Digitalisierung 

Die virtuelle Diabetesklinik wird Realität

Stuttgart - 05.12.2017, 07:00 Uhr

Blick in die „Kristallkugel“: Wird es Zeit für eine neue
medizinische Fachrichtung – „the medical virtualist“? (Foto: Björn Professional / adobe.stock.com)

Blick in die „Kristallkugel“: Wird es Zeit für eine neue medizinische Fachrichtung – „the medical virtualist“? (Foto: Björn Professional / adobe.stock.com)


Sanofi steht in den USA unter Preisdruck. Digitale Behandlungsformate sollen in Zukunft aus der Misere im Diabetes-Geschäft helfen: Anfang des neuen Jahres startet der pharmazeutische Unternehmer in den USA eine „virtuelle Diabetesklinik“.

Digitalisierung, Big Data, Datenschutz und viele Unklarheiten. Was alles sein könnte, darf und sollte, wird breit diskutiert. Was konkret Wirklichkeit wird, ist hierzulande oft noch nicht abzusehen. In den USA werden digitale Konzepte häufig schneller im Markt umgesetzt, dort ist die Skepsis gegenüber Apps und anderen digitalen Angeboten nicht allzu groß. Vor diesem Hintergrund startet bald das neue digitale Behandlungskonzept einer „virtuellen Diabetesklinik“ von Sanofi.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte in der vergangenen Woche bereits kurz über das neue Angebot berichtet. Sanofi stehe nach dem Patentablauf von Lantus® derzeit unter Druck, hieß es in der Meldung. Vor allem in den USA, wo der Preisdruck unter den Herstellern zunimmt, verliere Sanofi Marktanteile. Unter anderem ein Ausbau digitaler Behandlungsformate solle, laut Vorstandsmitglied Stefan Oelrich, in Zukunft aus der Misere helfen.

Google mischt mit 

Anfang des neuen Jahres geht Sanofi in den USA mit seiner „virtuellen Diabetesklinik“ an den Start. Diese ging aus einer Kooperation mit dem Unternehmen Verily hervor. Verily gehört zum Google-Konzern (Alphabet Company). Drei private Krankenkassen sind Partner des Programms. In den USA sind solche digitalen Programme erstattungsfähig.  

Bald auch in Deutschland? 

Grundsätzlich ist ein ähnliches Projekt auch in Deutschland denkbar. Hier stecke das Projekt noch in den Kinderschuhen, heißt es in der dpa-Meldung. Erste Gespräche mit dem Netzwerkspezialisten Cisco fanden zwar schon statt. Zunächst sei jedoch das Thema des Datenschutzes zu klären. Die amerikanische „online privacy policy“ der „virtuellen Diabetesklinik“ kann man auf der Homepage onduo einsehen.

Was kann die virtuelle Klinik?

In den USA handelt es sich beim Start im neuen Jahr zunächst noch um ein Pilotprogramm, das sich auf Typ-2-Diabetiker spezialisiert hat, es soll aber später erweitert werden. Das Gesamtkonzept findet man im Internet unter dem Namen onduo. Der Anspruch von Sanofi und Verily, die sich unter dem Namen onduo zusammengeschlossen haben, ist eigenen Angaben zufolge kein geringerer als „eines der größten Probleme im Gesundheitswesen“ zu lösen und die „Lücke zwischen Medizin und Daten“ zu schließen. So solle die Diabetes-Therapie – angesichts der vielen Fälle weltweit – personalisierter, besser zugänglich und kostengünstiger werden; das „Rätselraten“ solle aus der Diabetes-Therapie verschwinden.

Unter „personalisieren“ versteht onduo, den Menschen die passenden Hilfsmittel zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen. Die virtuelle Klinik soll kontinuierliche Unterstützung bieten und so die Zeit zwischen den realen Arztbesuchen überbrücken. Außerdem soll darüber flexibler Zugang zu Spezialisten ermöglicht werden – zeitunabhängig und unabhängig davon, wo man lebt.

Die mobile App für Smartphones biete, dem Rhythmus der Nutzer angepasst, Beratung und Optimierung der Therapie. Innovative Technologien sollen den Therapie-Fortschritt überwachen und ihn nahtlos in die App einspeisen. Wenn es klinisch angebracht ist, könnten Patienten ein kontinuierliches Glucosemonitoring (CGM) über zwei bis vier Wochen erhalten. 

Teststreifen und Lanzetten an die Haustür

Jeder Patient soll einen persönlichen Betreuer zugewiesen bekommen, der wiederum mit einem Team aus Diabetes-Trainern, Pflegefachkräften und Ärzten zusammenarbeitet. Das Team prüft jeden einzelnen Fall und hilft den Patienten, zwischen den realen Arzt-Terminen adhärent zu bleiben. Die Klinik-Ärzte von onduo sollen situationsgerecht mit den Ärzten der Patienten vor Ort zusammenarbeiten. Speziell auf den einzelnen Patienten abgestimmte Ratschläge sollen alltägliche Entscheidungen zu Themen wie Ernährung, Sport und Arzneimittel-Anwendung erleichtern. Krankenkassen, die das Angebot übernehmen, zahlen auch das Diabetes-Zubehör: Teststreifen und Lanzetten sollen an die Haustür geliefert werden.

Die „Digital Therapeutics Alliance“

Aber nicht nur Sanofi und Verily sind am Projekt beteiligt. Auch die Firma Voluntis verkündete vergangenen Donnerstag, dass ihr „digitaler Begleiter“ Insulia®, der Empfehlungen zur Insulintitration für Menschen mit Typ-2-Diabetes gibt, in die virtuelle Diabetesklinik von Onduo integriert wird: Insulia® stellt automatisierte Empfehlungen für Basalinsulin-Dosen und Coaching-Meldungen für Menschen mit Typ-2-Diabetes bereit. Der Fortschritt könne aus der Ferne überwacht werden.

Über ein spezielles Webportal könne der Arzt Insulia® verschreiben, woraufhin der Patient einen Aktivierungscode erhält. Die Dosierungsempfehlungen werden mithilfe von Algorithmen in „Echtzeit“ angepasst. Insulia® soll für Basalinsuline aller Marken verfügbar sein. 

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Neben Insulia® bietet Voluntis bei Diabetes auch Diabeo® (Sanofi, Frankreich), in der Onkologie eCO (im Rahmen einer Studie, Kooperation mit AstraZeneca) und Zemy (in der Entwicklung, Roche, Frankreich) an. Voluntis ist außerdem ein Gründungsmitglied der Digital Therapeutics Alliance. Unter diesem Namen haben sich neben Voluntis auch die Firmen Akili (Tochtergesellschaft von PureTech Health), Propeller und WellDoc zusammengeschlossen. 

Akili verfolgt dabei einen komplett anderen Ansatz: Neurologische Störungen mit Videospielen behandeln. Propeller konzentriert sich auf das Management von Asthma und COPD: Dazu soll ein Sensor auf den Inhalator aufgebracht werden, der schließlich die auslösenden Faktoren der Erkrankung analysieren soll. WellDoc konzentriert sich aktuell mit der BlueStar® App wie Voluntis auf das Management von Typ-2-Diabetes. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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