Kohlenmonoxidvergiftung

Kasuistik einer – vielleicht - vermeidbaren Familientragödie

Esslingen a. N. - 13.02.2018, 10:00 Uhr

Einsatzkräfte von Rettungsdiensten und Polizei stehen vor einem Haus in Esslingen am Necker, in dem vergangenen Montag mehrere Tote gefunden wurden. (Foto: Sven Kohls / SDMG / dpa)

Einsatzkräfte von Rettungsdiensten und Polizei stehen vor einem Haus in Esslingen am Necker, in dem vergangenen Montag mehrere Tote gefunden wurden. (Foto: Sven Kohls / SDMG / dpa)


Vergangene Woche spielte sich in Esslingen am Neckar, einer Stadt in der Nähe von Stuttgart, eine Tragödie ab: Eine junge Familie ist an den Folgen einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Ein defektes Rohr einer Heiztherme war vermutlich die Ursache. Besonders tragisch: Man hatte die Frühsymptome der CO-Vergiftung anscheinend bemerkt, sie allerdings für Symptome eines Infekts missinterpretiert. Rettungssanitäter Thorsten Moeser möchte anhand des Esslinger Falles für das Thema CO-Vergiftung sensibilisieren, und so dazu beitragen, dass Tragödien wie diese in Zukunft vermieden werden.

An einem Wintertag geht um die Mittagszeit ein Notruf beim Führungs- und Lagezentrum der Polizei im baden-württembergischen Esslingen am Neckar ein, in dem der Anrufer meldet, dass er Familienangehörige besuchen wollte. Nach dem auf Klingeln keiner geöffnet habe, hätte er durch ein Fenster geschaut und zwei leblose Menschen auf dem Boden liegen sehen. Die integrierte Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst entsendet darauf hin, der Lage entsprechend, die Feuerwehr zur Wohnungsöffnung, sowie zwei Notarzteinsatzfahrzeuge und zwei Rettungswagen, die nur wenige Minuten nach Notrufeingang an der Notfallstelle eintreffen.

Beim Öffnen des Reiheneckhauses durch die Feuerwehr schlagen sofort deren CO-Warngeräte mit einem „High-Alarm“ an, so dass die Feuerwehr das Haus nur mit Atemschutz betreten kann, um die Lage zu erkunden. Im Haus wird vor der Haustüre liegend ein 29-jähriger und dessen vierjähriger Sohn, vor der Treppe eine 29-jährige Frau und ihre 3-jährige Tochter leblos aufgefunden. Im Schlaf- und den Kinderzimmern im Obergeschoss werden durch die Feuerwehr CO-Werte von 300 ppm gemessen. Die normale Konzentration von Kohlenmonoxid in der Luft einer Wohnung liegt zwischen 0,5 und 5 ppm. Das Haus wird in der Folge belüftet, so dass nach Erreichen einer unproblematischen CO-Konzentration die Notärzte kurz darauf das Haus betreten aber leider nur noch den Tod der vierköpfigen Familie feststellen können.

Familie interpretierte Symptome scheinbar als Infekt

Kriminaltechniker haben in dem Haus eine größere Anzahl von gängigen Erkältungsmedikamenten gefunden, so dass davon auszugehen ist, dass die Familie die ersten Symptome einer Kohlenmonoxidintoxikation als beginnende Grippeinfektion interpretiert und sich die Medikamente beschafft hat. 

Kohlenmonoxid ist ein farb-, geschmacks- und geruchloses Gas, das bei unvollständiger Oxidation von kohlestoffhaltigen Substanzen entsteht, wenn nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht oder die Verbrennung bei hohen Temperaturen erfolgt. Kohlenmonoxid ist brennbar und bildet zusammen mit Sauerstoff ein hochexplosives Gasgemisch; da es leichter ist, als Luft, steigt es insbesondere in Gebäuden auf und führt zu einem langsamen Konzentrationsanstieg von oben nach unten.

Was macht Kohlenmonoxid? 

In Deutschland geht man von etwa 600 Intoxikationen mit Kohlenmonoxid aus, die absichtlich suizidal oder akzidentiell, wie im letzten Jahr im hessischen Arnstein – wo sechs Jugendliche in einer Gartenlaube ums Leben kamen, weil ein Stromgenerator genutzt wurde, der für Innenbereiche keine Zulassung hatte, entstehen.

Milde Intoxikationen zeigen sich durch leichte Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit, was dann häufig den grippeähnlichen Symptomen zugeordnet wird. Bei einer mittleren Einwirkung des Kohlenmonoxids von 150 bis 300 ppm verstärken sich die Kopfschmerzen in einen pochenden Schmerztyp, der mit Benommenheit, Verwirrtheit und Herzrasen einhergeht. Bei weiterer Giftaufnahme ab 300 ppm tritt Bewusstlosigkeit ein, es kommt zu Krampfanfällen mit komplettem Versagen des kardiorespiratorischen Systems. Kohlenmonoxid bindet sich 200-fach stärker an das Hämoglobin im Blut, als Sauerstoff, weswegen der Gasaustausch massiv gestört ist und das Gehirn sehr sensibel darauf reagiert. Werden Patienten rechtzeitig entdeckt kann mit einer PEEP-Beatmung, einer speziellen Beatmungsform mit positivem endexpiratorischem Druck, unter 100 Prozent Sauerstoff und, so sie zur Verfügung steht, einer hyperbaren Sauerstofftherapie (Überdruckkammer) das CO eliminiert werden.

Vier Leute mit gleichzeitig auftretenden Grippesymptomen? Unwahrscheinlich

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine vierköpfige Familie schlagartig dieselben Grippesymptome und somit die gleiche Inkubationszeit einer eventuellen Infektion hat. Vielmehr soll diese Kasuistik den Blick dafür schärfen, auch Fragen zu stellen, wenn, wie in dem vorliegenden Fall, eine größere Menge an Erkältungsmedikamenten beschafft wird.

Aber auch Personen, die Einrichtungen betreiben, von denen eine CO-Gefahr ausgeht und diese Symptome an sich bemerken, sollten selbstkritisch reagieren und sie nicht leichtfertig auf einen grippalen Infekt schieben, denn sie wissen besser, als jeder andere, ob in ihrem häuslichen Umfeld eine mögliche Kohlenmonoxid-Exposition besteht. Besondere Vorsicht gilt immer bei Kaminen, Kamin- oder Komfortöfen, Heizpilzen, oder beim Betrieb von Verbrennungsmotoren in geschlossenen Räumen. Im Zweifel kann die Feuerwehr vor Ort Messungen durchführen, die dann Klarheit schaffen. Rauchmelder sind in jedem Haus vorgeschrieben, CO-Warner leider bisher nicht.

CO-Warngeräte für 20 Euro

Da Rettungsdienste und Feuerwehren über diese Warngeräte als persönliche Schutzausrüstung verfügen, sind in der Vergangenheit in vielen Fällen Gaskonzentrationen frühzeitig erkannt worden und es konnte schlimmeres verhindert werden. CO-Warngeräte gibt es im Handel bereits ab 20 Euro käuflich zu erwerben.



Torsten Moeser; Notfallsanitäter und Praxisanleiter, Freier Medizinjournalist
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Dichte CO

von Helge Killinger am 13.02.2018 um 10:45 Uhr

Die Aussage im Artikel, die Dichte von CO sei geringer als Umgebungsluft, ist nicht korrekt. CO hat eine Dichte von 1,25kg/m3, Umgebungsluft auf Meereshöhe ca. 1,204 kg/m3. Somit ist CO etwas schwerer als Umgebungsluft und würde nach unten sinken.
In der Praxis spielen aber Effekte wie Thermik (Ofenabgase) und Zugluft eine nicht unbedeutende Rolle. Auch die relativ kleine Molekülgröße von CO läßt das Atemgift mühelos in einer kompletten Wohung/Haus verteilen. Somit wird im Einsatz davon ausgegangen, dass sich CO wie Umgebungsluft verhält und verteilt.
Hingegen spielt die Explosionsgefahr von CO im CO-Einsatz keine allzugroße Rolle, da die UEG von CO bei 10,9 Vol% (=109.000ppm). Die LC Mensch 2 min liegt bei 40.000ppm.
Würden solche Werte erreicht, gäbe es in näherer Umgebung zum Schadobjekt schon eine mehr als verdächtige Häufung von Vergiftungssymptomen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Dichte CO

von Marvin am 15.02.2018 um 20:08 Uhr

Falsch. Unter gleichen Bedingungen ist CO geringfügig leichter als Luft. Sie haben Luft mit 20° mit CO mit 0° Temperatur verglichen.

Richtig ist allerdings dass der Unterschied gering ist und sich CO relativ schnell fast gleichmäßig im ganzen Haus verteilen wird.

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