überfunktion oder einer Unterfunktion des Natriumkanals. Überfunktionen, die laut den Wissenschaftlern nur bei frühem Krankheitsbeginn zu finden sind, werden durch Natriumkanal-Blocker deutlich abgemildert. Unterfunktionen, die mit einem späten Krankheitsbeginn einhergehen, werden hingegen verstärkt.
„Der Therapieeffekt bei einer SCN2A-Mutation ist also durch den Krankheitsbeginn und die Art der Epilepsie sehr gut vorhersehbar“, erklärt Markus Wolff von der Uniklinik Tübingen. Da SCN2A-assoziierte Epilepsien sich häufig bis ins Erwachsenenalter fortsetzen, könnte dies auch für Erwachsene relevant werden. „Sie könnten vielleicht schon allein durch das Absetzen der falschen Medikamente profitieren“, zitiert die Pressemitteilung seinen Kollege Lerche.
Inwiefern helfen die Erkenntnisse bei der Arzneimitteltherapie?
Kindliche Epilepsien seien – wie viele neurologische Erkrankungen – oft genetisch bedingt, erklärt Christine Klein, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Immer häufiger findet die Forschung wie in diesem Fall in der Genetik auch einen Schlüssel zur Therapie“, sagt sie. „Von diesem neuen Wissen profitieren vor allem Neugeborene und Säuglinge mit schweren epileptischen Anfällen: Sie können jetzt gezielter behandelt werden.“ Das erhöhe die Chance der Kinder, schnell anfallsfrei zu werden – und könne Entwicklungsstörungen verhindern.
„Die Genetik eröffnet uns eine neue Ära in der Behandlung von Epilepsie-Patienten, ganz im Sinne einer nach dem Gendefekt individualisierten Behandlung“, erklärt Thomas Mayer, Chefarzt im Sächsischen Epilepsiezentrum Radeberg und Geschäftsführer der DGfE. Auch aus Sicht seines Kollegen Knut Brockmann, Neuropädiater der Universitäts-Kinderklinik Göttingen, hat die „wegweisende Studie“ die Therapiemöglichkeiten für betroffene Kinder entscheidend verbessert. „Als bemerkenswerte Konsequenz aus der Untersuchung ergeben sich klare Empfehlungen für die Behandlung dieser schwerkranken Neugeborenen, Säuglinge und Kinder. Sie sind für die betroffenen Patienten und ihre Familien sowie für die behandelnden Kinderärzte und Neurologen äußerst hilfreich“, betont er.
Mehr Autoren als Patienten
Bei fast allen der in der Studie eingeschlossenen Patienten halfen ihnen die Erkenntnisse aus der Untersuchung jedoch nicht, da sie oft bereits anfallsfrei waren oder viele Antiepileptika bei ihnen ausprobiert worden waren. Außerdem handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung: Die Autoren der Studie schätzten anhand von Daten aus Dänemark, dass das SCN2A-Gen bei einem von rund 79.000 Menschen mutiert ist und die entsprechenden Symptome hervorruft.
Kritischer äußerst sich Soheyl Noachtar, Leiter des Interdisziplinären Epilepsie-Zentrums am Klinikum der Universität München. Die Publikation sei interessant, habe aber derzeit und auch in absehbarer Zukunft keinen Einfluss „für die allermeisten Epilepsiepatienten“, erklärt er – da sie eben nur bei Patienten mit SCN2A-Mutation hilft. „Es wurden sehr seltene Epilepsieformen untersucht, was sie nicht zuletzt daran erkennen, dass es mehr Autoren gibt, als Patienten in die Studie eingeschlossen wurden“, erklärt er.
4 Kommentare
SCN2A-Gen ist de novo
von Sabit am 26.04.2018 um 22:02 Uhr
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AW: SCN2A-Gen ist de novo
von Biti am 22.10.2018 um 23:47 Uhr
Quelle
von Dr Schweikert-Wehner am 16.05.2017 um 11:06 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Quelle an der ich sitze
von Dr. Schweikert-Wehner am 16.05.2017 um 15:03 Uhr
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