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Wir sollten nüchtern bleiben, auch wenn Karneval ist, auch wenn der Koalitionsvertrag steht, auch wenn das Gesundheitsministerium an die CDU geht und die Koalition sich pro Rx-Versandverbot stark machen will. Noch ist nichts in trockenen Tüchern. Da gibt es noch die SPD-Basis, juristische Scharmützel und die EU. Und, ach ja, ein bisschen die Digitalisierungswelle, die einiges wegspülen könnte. Das lässt sich leider nicht schöntrinken.
5. Februar 2018
„Einfach bizarr“ nennt der integrationspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Frankfurter Römer die Diskussion um den Apotheken-Namen „Zum Mohren“. Losgetreten hat den Eklat, der mittlerweile schon zum Politikum geworden ist, die Kommunale Ausländervertretung von Frankfurt, die meint, der Name sei rassistisch und müsse geändert werden. Kircher sagt, die KAV sollte sich lieber mit Themen befassen, die im Alltag tatsächlich von Bedeutung sind. Mein liebes Tagebuch, dem ist nichts hinzuzufügen. Aus Sorge, dass die Diskussion auch auf ihre Apotheke überschwappt, sammelt Apothekerin Podszus, die die „Hof-Apotheke zum Mohren“ in Friedberg führt, bereits Unterschriften zum Erhalt des Namens – mit überwältigender Resonanz. Die Apotheke wurde 1621 als Mohren-Apotheke gegründet! Auf ihrer Homepage schreibt sie: Mein Herzblut steckt in dieser Apotheke und deshalb würde ich den Namen aus traditionellen und emotionalen Gründen keinesfalls ändern.“ Recht hat sie. Und ebenso alle anderen rund 100 Mohren-Apotheken in Deutschland.
Es geht weiter. Das Online-Karussell dreht sich immer schneller. Was online machbar ist, wird online gemacht, am besten gleich heute, spätestens morgen. Jetzt steht die Telemedizin auf der Agenda, die Fernbehandlung über Telefon und Video-Chat. In der Schweiz läuft diese Art der ärztlichen Behandlung bereits mit Erfolg, in Baden-Württemberg steht ein Modellversuch dazu in den Startlöchern. Für Menschen, die diesen Weg des „Arztbesuchs“, der Kommunikation mit dem Arzt wählen, ist es einfach bequem und kostensparend (geringere Versicherungsbeiträge, keine Fahrkosten etc.). Telemedizin bedeutet aber auch: Tele-Rezepte, d.h., die Online-Ärzte schicken ein Rezept an eine Vor-Ort- oder Versandapotheke. Beim Modellversuch von Baden-Württemberg geht es nur über Vor-Ort-Apotheken, aber bei der bereits existierenden Online-Praxis DrEd, die in Großbritannien sitzt und deutsche Patienten telemedizinisch behandelt (oder besser gesagt mit Rezepten für Verschreibungspflichtiges versorgt), gehen die Rezepte in der Regel zu einer (niederländischen) Versandapotheke. Die Einlösung eines Rezepts in einer deutschen Vor-Ort-Apotheke wäre auch gar nicht erlaubt – mit dem AMG-Änderungsgesetz vom November 2016 hat dies der Bundestag verboten. Eine deutsche Apotheke dürfte solche Rezepte gar nicht einlösen, da „offenkundig kein Kontakt zwischen dem Arzt … und der Person, für die das Arzneimittel verschrieben wird, stattgefunden hat“. Doch das hat sich wohl bald erledigt. Es gibt Hinweise, dass unsere neue Regierung „die Möglichkeit der digitalen Rezeptvergabe auch ohne Arztbesuch“, wie es im Amtsdeutsch heißt, schaffen will. Mein liebes Tagebuch, das wird, nein, das muss dann so kommen, sonst wären 19.700 Apotheken vom Fortschritt ausgeschlossen. Und es würde nicht zu den Digitalisierungsbemühungen der neuen Regierung passen. So schnell kann’s gehen.
6. Februar 2018
Mein liebes Tagebuch, DocMorris und Rezepturen ist in etwa so, als würde der Pizza-Service versprechen, ein Sternemenü zu liefern – es passt einfach nicht, es klemmt an allen Ecken und Enden, man will’s nur nicht zugeben. Eine Rezeptur vom Versandhaus DocMorris heißt nämlich, dass dort gar nicht alles hergestellt wird und wenn, dann eher mit langer Lieferzeit, d.h., dass es in der Regel nicht innerhalb von zwei Werktagen geliefert werden kann. Kunden und Patienten werden aber nicht auf diese Unzulänglichkeiten hingewiesen. Die apothekereigene Pharmagroßhandlung Noweda will sich damit nicht abfinden. Die Pharmagroßhandlung hat vor dem Landgericht Düsseldorf zwei einstweilige Verfügungen gegen DocMorris erwirkt: DocMorris müsse auf die längeren Lieferzeiten hinweisen und darauf, dass nicht alles hergestellt wird. DocMo kann natürlich Rechtsmittel gegen den Beschluss einlegen, aber dann würde ein Gerichtsverfahren eröffnet. Wir werden sehen, wie’s weitergeht.
Alle Macht den Kammern – so könnte man das Wunschszenario von Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, überschreiben. Er möchte, dass alle Fragen der Arzneimittelversorgung samt Versorgung per Versandhandel über den Tisch der Apothekerkammer gehen. Will sagen: Die Kammer garantiert und regelt die Versorgung selbstständig und verantwortlich, „dann diskutiert man auch nicht mehr über den Versandhandel“, meint der Kammerpräsident selbstsicher und vollmundig. Hintergrund seines Vorschlags: Sein Vorschlag sollte eine Alternative zum Rx-Versandverbot sein. Seine Traumwelt: Wenn die Kammer die Versorgung regelt, könne sie bestimmen, zu welchen Bedingungen der Versandhandel daran teilnimmt. Ja, sag mal, mein liebes Tagebuch, lebt der Mann in einem Wolkenkuckucksheim? Wie weltfremd muss man sein, um solche Vorschläge in der heutigen Zeit ernsthaft einzubringen? Da rast die Digitalisierung durchs Kinderzimmer, da leben Menschen mehr und mehr in Online-Welten, es wird online abgewickelt was nur geht und eine Kammer meint, es wird nicht mehr über Versandhandel diskutiert, wenn die Apothekers sagen, wir garantieren die Versorgung. So funktioniert die Welt nicht mehr. Zudem, mir wäre nicht ganz wohl, wenn alle Macht in Kammerhand wäre – wenn man sieht, wie wenig von der ABDA zum Thema Digitalisierung kommt, wie langsam sich solche Organisationen bei fortschrittlichen Ideen bewegen, wie wenig die Bedürfnisse der Kunden berücksichtigt werden… Eine Kammer wäre mit dem garantierten Versorgungsauftrag à la Engelen vollkommen überfordert.
7. Februar 2018
Manche sprachen sogar von einem „Feiertag“ für Apotheker – als am Mittwoch mit dem neuen Koalitionsvertrag bekannt wurde, dass das Bundesgesundheitsministerium an die CDU gehen soll, dass Annette Widmann-Mauz, CDU (derzeit noch parlamentarische Staatssekretärin) Bundesgesundheitsministerin werden soll und dass sich die Koalition fürs Rx-Versandverbot einsetzen will. Erleichterung bei der ABDA, die Apothekengewerkschaft sieht’s durchaus positiv und Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, ist „sehr zufrieden“ und freut sich für die Apotheken. Puh, mein liebes Tagebuch, kann so viel „Glück“ auf einmal wahr werden? Moment mal, wer sagt überhaupt, dass alles so kommt, wie wir es uns angesichts dieser Konstellation erträumen? Klar geht dieser Satz im Koalitionspapier runter wie Öl: „Wir stärken die Apotheke vor Ort: Einsatz für Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.“ Was gibt es Schöneres! Das heißt auch: Die Union hat Wort gehalten und die SPD blockiert nicht mehr. Aber erstmal hat die Basisdemokratie der SPD ein Wörtchen mitzureden und darf über den Koalitionsvertrag abstimmen. Sollte sie ein Häkchen dran machen, stellt sich die Frage: Wie wird das Rx-Versandverbot durchgesetzt? Wir wollen mal nicht zu miesepetrisch sein, aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Im Raum stehen juristische Hürden und europarechtliche Fragen (EU-Notifizierungsverfahren). Mein liebes Tagebuch, ausländische Versender laufen sich schon warm und kündigen juristischen Widerstand an. Und der GKV-Spitzenverband poltert schon im Hintergrund und posaunt, es passe nicht zusammen, die Digitalisierung fördern zu wollen und zugleich den Versandhandel zu verbieten. Es kommt die Frage auf, wie eine Gesellschaft, die gewohnt ist, alles und jedes online zu bestellen, ein Versandverbot aufnehmen würde. Mein liebes Tagebuch, wir wissen, das ist die falsche Frage. Denn hier geht es nicht um Gewohnheiten und Bequemlichkeiten, hier geht es um Arzneimittelsicherheit, um persönliche Beratung vor Ort und um eine flächendeckende Versorgung durch die Vor-Ort-Apotheke. Denn die wäre gefährdet, wenn für die Vor-Ort-Apotheken das Rx-Geschäft wegbricht. Aber wie gesagt, bevor ein Rx-Versandverbot kommt, gibt es da leider noch ein paar dumme kleine Hindernisse…
Das hätte was: eine App für alle Apotheken Deutschlands, die der Kunde für jede Apotheke verwenden kann, mit der er seinen Medikationsplan dabei hat, seine Kundenkarte, eine telepharmazeutische Anbindung an die Apotheken und vieles mehr. Stefan Hartmann, Chef des Bundesverbands der Apothekenkooperationen, träumt von einer solchen App. Mein liebes Tagebuch, er wird wohl noch lange Zeit weiterträumen müssen, denn eine gemeinsame Plattform für alle Apotheken, eine Vernetzung ist noch lange nicht in Sicht, Signale aus Berlin sind nicht zu sehen.
8. Februar 2018
Das sind ja „schöne Aussichten“! Angesichts der Prognosen, die da Insider auf dem„Kooperationsgipfel“, der Tagung des Bundesverbands deutscher Apothekenkooperationen, einem Branchentreff für Industrie, Kooperationen und Großhandel, zum Besten gaben, mag nicht so recht Feiertagsstimmung für uns kleine Apothekers aufkommen. Auf den Punkt gebracht: Digital ist zwar nicht alles, aber ohne digital ist alles nichts. Und die Treiber sind Amazon, Google und Co. Ein Dienstleister, der eng mit Amazon zusammenarbeitet, gab ein paar Einblicke in die DNA des Riesenversenders, der nebenbei schon zur Such- und Informationsmaschine geworden ist. Und: Amazon will seine Aktivitäten auf dem Arzneimittelmarkt befeuern. Die Amazon-Apo kommt, meint der Insider, wenn auch noch nicht morgen, aber übermorgen, und vermutlich in Kooperation mit Apotheken, mit Versandapotheken. Erste Anläufe gibt es bereits in Berlin und München in Zusammenarbeit mit Apotheken. Welche Bedeutung Google heute schon für Apotheken hat, weiß ein Google-Mitarbeiter: Die Suchanfragen nach Gesundheitsinformationen, Arzneimitteln und Lieferfähigkeit nehmen rasant zu: Die Menschen gehen heute nicht online, sie leben online, meinte der Google-Mensch, und was für Marktteilnehmer zählt, ist: „Da sein, relevant sein und vor allem schnell sein.“ Mein liebes Tagebuch, mit unseren Apotheken erfüllen wir diese Bedingungen vor Ort, aber leider nicht im Netz. Der Mitarbeiter einer Marketing-Agentur, überzeugt vom Versandhandel, zeigte, wie Online-Shopper bei der Stange gehalten werden, versandkostenfrei und ohne Mindestbestellwert. Und wie gut hier Amazon arbeitet: mit Produktseiten, die alles zeigen und erklären mit Bildern und sogar kleinen Erklärvideos, mit Kundenbewertungen, die Vertrauen ausstrahlen. Mit Amazon Echo und seinem Sprachsteuerungsassistenten Alexa bahnt sich für Online-Shopper eine noch einfachere Interaktionsmöglichkeit mit Online-Dienstleistungen und Lieferdiensten, mit der Amazon-Plattform und mehr an. Braucht man das alles? Mein liebes Tagebuch, es gibt Menschen, für die sich diese Frage nicht stellt, sie nutzen es einfach. Da wünsche ich mir eine Expertengruppe mit klugen Köpfen, die einfach mal ohne Scheuklappen für uns Apothekers vordenkt, in Richtung Zukunft…
9. Februar 2018
Weil’s so schön und seltsam ist: In der neuesten PZ findet man die ABDA-Logik zur (Nicht-)Beschäftigung mit dem Honorar-Gutachten. Dort heißt es: „Wer über das Gutachten oder einzelne Punkte daraus diskutiere, erkenne dessen ‚inakzeptable Logik‘ automatisch an, so das Fazit der ABDA. Deshalb dürfe man die Diskussion über das Papier nicht fördern, sondern müsse sie beenden.“ Also, mein liebes Tagebuch, das kann man doch nur so verstehen: Alle, die sich mit diesem Gutachten beschäftigen, es zerrissen, zerlegt und auseinandergenommen und darüber diskutiert haben, erkennen es an, sie sind Nestbeschmutzer, sie sind böse, böse. Oh Gott, ich versteh’ die Welt nicht mehr.
14 Kommentare
???
von Christian Giese am 12.02.2018 um 9:31 Uhr
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AW: ???
von Bernd Jas am 13.02.2018 um 0:32 Uhr
Wohin ?
von Reinhard Rodiger am 12.02.2018 um 0:24 Uhr
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palaver palaver palaver
von Christiane Patzelt am 11.02.2018 um 22:18 Uhr
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AW: palaver palaver palaver
von Anita Peter am 12.02.2018 um 6:00 Uhr
Die (un-)heimliche ABDA-Planung zum Honorar
von Wolfgang Müller am 11.02.2018 um 20:00 Uhr
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Nichtbeschäftigung
von Dr.Diefenbach am 11.02.2018 um 19:52 Uhr
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AW: Nichtbeschäftigung
von Reinhard Herzog am 11.02.2018 um 20:52 Uhr
Oh No !!!
von Veit Eck am 11.02.2018 um 15:30 Uhr
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Nix Schwarzsehen!
von Christian Giese am 11.02.2018 um 11:12 Uhr
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Nichts ist in trockenen Tüchern
von Bernd Jas am 11.02.2018 um 10:54 Uhr
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AW: Nichts ist in trockenen Tüchern
von Karl Friedrich Müller am 11.02.2018 um 12:47 Uhr
"Ceterum censeo", liebe ABDA!
von Andreas P. Schenkel am 11.02.2018 um 10:48 Uhr
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Geht nach hinten los!
von Ulrich Ströh am 11.02.2018 um 9:34 Uhr
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