DAV-Chef Fritz Becker

„Wir brauchen den Versandhandel nicht für die Landversorgung“

Berlin - 14.03.2018, 15:10 Uhr

DAV-Chef Fritz Becker erwartet, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn um das Honorar-Gutachten ansprechen wird. (Foto: Schelbert)

DAV-Chef Fritz Becker erwartet, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn um das Honorar-Gutachten ansprechen wird. (Foto: Schelbert)


Digitale und analoge Rezeptsammelstellen und pharmazeutische Botendienste – aus Sicht von Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbandes, sind das die Dienstleistungen der Apotheker, die den Versandhandel obsolet machen. Im Rahmen des Unternehmertages des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erklärte Becker, dass die Landbevölkerung unter einem Rx-Versandverbot nicht leiden müsse.

Am heutigen Mittwoch findet in Berlin der BPI-Unternehmertag statt. Im Rahmen einer Diskussionsrunde trafen am Vormittag DAV-Chef Fritz Becker, Ulrich Weigeldt (Chef des Deutschen Hausärzteverbandes), Martin Litsch (Chef des AOK-Bundesverbandes) und Martin Zentgraf (Vorstandsvorsitzender des BPI) aufeinander. Am Tag der Vereidigung der neuen Bundesregierung ging es natürlich zunächst um den neuen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Insbesondere Zentgraf erklärte, dass er spannende Zeiten auf die Gesundheitspolitik zukommen sehe. „Spahn hat einen konfrontativeren Stil als sein Vorgänger. Es könnte einige Überraschungen unter ihm geben.“ Er sehe darin aber auch Chancen. Für die Pharmaindustrie ist laut Zentgraf wichtig, dass ein erneuter Pharmadialog im Koalitionsvertrag angekündigt wird. Dass an der Fortsetzung des Dialoges auch Parlamentarier beteiligt werden sollen, begrüßte der BPI-Chef. Als ein weiteres großes Thema, das aus Sicht von Zentgraf auch „sicherheitspolitisch“ relevant ist, bezeichnete der BPI-Chef die Rabattverträge. „Insbesondere bei wichtigen Arzneimitteln wie etwa Antibiotika sollten wir nicht komplett von asiatischen Lieferanten abhängig sein.“

Becker: Wir reden auch mit der AfD

Angesprochen auf die neue Konstellation im Parlament erklärte Becker, dass die Apotheker mit allen Parteien den Kontakt suchen würden – auch mit der AfD. „Beim DAV-Wirtschaftsforum in Potsdam wird eine politische Diskussion stattfinden, an der sich auch die AfD beteiligen wird“, so Becker. AOK-Chef Martin Litsch erklärte mit Blick auf die Mega-Themen in dieser Legislaturperiode, dass insbesondere in den Bereichen Pflege, sektorenübergreifende Versorgung und Digitalisierung viel passieren müsse.

Mit Blick auf den zuletzt genannten Punkt sprach die Runde kurz über Spahns Buch „Datenschutz ist nur was für Gesunde“, das der Minister im vergangenen Jahr veröffentlicht hatte. Litsch erklärte, dass man das „nicht wörtlich“ nehmen solle. Vielmehr gehe es darum, in Digitalisierungs-Fragen Sachen „lösbar“ zu machen. Litsch forderte die neue Regierung zudem dazu auf, bei der Digitalisierung keinen Zentralisierungs-Kurs zu fahren. Man müsse dem Markt mehr eigene Entwicklungen zubilligen. Er könne sich nicht vorstellen, dass es nur eine Patientenakte in Deutschland gibt. Zur Erklärung: Die AOK-Gemeinschaft hatte vor einigen Monaten eine eigens entwickelte Patientenakte vorgestellt.

Versandhandel, Apotheken-Honorar, Medikationsplan

Schließlich sprachen die Diskussionsteilnehmer auch über den Arzneimittel- und Apothekenmarkt. Vom Moderatoren (Hanno Kautz, Bild-Zeitung) angesprochen auf das „Geschenk“ im Koalitionsvertrag, dass der „Versandhandel verboten werden soll“ und was das denn für Konsequenzen für die Landbevölkerung habe, erklärte DAV-Chef Fritz Becker: „Wir brauchen den Versandhandel nicht, um die Versorgung auf dem Land sicherzustellen. Bei uns in Baden-Württemberg haben wir Rezeptsammelstellen, die pharmazeutischen Botendienste und fangen jetzt mit digitalen Rezeptsammelstellen an, mit denen die Versorgung schneller gemacht wird. Beim Rx-Versandverbot geht es auch nicht vornehmlich um den Versand, denn so wie es vor dem EuGH-Urteil war, hatten wir unseren Frieden damit gemacht. Uns geht es in erster Linie um die Gleichpreisigkeit. Und da haben uns auch schon viele Politiker bescheinigt, dass es keine andere Möglichkeit als das Rx-Versandverbot gibt.“

Eine Diskussion über diesen Punkt gab es allerdings nicht. Vielmehr wollte der Moderator wissen, ob es nicht ein zweites Geschenk für die Apotheker sei, dass das Honorar-Gutachten nicht im Koalitionsvertrag auftaucht. Dazu erklärte Becker: Ich glaube schon, dass Herr Spahn mit uns darüber reden wird. Wir bleiben aber dabei: Wir können die Ansätze im Gutachten nicht verstehen. Man kann nicht Rx mit OTC und Kosmetika gleichstellen.“ Dass die Apotheker über eine Weiterentwicklung der Arzneimittelpreisverordnung diskutieren wollen, sicherte Becker zu. „Aber nicht mit den Ansatzpunkten dieses Gutachtens“, so der DAV-Chef.

Becker: Ich hatte noch nie einen Medikationsplan in der Apotheke!

Dass der derzeitige Versorgungs-Status beim Medikationsplan keine Dauerlösung sein darf, darüber waren sich alle Diskussionsteilnehmer schnell einig. Hausärzte-Chef Weigeldt sagte: „Wenn man in Europa unterwegs ist, bei einer Diskussion zum Thema Digitalisierung, traut man sich kaum zu sagen, dass man aus Europa kommt. Der Medikationsplan ist gut gemeint, aber schlecht gemacht.“ Weigeldt, der eigentlich nicht für seinen Wunsch nach einer stärkeren Einbindung der Apotheker in die Versorgung bekannt ist, kritisierte unter anderem, dass die Apotheker und Ärzte nicht beide elektronisch auf den Plan zugreifen könnten.

Becker antwortete prompt: „Also bei mir ist noch nie ein Medikationsplan in der Apotheke aufgetaucht.“ Der DAV-Chef forderte daher, dass der neue Minister „Schritt für Schritt“ an diesem Thema arbeiten müsse. Wichtig sei den Apothekern beim Thema Digitalisierung, dass alle Akteure im Gesundheitswesen gemeinsame und gleiche Schnittstellen haben. Becker stellte klar: „Wir brauchen den elektronischen Medikationsplan!“

Impfstoffstreit im Nordosten

Für leichte Spannungen sorgte das Thema Impfstoffversorgung. BPI-Chef Martin Zentgraf, AOK-Chef Martin Litsch und Becker stritten sich um den neuen Vertrag der AOK Nordost mit dem Berliner Apotheker-Verein sowie der Apothekervebände Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu Grippeimpfstoffen. Ein Tochterunternehmen des Berliner Apotheker-Vereins hat jüngst mit dem Hersteller Mylan einen Versorgungsvertrag abgeschlossen. Zentgraf wies auf die noch sehr junge Gesetzgebung zu Impfstoffausschreibungen hin. Zur Erklärung: Der Bundestag hatte mit dem Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetz (AMVSG) beschlossen, dass Kassen mit Herstellern keine Rabattverträge mehr über Impfstoffe abschließen dürfen.

Mit Blick auf die aktuellen Nordost-Verträge erklärte Zentgraf: Es war die Intuition des Gesetzgebers, keine Konzentration im Markt mehr zu haben, egal wo ausgeschrieben wird.“ In Richtung Becker sagte er: „Nach meinen Informationen gibt es im Nordosten nur einen Hersteller und keine Auswahlmöglichkeiten.“

Fritz Becker betonte in seiner Replik, dass die Sicherstellung der Versorgung den Apothekern am wichtigsten sei. Schließlich sei auch er als ein Gegner von Exklusiv-Ausschreibungen bekannt. Becker weiter: „Mein Kollege Bienfait aus Berlin hat mich darauf hingewiesen, dass es Ausweichmöglichkeiten gibt. Nach meinen Informationen ist die Versorgung also sichergestellt.“

AOK-Chef Martin Litsch beschwerte sich darüber, dass den Kassen in der Vergangenheit einige Möglichkeiten genommen worden seien, um wettbewerbliche Strukturen zu schaffen. Was die Verträge der AOK Nordost betrifft, erklärte der Chef des Bundesverbandes, dass man diese Frage besser an die Kollegen der AOK Nordost richten solle. Als er noch Chef der AOK NordWest war, habe er sich dafür eingesetzt, dass immer nur die Impfstoffe ausgeschrieben wurden, die vorher vom Paul-Ehrlich-Institut empfohlen worden waren.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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