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Cannabis-Konferenz
Medizinalhanf bewegt Apotheken, Wirtschaft und Politik
Welche Herausforderungen bringt der Cannabis-Markt mit sich? Darüber diskutierten unter anderem Vertreter der Wirtschaft, Pharmazie und Politik auf der gestrigen International Cannabis Business Conference in Berlin. Für den Pharmazeuten Tobias Loder ist die Apotheke eine zentrale Schnittstelle bei medizinischem Cannabis.
„Jedes Gramm medizinisches Cannabis wird in einer Apotheke verkauft“, betonte der Apotheker Tobias Loder am gestrigen Donnerstag auf der International Cannabis Business Conference (ICBC) in Berlin. Loder, der in Hürth nahe Köln zwei Apotheken betreibt, beleuchtete aus seiner Erfahrung die Perspektiven der Apotheken, Ärzte und Patienten bei der Medizinalhanf-Versorgung.
Erstmal einen Arzt finden
Cannabis-Patienten seien häufig besser über die Wirkung der Cannabinoide informiert als die verschreibenden Ärzte. Nicht selten haben Schmerzpatienten bereits positive Erfahrung mit Cannabis aus nicht-medizinischen Quellen gemacht. „Ein großes Problem für Patienten ist es, erstmal einen Arzt zu finden, der offen für die Thematik ist“, schilderte der Pharmazeut.
Denn viele Ärzte seien skeptisch, wenn ein Patient aktiv ein Betäubungsmittel-Rezept über Cannabis einfordert, weiß Loder. Medizinalhanf sei schließlich kein evidenzbasiertes Arzneimittel. Und bei GKV-Versicherten entsteht ein bürokratischer Mehraufwand für die Mediziner, weil sie den Therapieantrag für die Krankenkassen und die Dokumentation der Begleiterhebung ausfüllen müssen.
Gemischte Akzeptanz bei Pharmazeuten
Hält ein Schwerkranker nun ein Cannabis-Rezept in der Hand, wird er nicht von jeder Apotheke mit Begeisterung empfangen, meint der Pharmazeut aus Hürth. So schilderte er, dass manche Kollegen schon Cannabis-Patienten zu ihm geschickt hätten, weil sie keine „Junkies“ in der Offizin haben wollten. Für Loder sind Cannabis-Patienten jedoch keine Drogenabhängigen, sondern Schwerkranke, die häufig erst mit Hilfe von Medizinalhanf ein annähernd normales Leben führen können.
Allerdings sei die Versorgung mit medizinischem Cannabis für die Apotheker mit einem hohen Arbeitsaufwand und großer Verantwortung verbunden. So ist die Apotheke die letzte Station aus einer geschützten Lieferkette, bevor der Patient Cannabis in die Öffentlichkeit mitnimmt. Ein Tresor ist erforderlich. Jede Cannabis-Dosis muss kurz vor der Abgabe zeitaufwändig überprüft werden.
In der Apotheke läuft alles zusammen
Unstimmigkeiten auf dem Betäubungsmittel-Rezept haben meist die Pharmazeuten zu klären. „In der Apotheke läuft alles zusammen“, sagte Loder. Denn die Apotheker müssen häufig Rücksprache mit Ärzten, Patienten, Herstellern und Krankenkassen halten. Allein die ständig angespannte Liefersituation führe zu einem hohen Kommunikationsaufwand.
Immerhin sei der Medizinalhanf inzwischen „der Schmuddelecke“ entwachsen, da es sich um ein erstattungsfähiges Medikament handele, zog Loder als Fazit aus einem Jahr Cannabis auf Rezept. Herausforderungen seien die immer noch schlechte Verfügbarkeit, der hohe bürokratische Aufwand und Widerstände seitens der Krankenkassen und Ärzte. Zudem sei der Einfluss der gut vernetzten Pharmalobby nicht zu unterschätzen. „Deutschland ist chemieverliebt“, beschrieb Loder.
DHV: Blüten brauchen eine Lobby
Der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf den Cannabisblüten-Markt war auch Thema des Vortrags von Georg Wurth, dem Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes (DHV). Hersteller von standardisierten Reinsubstanzen wie beispielsweise Bionorica übten durch Fortbildungen und PR-Kampagnen intensiven Werbedruck auf die Ärzteschaft und die Krankenkassen aus.
Dadurch besteht seiner Meinung nach die Gefahr, dass Reinsubstanzen wie Dronabinol und Fertigarzneimittel wie Sativex die Verwendung von Cannabisblüten zurückdrängen. „Bionorica investiert gegen Blüten – lasst uns dagegenhalten“, ermutigte der Cannabis-Lobbyist das Publikum.
Und der deutsche Blütenmarkt steht vor großen Problemen. Vor einigen Tagen stoppte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf das Vergabeverfahren des BfArM für den deutschen Cannabis-Anbau ab 2019. Denn eines der Unternehmen, die an der Ausschreibung teilgenommen und gegen das BfArM geklagt hatten, war vor Gericht erfolgreich. Denn die Behörde habe eine Verlängerung zur Bewerbungsfrist verweigert, wodurch eine Wettbewerbsverzerrung entstand. Das BfArM plant nun, ein neues Ausschreibungsverfahren zu starten. Damit verzögert sich die erste deutsche Cannabis-Ernte.
Vergabeverfahren wegen Formfehler gestoppt
Für Georg Wurth sind die Klagen der beteiligten Unternehmen zwar nachvollziehbar, richten sich jedoch nicht gegen das entscheidende Problem. Sein Hauptkritikpunkt ist, dass die an der Ausschreibung teilnehmenden Unternehmen, Erfahrung im Cannabis-Anbau nachweisen mussten. Damit waren deutsche Unternehmen automatisch gezwungen, sich mit ausländischen Unternehmen, zusammenzuschließen.
„Das Gericht hat wegen bürokratischer Details entschieden“, kommentierte der DHV-Chef. Damit bestünde die Gefahr, dass sich die Gestaltung eines neuen Ausschreibungsverfahren an dem Gerichtsurteil orientiere und deutsche Unternehmen weiterhin auf Kooperationen mit ausländischen Produzenten angewiesen seien.
FDP: Wozu ein Ausschreibungsverfahren?
Auch Dr. Wieland Schinnenburg, der Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, zeigte sich unzufrieden mit dem BfArM-Verfahren. Für ihn stelle sich die Frage, weshalb die Behörde überhaupt ein Vergabeverfahren mit offensichtlich juristischen Schwächen durchführe.
Unmittelbar nachdem das OLG Düsseldorf sein Urteil fällte, forderte Schinnenburg Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu auf, für eine schnelle und ordnungsgemäße Neuausschreibung zu sorgen. „Nur so kann dem Verdacht entgegengewirkt werden, die juristische Panne könnte den Kritikern einer modernen Cannabis-Politik sogar recht sein", erklärte der FDP-Politiker vor wenigen Tagen unter anderem gegenüber der Berliner Morgenpost.
Darüber hinaus stellte FDP-Bundestagsabgeordnete auf der Cannabis-Konferenz den Sinn des Ausschreibungsverfahrens in Frage. Es solle doch ausreichen, wenn die Hersteller ihre Qualifikation und die medizinische Produktqualität nachweisen könnten.
Warum nicht klüger werden?
Schinnenburg kritisierte in Berlin auch grundsätzlich die Cannabis-Verbotspolitik. Diese sei gescheitert, denn immer noch konsumieren Millionen Menschen Cannabis. Die Konsumenten setzten sich einem erhöhten Risiko durch verunreinigte Schwarzmarktware aus. Polizei und Justiz seien mit der Strafverfolgung unnötig überlastet.
Da den Freien Demokraten die Gegenstimmen im Bundestag von konservativer Seite bekannt sind, entschieden sie sich in ihrem Antrag für die kontrollierte Abgabe in wissenschaftlichen Modellprojekten. Aus diesen Pilotprojekten ließen sich Erkenntnisse für die Prävention und dem Umgang mit der Droge gewinnen lassen. „Niemand kann ernsthaft etwas dagegen haben, klüger zu werden“, begründete Schinnenburg. Aus FDP-Sicht soll die Abgabe in Apotheken oder lizenzierten Geschäften stattfinden.
Wie stehen eigentlich die Apotheker dazu, in Zukunft möglicherweise Marihuana auch zur Freizeitanwendung abzugeben? Kommen bei dem einen oder anderen Kollegen vielleicht gemischte Gefühle auf? Apotheker Tobias Loder hat auf Nachfrage von DAZ.online dazu eine klare Meinung. „Wer, wenn nicht die Apotheker?“, befürwortete der Pharmazeut die Idee, Cannabis an Konsumenten in der Apotheke abzugeben.
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