Geldbuße gegen Apothekerin aufgehoben

Rezepturherstellung: Berufsgericht stellt BGH-Entscheidung infrage

Berlin - 19.01.2018, 07:00 Uhr

(Foto: VZA)

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Sind Zytostatikazubereitungen, die Apotheken unter Hinzugabe bestimmter Lösungen herstellen, Rezepturen oder Fertigarzneimittel? Für die meisten Apotheker dürfte klar sein: Es sind Rezepturarzneimittel und als solche nicht zulassungspflichtig. Doch zuletzt gab es Gerichtsentscheidungen, die am Rezepturprivileg rüttelten. So befand auch der 1. Strafsenat des Bundesgerichthofs, dass derartige Zubereitungen schlicht Fertigarzneimittel seien. Doch die nachfolgende Rechtsprechung fügt sich dem nicht so einfach. Das zeigt ein aktuelles berufsrechtliches Urteil.

Die sogenannte Holmsland-Affäre hat die deutschen Gerichte jahrelang beschäftigt. Einige Apotheker hatten vor rund zehn Jahren über ausländische Firmen – den „grauen Markt“ – Zytostatika bezogen. Beispielsweise Gemzar® (Gemcitabine). Vertrieben wurden diese Arzneimittel unter anderem von einer dänischen Firma namens Holmsland SpA beziehungsweise deren deutscher Niederlassung. Diese Arzneimittel hatten keine deutsche Zulassung, waren aber deutlich günstiger als die für den deutschen Markt bestimmte Ware. Die Apotheker rechneten die von ihnen hergestellten Infusionslösungen zu dem Preis für inländische Produkte ab.

Als dieses Vorgehen bekannt wurde, stellten zahlreiche Kassen Strafanzeige. Die Urteile fielen unterschiedlich aus: Einige Gerichte hielten die Apotheker für schuldig, die Kassen vorsätzlich betrogen zu haben, andere sprachen die Pharmazeuten frei. Und diese unterschiedliche Sichtweise zog sich hoch bis in die höchste Instanz. Im Jahr 2012 entschied der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, dass der Apotheker sich des Betrugs strafbar gemacht habe. Er vertrat die Auffassung, dass der angeklagte Apotheker durch die Zubereitung einer Injektionslösung nicht etwa ein Rezepturarzneimittel hergestellt habe, das keiner Zulassung bedürfe, wie es die Vorinstanz angenommen hatte. Dem pulverförmigen Fertigarzneimittel – hier Gemzar – sei lediglich Kochsalzlösung beigefügt worden. Ein neues Arzneimittel sei dabei nicht hergestellt worden. Das ursprüngliche Arzneimittel sei damit ohne die erforderliche Zulassung in den Verkehr gebracht worden. Und damit habe der Apotheker auch nicht verkehrsfähige Arzneimittel abgrechnet. Für Apotheker, die unter strengsten Bedingungen diese Zubereitungen herstellen, war dieses Urteil ein Schlag ins Gesicht. Und auch Juristen waren alarmiert und sorgten sich zum die Zukunft von Rezepturarzneien.

Zwei Jahre später urteilte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig in ein zwei vergleichbaren Fällen anders. Er ließ zwar offen, ob es sich bei den Zubereitungen um Rezeptur- oder Fertigarzneimittel handelte, sondern verneinte den Vorsatz für ein betrügerisches Vorgehen. Nicht nur die Apotheker, auch die beteiligten Krankenkassen selbst seien davon ausgegangen seien, dass es sich bei der Herstellung von Zytostatika um eine Rezepturherstellung handele. Und bei Rezepturarzneimitteln komme es nicht darauf an, ob die dabei verwendeten Mittel eine deutsche Zulassung haben. Die Zusammensetzung der Zytostatika sei für alle Länder gleich.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

BGH-Urteil = Steilvorlage für Rezepturverweigerer

von Andreas P. Schenkel am 19.01.2018 um 15:51 Uhr

Wie absurd das BGH-Urteil ist, mögen folgende Gedankenspiele illustrieren:

1) Mit dem BGH-Urteil kann jeder Rezepturverweigerer argumentieren, dass er zurecht jegliche Rezepturherstellung ablehnt:
Weil der BGH urteilt, es sei keine Rezepturherstellung, wenn einer Zytostatika-Lösung eine Kochsalzlösung beigefügt werde, so kann man auf gleiche Weise bei der Zufügung von Prednisolonacetat in eine DAC-Basiscreme argumentieren.
In beiden Fällen wären also nicht gebrauchsfertige Zubereitungen in gebrauchsfertige Zubereitungen überführt worden, hätten aber ihre Eigenschaften dennoch nicht derartig stark verändert, um nicht nach wie vor als Fertigarzneimittel zu gelten. Diese Glucocorticoid-Creme nun, so könnte der Rezepturverweigerer argumentieren, habe wie die apothekerlich hergestellten Zytostatika-Kochsalz-Lösungsgemische, keine Zulassung, die Herstellung sei somit illegal, er müsse es leider aus gesetzliche Gründen in Verbindung mit einem aktuellen, höchstrichterlichen Urteil ablehnen.

2) Genausogut künnte jede Apotheke, die keine Rezepturen verweigert, argumentieren, dass sie aufgrund des BGH-Urteils keine Rezepturen, also keine Arzneimittel mehr herstellen kann und darf. Stattdessen verarbeite man nun handwerklich auf individuelle Bestellung mehrere Stoff, darunter auch flüssige und halbfeste, zu neuartigen Werkstücken mit nicht näher definierter Zweckbestimmung. Das hätte vielerlei Konsequenzen:
a) Die Apotheke wäre nicht mehr an die Preisobergrenzen der AMPreisV gebunden, da diese für Nicht-Arzneimittel nicht einschlägig. Kurzerhand eine Preistabelle öffentlich ausgehängt und plötzlich wäre die Herstellung kostendeckend möglich.
b) Die Eingangsstoffprüfung könnte entfallen, da ja alle Stoffe nicht mehr für die AM-Herstellung verwendet würden. Auch die Aufbrauchfristen müssten nicht mehr beachtet werden, eine oberflächliche Sichtprüfung der Rohstoffe würde ausreichen.
c) Der Bezug wäre von Lieferanten möglich, die keine GMP-Zertifikate beifügen.
d) Bei einzunehmenden Werkstücken erhielte der Fiskus in der Regel nur noch den reduzierten MwSt-Satz, da eventuell die Lebensmittel-Eigenschaft gegeben ist.

Absurd, bizarr, abstrus? Fürwahr! Insofern ist es exzellent, dass Vor-Ort-Gerichtsinstanzen und außerordentliche Gerichtsbarkeiten das höchstrichterliche Urteil an die Realität anpassen, sodass ein ähnlich gelagerter Fall dereinst einem anderen Strafsenat vorgelegt werden möge. Rechtsprechung ist also keine Einbahnstraße und in Karlsruhe ergeht nicht immer der Weisheit letzter Schluss.

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