Fälschungsfall

Kamen die weißen Harvoni-Tabletten von Gilead?

Stuttgart - 07.06.2017, 10:30 Uhr

Während Harvoni-Tabletten im Original orange sind, lassen sich die aktuellen Fälschungen an ihrer weißen Farbe erkennen. (Foto: BfArM)

Während Harvoni-Tabletten im Original orange sind, lassen sich die aktuellen Fälschungen an ihrer weißen Farbe erkennen. (Foto: BfArM)


Inzwischen wurden nun in drei Bundesländern auffällige Packungen des Hepatitis-C-Mittels Harvoni bemerkt, rund fünf Apotheken und mehrere Großhändler sind bislang betroffen. Die Untersuchung der gefälschten Präparate ist noch nicht abgeschlossen, doch laut Analysen des Herstellers sollen die Tabletten Wirkstoff enthalten. Gilead stellt selbst auch weiße Tabletten her. 

Nachdem am vergangenen Donnerstagabend das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einer Eilmeldung über gefälschte Packungen des Hepatitis-C-Mittels Harvoni aufmerksam machte, ist inzwischen klar, dass es sich um keinen Einzelfall handelte. Potenziell gefälschte Ware der betroffenen Charge mit der Bezeichnung 16SFC021D wurde in Apotheken in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bemerkt und an die AMK gemeldet, erklärte die Regierung von Oberbayern auf Anfrage von DAZ.online. „Die Anzahl der betroffenen Apotheken liegt derzeit im mittleren einstelligen Bereich.“ Die Identifizierung der potenziellen Fälschung sei jeweils durch die Patienten erfolgt.

Die Lieferkette der betroffenen Charge werde derzeit unter Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten untersucht, erklärt die Regierung von Oberbayern, die die Ermittlungen leitet – da die deutsche Niederlassung des Herstellers Gilead in der Nähe von München ansässig ist. „In Deutschland sind mehrere Großhändler in die Lieferkette involviert, wobei die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind“, erklärte ein Sprecher. Klar ist, dass es sich bei einem der betroffenen Großhändler um Phoenix handelt. Wie das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen gegenüber DAZ.online bekannt gab, sollen die Packungen über Holland in den deutschen Großhandel gekommen sein.

(Foto: BfArM)

Die Fälschungen sind offenbar am Äußeren der Packung nicht zu erkennen – doch an der Farbe der Tabletten, die weiß statt wie beim Original orange sind. Die Untersuchung der Tabletten durch die Regierung von Oberbayern ist noch nicht abgeschlossen, doch offenbar haben Analysen durch den Hersteller Gilead ergeben, dass sie die gleichen Wirkstoffe wie das Original enthalten. Gilead stellt selbst auch weiße Tabletten her, jedoch nicht für den deutschen Markt. Gegenüber dem Gesundheitsministerium Brandenburg gab der Hersteller an, dass eine Untermischung durch Gilead eher unwahrscheinlich sei, jedoch noch geprüft werde.

Das Regierungspräsidium Arnsberg erhielt vom ersten Fund der weißen Tabletten am vergangenen Mittwoch Bescheid. Ein Patient in Dortmund hatte sie bemerkt. Erst am Freitagnachmittag um 17 Uhr erhielten Apotheken in Deutschland eine AMK-Phagro-Schnellinformation zu dem Fälschungsfall – mit der auch die betroffene Charge vom Hersteller zurückgezogen wurde. Die Online-Meldungen der AMK, über die bereits am Donnerstagabend zu dem Fall informiert wurde, können von Apothekern auch über einen kostenlosen RSS-Feed der ABDA unter www.abda.de/rss/ bezogen werden.

Wie sollen Apotheker vorgehen?

Die Online-Meldung blieb zunächst relativ vage. „Die AMK weist Apotheker darauf hin, die Farbe der Filmtabletten zu prüfen und einen Fälschungsverdacht umgehend an die AMK unter www.arzneimittelkommission.de zu melden“, hieß es. „Patienten, die das Arzneimittel Harvoni® 90 mg / 400 mg Filmtabletten der Firma Gilead anwenden, sind angemessen zu informieren.“

Bezogen sich diese Aussagen nur auf die bislang betroffene Charge? Ja, erklärte ein ABDA-Sprecher auf Nachfrage – diese sollten von Apotheken umgehend in Quarantäne genommen werden. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazierräte, Christian Bauer, hatte gegenüber DAZ.online geraten, bei jeder Abgabe von Harvoni® im Beisein des Patienten die orginalverschlossene Packung zu öffnen – um zu kontrollieren, welche Farbe die Tabletten haben. „Damit kann man den Patienten auch beruhigen“, betonte Bauer. Eine Prüfung der Farbe durch das Apothekenteam sei nicht notwendig, erklärt hingegen nun die ABDA. „Andere Chargen von Harvoni sind nicht betroffen.“

Während der Hersteller Apotheker nur bat, Patienten zu kontaktieren, die Packungen aus der betroffenen Charge erhalten haben, rät Pharmazierat Bauer zu mehr Vorsicht: Er sagte, dass er alle Patienten kontaktieren würde, von denen er weiß, dass sie über ihn Harvoni® erhalten haben – um sie nach der Farbe und Chargennummer ihres Präparats zu fragen.

Bundesgesundheitsminister Gröhe verweist auf SecurPharm

Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf Nachfrage auf eine ältere, allgemeine Äußerung von Minister Hermann Gröhe. „Jeder Fall von gefälschten Arzneimitteln ist einer zu viel“, hatte der CDU-Politiker Mitte Mai gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ erklärt. „Deshalb müssen kriminelle Machenschaften von Arzneimittelfälschern konsequent verfolgt werden, dazu arbeiten die Arzneimittelbehörden von Bund und Ländern eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen.“

Gröhe verwies ferner auf das geplante System SecurPharm. „Um Patientinnen und Patienten besser zu schützen, wird es ab Februar 2019 europaweit Sicherheitsmerkmale für verschreibungspflichtige Arzneimittel geben“, erklärte er. Dieses ermögliche, die Echtheit eines jeden Arzneimittels zu überprüfen und einzelne Packungen nachzuverfolgen. „Damit Verbraucher bei Online-Bestellungen besser geschützt sind, haben wir ein gemeinsames europäisches Versandhandelslogo geschaffen“, fügte Gröhe hinzu. „Daran erkennen Verbraucher, dass sie es mit einem verlässlichen Anbieter zu tun haben.“

Die Gilead-Sprecherin erklärte auf Nachfrage von DAZ.online, dass die Bekämpfung illegaler Machenschaften eine starke Zusammenarbeit aller Parteien erfordere. „Angesichts der Menge der Medikamente, die Gilead weltweit vertreibt, verzeichnen wir relativ selten Arzneimittelfälschungen“, betonte sie – vor drei Wochen war ein anderer Fälschungsfall eines weiteren Hepatitis-C-Mittels von Gilead aufgrund von Rechtschreibfehlern auf der Verpackung aufgefallen, bevor die Packungen in den Großhandel kamen.

„Wir haben eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, die helfen sollen, die Verbreitung von gefälschten Produkten rasch zu erkennen und zu verhindern“, erklärte die Gilead-Sprecherin. Ein global agierendes Team arbeite daran, vermeintliche Fälschungsaktivitäten und ungewöhnliche Vertriebswege zu erkennen und zu verstehen, ob bestimmte Produkte und Standorte besonders betroffen sein können, um gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Angebliche Harvoni Fälschung

von Andreas Lemke am 07.06.2017 um 23:16 Uhr

Da kam wohl Drittstaatenware auf den deutschen Markt. Sieht mir sehr stark nach einem Fehler in der Konfektionierung beim Hersteller aus. Kommt nicht das erste Mal vor. Ich erinnere mich an ein zu helles Blau bei Viread. Die waren damals für Afrika bestimmt und landeten auch in Deutschland.

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