Wachstumsprognose bis 2021

Studie sieht Vor-Ort-Apotheken durch Holland-Boni nicht gefährdet

Bad Homburg - 19.05.2017, 14:20 Uhr

Im „realistischen Szenario“ der Studie soll der Rx-Versand aus den Niederlanden um 20 Prozent steigen, jener aus Deutschland um 2,9 Prozent. (Grafik: Sempora)

Im „realistischen Szenario“ der Studie soll der Rx-Versand aus den Niederlanden um 20 Prozent steigen, jener aus Deutschland um 2,9 Prozent. (Grafik: Sempora)


Wie wirkt sich das EuGH-Urteil auf die wirtschaftliche Lage der Vor-Ort-Apotheken aus? Bislang gibt es wenig Zahlen – die Unternehmensberatung Sempora wagt nun eine Prognose. Nach den Hochrechnungen könnten Marketingmaßnahmen und Rx-Rabatte DocMorris und Co. ein Wachstum von 20 Prozent pro Jahr bescheren. Doch dies sei kein relevantes Problem für deutsche Apotheken, da aufgrund der sinkenden Apothekenzahl auch dort der Rx-Umsatz weiter wachse.

Es ist eine stark umstrittene Frage, wie sich das EuGH-Urteil zu Rx-Boni vom Oktober letzten Jahres auf die Apothekenlandschaft in Deutschland auswirkt. Handelt es sich bei der Freigabe von Rx-Rabatten für ausländische Versandhandelsapotheken nur um den Ausgleich anderer Nachteile für EU-Versender, wie die Richter gemeint haben – oder um den Todesstoß für die deutsche Vor-Ort-Apotheke?

Die im Apothekenmarkt immer wieder aktive Unternehmensberatungsfirma Sempora wagt sich nun mit Hochrechnungen an die Öffentlichkeit. „Ist eine extreme Veränderung des Apothekenmarktes durch den Rx-Versand wirklich zu erwarten“, fasst sie die zugrundeliegende Fragestellung zusammen – und nimmt nach eigenen Worten „faktenbasiert auf Basis der heutigen Rechtsprechung“ für die Entwicklung des Rx-Marktes Hochrechnungen bis 2021 vor. „Basis hierfür sind die historischen Marktzahlen von Insight Health, Expertengespräche mit Marktteilnehmern sowie Veröffentlichungen der Versandapotheken“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Rx-Wachstum für alle

Eine grundsätzliche Erkenntnis schickt die Firma gleich vorneweg: Der Rx-Markt wird allgemein weiter wachsen. Basierend auf den Zahlen der gesetzlichen und privaten Versicherer aus den Jahren von 2013 bis 2016 geht Sempora von jährlichen Wachstumsraten von 2,9 Prozent aus. Dies heißt: Der Markt wächst von 42,4 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 48,8 Milliarden Euro im Jahr 2012. „Diese Marktentwicklung kommt allen Apothekern zugute“, erklärt die Beratungsfirma. 

(Grafik: Sempora)
Steigerungen des Rx-Umsatzes in den letzten Jahren sowie Hochrechnungen bis 2021.

Als aktuellen Rx-Umsatz inländischer und ausländischer Versandapotheken in Deutschland setzt Sempora die Summe von 549 Millionen Euro an, was einem Marktanteil von 1,3 Prozent entspricht. Hiervon entfielen 380 Millionen Euro – oder 69 Prozent – auf niederländische Versender. „Im Vergleich zu 2013 haben die niederländischen Versender 100 Millionen Euro Umsatz eingebüßt“, heißt es in der Pressemitteilung – mit Verweis darauf, dass die Niederländer in diesem Zeitraum keine Boni auf Rx-Medikamente gewähren durften.  

Sempora nutzte Eigenangaben von DocMorris und Co.

Wie ändert sich die Lage durch die EuGH-Entscheidung vom Oktober 2016? Marketingmaßnahmen und Boni „sowie die Rückgewinnung von Kunden“ werden niederländischen Versendern laut Sempora ein Wachstum von 20 Prozent pro Jahr zukommen lassen. Wohl mit Blick auf die hierzulande noch bestehende Rx-Preisbindung heißt es weiter: „Deutsche Versandapotheken werden davon nicht profitieren." Diese würden nur wie der gesamte Rx-Markt um 2,9 Prozent pro Jahr) wachsen können. Somit wird in 2021 ein Rx-Versandumsatz von insgesamt 1,14 Milliarden Euro erreicht werden, davon aus 946 Millionen Euro aus den Niederlanden. „Dies entspricht einem Marktanteil am Gesamtmarkt von nur 2,3 Prozent“, heißt es in der Pressemitteilung.

Doch woher kommt die Schätzung von 20 Prozent Rx-Wachstum für niederländische Versender? Arnt Tobias Brodtkorb, Studienkoordinator und geschäftsführender Gesellschafter von Sempora, erläutert es auf Nachfrage von DAZ.online: Die Firma habe bei den Versendern angefragt, die angegeben hätten, in den „Hochzeiten“ von 2004 bis 2012 mit viel Marketing im Rx-Bereich um jährlich rund 10 Prozent zu wachsen. Seit dem EuGH-Urteil seien sie in den Medien noch präsenter, daher habe man das Wachstum nun mit 20 Prozent angesetzt.

Von „großer Bedrohung“ könne keine Rede sein

Und selbst wenn die Rx-Zahlen jährlich um 30 Prozent auf einen Jahresumsatz im Rx-Versand von 1,6 Milliarden Euro steigen, sieht Brodtkorb kein Problem für deutsche Vor-Ort-Apotheken. Dies würde ohnehin die „Empfehlung des Rezeptgeschäfts über die Niederlande durch Multiplikatoren im Gesundheitsmarkt“ nötig machen – doch selbst dann würde der Rx-Versand nur 3,3 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen. „Bei diesem niedrigen Marktanteil in einem sehr optimistischen Szenario kann nicht davon die Rede sein, dass der Versandhandel mit Rx-Medikamenten die große Bedrohung für den Fortbestand der stationären Apotheke sein wird“, folgert er.

Die Zahl der Apotheken habe sich hierzulande in den letzten Jahr jährlich um rund 200 reduziert, auf 20.032 Apotheken Ende des vergangenen Jahres. „Auch in den Jahren 2012 bis 2016, in denen keine Boni auf Rx-Medikamente aus den Niederlanden erlaubt waren und die Niederländer an Umsatz verloren haben, ist die Anzahl der Apotheken zurückgegangen“, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie. „Ein Zeichen, dass der Einfluss des Rx-Versandes auf das Apothekensterben nicht groß gewesen sein kann.“ Apothekenschließungen entstünden bekanntlicherweise aus einer Vielzahl von Gründen – wie Wettbewerb zwischen stationären Apotheken, Landflucht der Ärzte, fehlenden Nachfolgereglungen oder fehlendem kaufmännischen „Geschick“, erklärt Sempora.

Wer hat die Studie beauftragt?

Wenn es bei 200 Schließungen pro Jahr bleibt, gebe es 2021 rund 19.000 aktive Apotheken. Durch das kontinuierliche Wachstum des Rx-Marktes und durch die reduzierte Anzahl von Apotheken steigt trotz des 20-prozentigen Wachstums des Rx-Versandhandels aus den Niederlanden der Rx- Durchschnittsumsatz einer Apotheke von 2,2 Millionen Euro im Jahr 2016 auf 2,5 Millionen Euro im Jahr 2021, betont die Unternehmensberatung.

(Grafik: Sempora)


„Dass der Versandhandel aus Holland der große Grund für das Apothekensterben sein wird, ist anhand dieser Zahlen nicht zu erkennen“, gibt sich Brodtkorb gegenüber DAZ.online sicher. Wenn ein elektronisches Rezept oder ein anderes Preissystem eingeführt wird, könne die Situation natürlich anders aussehen.

Er versichert, dass seine Firma unabhängig agiert habe. Doch wer hat sie beauftragt? „Keiner – keiner hat mich beauftragt“, betont Brodtkorb. „Für uns als Sempora ist es ein Marketing-Investment, Studien zu machen. Wenn wir ein interessantes Thema finden, beschäftigen wir uns damit.“ Mit seinen Mitarbeitern habe er die Zahlen „total emotionslos hochgerechnet“ und versucht darzustellen, was das EuGH-Urteil für den Markt in Deutschland bedeutet. „Warum die ABDA bislang keine Zahlen herausgegeben hat, weiß ich nicht“, sagt er.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Unabhängig...?

von Pharmi am 28.06.2017 um 12:59 Uhr

Dass aber, laut Firmenhomepage, sowohl Docmorris als auch ZurRose Kunden von Sempora sind ist Zufall in Bezug auf das Ergebnis dieser Studie?

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Falsche Datenbasis

von Tilman La Roche am 20.05.2017 um 13:17 Uhr

Allein der Umsatz als Datenbasis ist falsch!
Wieviel "verdiene" ich an einem Antibiotikum für ein Kind, wenn ich es noch fertig herstelle und umfassend berate? Nichts.
Hingegen der Chroniker mit 2,3,4 Rezepten....
Das sind die Kunden, die bei ausländischen Versendern sparen und die bei uns das Betriebsergebnis retten.
Heimbelieferung steigert den Umsatz erheblich, aber Gewinn??

Dh 20-25% des Umsatzes sind entscheidend für den Gewinn. Umsatz ist nicht gleich Umsatz!!
Das wird bei dieser Studie überhaupt nicht erwähnt geschweige denn berücksichtigt.
Wenn es dann 30 statt 20% Steigerung ist und zudem vom "wertvollen Umsatz", dann kommt man zu einem völlig anderen Ergebnis.
Es gibt nun schon seit Jahren ein kompliziertes Rohertragsmonitoring, wo der Unterschied zwischen Umsatz und Rohertrag deutlich auseinanderläuft. Gewinn steht nochmal auf einem anderen Papier, aber der entscheidet am Ende über die Existenz einer Apotheke.

Diese Studie ist eigentlich nicht das Papier wert.

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Placebo vom Sandmännchen ...

von Christian Timme am 20.05.2017 um 2:51 Uhr

Formulieren wir es lückenhaft wie folgt: Wenige VS aus NL wachsen prozentual aufgrund einer niedrigeren Ausgangsbasis höher als die deutschen Apotheken ... Wenn sich die Zahl der deutschen Apotheken weiter verringert, bleibt mehr für die übrig, die bleiben. Verringert sich die Zahl der Apotheken in D ab 20XX nicht weiter, entfällt dieser Zuwachsanteil entsprechend. (Leben- vom Sterben-Anteil). In der folgenden Zeitspanne, Zahl der verbleibenden Apotheken stabilisiert sich (?), nimmt der Wettbewerb zu und das Wachstum weiter ab ... Wenn die direkte "örtliche Abhängigkeit" und "Symbiose" von Arzt, Apotheke und Patient "destrukturiert" wird, bricht zuerst auf dem Land das "blanke Chaos" aus. Wir reden hier über ein Struktur- und Verteilungsproblem, die Konzentration der "Gesundheitsanbieter" auf Ballungs- und Stadtgebiete ist das gewollte oder "ungewollte" Endergebnis. - Soll heißen: Wenn Arzt, Apotheke und Patient "getrennt" werden ... ist die gesamte, aktuelle und fokussierte Diskussion ein großes "Placebo" ... die Lösungen für die Kunden und Patienten liegen nicht in "beschäftigenden Diskussionsrunden" und Diagrammen über den Versandhandel ... es ist an der Zeit diese "Sandmännchen-Diskussion" auf einen höheren "Lösungslevel" zu heben ...

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Für wie blöd will man uns verkaufen !?

von Ratatosk am 19.05.2017 um 18:16 Uhr

Die Grundlagen sollen zerstört werden, diese sog. faktenbasierten Studien sollen doch nur für unbedarfte Politiker als Tarnung dienen.
Schön und wenig erstaunlich ist, daß hier von den Versendern die Daten so einfach zur Verfügung stehen !
Wer ist eigentlich der Auftraggeber und Finanzier? - eben.

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