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Gestreckte Krebsmittel?
„Herr S. geht wieder mit Zytostatika spielen“
Martin Porwoll war der ehemalige kaufmännische Leiter der Zyto-Apotheke, um deren ehemaligen Betreiber es derzeit in einem Prozess vor dem Landgericht Essen geht. Porwoll zeigte die vermeintlichen Betrugsgeschäfte seines Ex-Chefs an und sagte am heutigen Donnerstag vor Gericht aus. Sehr detailliert und mit teilweise erschreckenden Einblicken berichtete er, wie der Apotheker das Leben von Krebspatienten womöglich gefährdet hat.
Am heutigen Donnerstag kam es im Prozess um den Zyto-Apotheker Peter S. zu einem der Höhepunkte des Verfahrens: Der frühere kaufmännische Leiter der Bottroper Apotheke, Martin Porwoll, wurde vom Landgericht Essen als Zeuge verhört. Er hatte das Verfahren durch eine Anzeige ins Rollen gebracht – und zusammen mit der PTA Marie Klein später hierfür einen Whistleblower-Preis erhalten.
Zunächst sah sein früherer Arbeitgeber Peter S. weg, als Porwoll den Gerichtssaal betrat – bevor er ihm einen ersten verstohlenen Blick zuwarf. „Sie sollen in einer Apotheke tätig gewesen sein“, erklärte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding gegenüber dem 46-jährigen Zeugen, bevor er ihn über seine Rechten und Pflichten aufklärte.
Auf Nachfrage des Richters holte Porwoll etwas weiter aus: Schon aus der frühen Kindheit kannte er Peter S., seine Schwester, die 46 Jahre lang in der Apotheke gearbeitet hatte und am Montag verhört wurde, habe ihn zum Spielen mitgebracht. Er sei mit dem etwas älteren S. zusammen zur Schule gegangen, später hätten sie sich gegenseitig zur Hochzeit eingeladen. „Wir waren keine engen Freunde, aber man hat sich in den Augen gehabt“, sagte Porwoll.
Im Jahr 2011 habe S. ihm nach einer Trennung eine Wohnung zur Verfügung gestellt, im Jahr drauf habe er in Teilzeit begonnen, in der Apotheke zu arbeiten – ab August 2014 in Vollzeit. Er sei für alle kaufmännischen Belange, die Personalplanung und die allgemeine Verwaltung zuständig gewesen, erklärte Porwoll. Einen ersten Bezug zu den nun vor Gericht verhandelten Vorwürfen habe er im Herbst 2014 gehabt, als eine Mitarbeiterin mit einer Vorladung zu ihm kam: Damals hatte die Staatsanwaltschaft auf eine Anzeige bereits zu möglichen Unterdosierungen recherchiert – doch dies bald darauf wieder eingestellt. Er habe S. die Vorladung gezeigt. Der Apotheker habe ihm später gesagt, dass die Angelegenheit „erledigt“ sei.
Mehrere Dutzend Millionen Euro Jahresumsatz
Das Zyto-Thema sei für ihn „vollkommen in den Hintergrund gerückt“, erklärte der Kaufmann. Es war Porwoll anzumerken, dass ihm die Arbeit in der Apotheke eigentlich sehr gefiel: Zusammen mit S. sei es darum gegangen, die Apotheke „zukunftsfähig“ zu machen – es seien sehr viele neue Projekte angeschoben worden. Er selber habe knapp 100.000 Euro brutto verdient, der Apotheke sei es wirtschaftlich gut gegangen. Den genauen Gewinn habe er zwar nicht gekannt, doch seien Jahresumsätze von mehreren Dutzend Millionen Euro normal gewesen. Die Eltern des Apothekers, die beide selber Pharmazeuten waren, hatten die Apotheke zuvor geführt – und sich weiterhin in die Geschäfte eingemischt. Dies habe er jedoch von anderen Familienunternehmen schon so gekannt, sagte der Zeuge. Die Mutter sei auch über das Tagesgeschäft „sehr, sehr gut informiert“ gewesen.
Nachdem laut Porwoll Ende 2014 die „beiden zentralen Mitarbeiter im Zyto-Labor“ gekündigt hatten, habe er lange Gespräche mit ihnen über ihre Gründe geführt. An erster Stelle hätten sie die Arbeitsbelastung angeführt, doch auch, dass die Zustände im Zyto-Labor „nicht tragbar“ gewesen seien – was beispielsweise hygienische Mängel anbelangte. Er habe diese aber nicht verifizieren könnten, erklärte Porwoll. Eine Zyto-PTA habe ihm geraten, sich insbesondere einen Wirkstoff anzusehen: Sie hätte den Eindruck, dass maximal die Hälfte aller hiermit bestückten Spritzen richtig produziert worden sei, erinnerte sich Porwoll an das Gespräch.
Wie haben die Mitarbeiter vom vermeintlichen Betrug erfahren?
Auf der Weihnachtsfeier 2014 hätten andere PTAs, die in die Zyto-Abteilung nachgerückt waren, erneut das Thema angesprochen. Im Frühjahr 2015 kam außerdem die PTA Marie Klein hinzu, mit der es gleichfalls Gespräche hierzu gab. Zunächst hätten sie aber eine „gemeinsame Sprache“ entwickeln müssen, „um über einen Themenbereich zu sprechen, über den man eigentlich gar nicht sprechen kann“, erklärte Porwoll vor Gericht.
Einige PTAs hätten gesagt, S. habe die Wirkstoffe „reingezaubert“. In einem Labor, das bis vor gut zwei Jahren betrieben wurde, habe er den Apotheker selber in Straßenkleidung gesehen. „Es war nicht zu übersehen, wie er arbeitet“, erklärte Porwoll. Er habe den Apotheker selber nicht darauf angesprochen, sagte er, da er die Autorität von S. „akzeptiert“ hätte. Es habe in seiner Zeit nur eine angekündigte Kontrolle durch die Amtsapothekerin gegeben – sowie die Abnahme eines neuen Zyto-Labors.
Porwolls Vater an Krebs erkrankt und gestorben
Im Jahr 2015 sei sein Vater an Krebs erkrankt und verstorben, was das Thema „Zyto-Herstellung“ für ihn wieder auf den Tisch brachte, erklärte der Zeuge – da „natürlich auch im Raum stand“, dass er Therapien von der Bottroper Apotheke bekommt. Von Kollegen hätte er zuvor schon gehört, „dass das nicht so gut wäre“. Im Februar 2016 habe er dann angefangen, sich einige Wirkstoffe genauer anzusehen, die wenige Jahre zuvor auf den Markt gekommen waren – und die eingekaufte Menge mit der verschriebenen verglichen. „Das sind zwei Summen, die stellt man nebeneinander – und dann stellt man fest, dass es eine Diskrepanz gibt“, erklärte Porwoll. Teils seien nur gut 30 bis 45 Prozent der verkauften Wirkstoffmenge eingekauft worden – auch habe er eines Tages S. gesehen, wie er bei einer Liefermenge von drei Ampullen eines Arzneimittels acht als Warenbestand verbucht habe. Bei der Bedeutung des Fundes „gab es für mich keine Alternative mehr, außer das zur Anzeige zu bringen“, sagte Porwoll vor Gericht. Mit dem Apotheker zu sprechen, sei für ihn nicht in Frage gekommen.
Im Schreiben an das Gericht hatten die Verteidiger von S. vorgebracht, dass die Differenzen durch Schwarzmarkteinkäufe oder unberücksichtigte Anfangsbestände zu erkären seien. Andere Einkaufswege beispielsweise auf dem Kofferraum eines Hexal-Vertreters seien ihm nicht bekannt, erklärte Porwoll.
Razzia im November 2016
Am 29. November 2016 kam es zur Razzia. „Natürlich war man schockiert“, erklärte Porwoll zur Frage, wie die Eltern von S. hierauf reagiert haben. „Man hat überlegt, wie man möglicherweise schnell die Inhaftnahme verhindern könnte“, doch seien sie im Großen und Ganzen gefasst gewesen. „Ich habe doch immer gesagt, dass Peter nicht mit seinem Anzug ins Labor gehen sollte“, zitierte Porwoll dessen Vater aus seiner Erinnerung. In einem Gespräch haben ihm der Vater, der Steuerberater von S. sowie ein Anwalt vorgeworfen, „das getan zu haben, was ich getan habe“, sagte der Zeuge. Er habe auf den Rat seines Anwalts geschwiegen. Ihm sei bei dem Gespräch fristlos gekündigt worden. „Das hätte man auch irgendwie anders regeln können“, habe ihm der Anwalt von S. an dem Tag gesagt. Zur Sprache kam laut Porwoll auch eine mögliche Rückübertragung der Apotheke an die Eltern des Zyto-Apothekers.
Auf die Frage des Staatsanwalts, warum S. als Chef in der Herstellung gearbeitet habe, zitierte Porwoll seinen früheren Chef: Weil er „es gut kann“, habe dieser ihm gesagt. S. habe sich morgens die Herstellungen rausgesucht, die er selber übernehmen wolle. Ein System bei mutmaßlichen Unterdosierungen könne er selber nicht erkennen, erklärte der Zeuge. Auf die Frage der Nebenklägerin Heike Benedetti, die seit Herbst 2017 monatliche Demonstrationen in Bottrop organisiert, erklärte Porwoll, dass die Zyto-Apotheke onkologischen Praxen teilweise Geschenke gemacht habe: Die Kosten für die Weihnachtsfeier einer Bottroper Praxis sei übernommen worden.
Zytostatika im Privatkeller gelagert
Er bestätigte auch Aussagen seiner Schwester, die als PKA 46 Jahre in der Apotheke gearbeitet hatte, dass Zytostatika teilweise im Privatkeller der Eltern gelagert wurden. Herr S. „geht wieder mit Zytostatika spielen“, sei eine geflügelte Redewendung in der Apotheke gewesen, bekräftigte Porwoll außerdem eine frühere Zeugenaussage.
Den Steuerberater habe der „gute Rohgewinn“ immer verwundert, erklärte Porwoll vor Gericht – dieser habe es als an der Grenze zur Erklärungsfähigkeit angesehen. Es sei für ihn „absolut“ schwer gewesen, den Schritt der Anzeige zu gehen, erklärte der frühere kaufmännische Leiter.
Die Verteidiger von S. stellten Porwoll im Vergleich zu den Nebenklägern nur wenig Fragen. Vormittags habe es täglich 50 bis 60 Anlieferungen gegeben, erklärte Porwoll auf deren Nachfrage. Um die Anlieferungen habe er sich auch gekümmert, aber diese natürlich nicht komplett kontrolliert. Einige Fragen zielten augenscheinlich auf die Zuverlässigkeit des Zeugen: So gruben die Verteidiger eine Bewerbung von Porwoll bei einem anderen Unternehmen hervor, bei dem er angegeben habe, dass er die kaufmännische Verantwortung zweier Apotheken getragen habe. Dies beziehe sich auf eine Filialapotheke in Düsseldorf, erklärte Porwoll, die vom Geschäftsbetrieb nicht von der Hauptapotheke zu trennen sei.
Crowdfunding für die Anwaltkosten?
Mehrere Fragen zielten außerdem auf ein Crowdfunding, das das Recherchenetzwerk Correctiv für Anwaltskosten von Porwoll und Klein auf die Beine gestellt hatte – sowie eine Facebookgruppe, in der womöglich hierfür geworben wurde. Letzteres habe er nicht gesehen, erklärte der Zeuge – ihm sei auch nicht bekannt, inwieweit Nebenkläger für ihn bezahlt hatten. Nur kurz wurde außerdem eine mehr als zehn Jahre zurückliegende Verurteilung wegen Betrugs angesprochen, die Porwoll kürzlich selber gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ erwähnt hatte. Wenn das alles ist, was die Verteidiger anzubringen haben, „dann ist das wenig“, erklärte der Vorsitzende Richter Hidding in dieser Angelegenheit. „Das ist jetzt hier nicht so entscheidend.“
Der Prozess soll in der kommenden Woche mit der Vernehmung ehemaliger Kolleginnen von Porwoll fortgesetzt werden. Der Apotheker selber schweigt bislang zu den Vorwürfen gegen ihn.
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