Familienplanung

Sind die Männer bereit für die Pille?

Berlin - 08.05.2018, 07:00 Uhr

Amerikanische Marktforscher sagen der „der Pille für den Mann“ einen wirtschaftlichen Erfolg voraus. (Foto: farland9 / stock.adobe.com) 

Amerikanische Marktforscher sagen der „der Pille für den Mann“ einen wirtschaftlichen Erfolg voraus. (Foto: farland9 / stock.adobe.com) 


Trotz jahrzehntelanger Forschung an der „Pille für den Mann“ gibt es noch immer kein marktreifes Mittel. Somit bleiben Kondome und die Vasektomie für Männer die einzigen Verhütungsmöglichkeiten. Doch was würde passieren, wenn jetzt ein Präparat auf den Markt käme? Wären die Männer dazu bereit, ein orales Kontrazeptivum einzunehmen, eine Dreimonatsspritze oder ein topisches Produkt anzuwenden und dabei gegebenenfalls die gleichen Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen wie die Frauen seit mehr als 50 Jahren?

Jüngeren Umfragen zufolge würden mindestens 50 Prozent der Männer ein Kontrazeptivum anwenden, wobei diejenigen in festen Beziehungen dieser Option gegenüber am aufgeschlossensten sind, schreibt Alexandra Sifferlin in ihrem Beitrag „Are we finally ready for the male pill?“ im Magazin TIME. Der Wunsch vieler Männer, bei der Verhinderung ungewollter Schwangerschaften mehr Verantwortung zu übernehmen, hat die Forscher offenbar beflügelt. Noch nie wurden so viele Studien zu neuen Verhütungsmitteln initiiert wie in den letzten Jahren. Viele Experten haben die Hoffnung, dass die „Pille für den Mann“ oder ein topisch anzuwendendes Verhütungsmittel die hohen Raten ungewollter Schwangerschaften – in den USA liegt diese beispielsweise bei rund 45 Prozent – senken könnten. Amerikanische Marktforscher sagen zudem einen wirtschaftlichen Erfolg voraus. Im Falle der Einführung eines Kontrazeptivums für Männer in den nächsten fünf Jahren könnte bis 2024 ein Gesamtumsatz von rund einer Milliarde US-Dollar generiert werden. Die jährliche Wachstumsrate in den nächsten zehn Jahren wird auf sechs Prozent geschätzt.

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Vielversprechende Studienergebnisse

Ein Wirkstoff, der derzeit als potenzielles männliches Kontrazeptivum getestet wird, ist beispielsweise Dimethandrolone (DMA, 7α,11β-dimethyl-19-nortestosterone). Im vergangenen Jahr wurde eine Studie veröffentlicht, in der die Substanz als Undecanoate (DMAU) zehn Männern in drei verschiedenen Dosierungen einmal täglich oral verabreicht worden war. Sie war darin sowohl effektiv als auch sicher. Nun sind weitere Untersuchungen mit größeren Probandenzahlen geplant.

Eine Alternative zu oralen Formen oder Injektionen sind Gele, die ebenfalls erfolgreich getestet wurden. Derzeit rekrutieren Wissenschaftler für eine Untersuchung mit 400 Paaren, in der die Männer eine topische Zubereitung mit synthetischem Testosteron und dem Gestagen Nestoron zur Schwangerschaftsverhütung anwenden sollen. Ihre Wirkung beruht auf der Hemmung der Spermienproduktion in den Hoden.

Nichthormonelle Optionen ebenfalls geprüft

Eine nichthormonelle Verhütungsmethode, die in Indien entwickelt wurde, beruht darauf, dass eine Zubereitung in die Samenleiter gespritzt wird, sodass die Spermien unbeweglich werden. Das als RISUG (Reversive inhibition of sperm under guidance) bekannt gewordene Verfahren schaffte es jedoch nicht zur Zulassung. Derzeit wird die Technologie von einer Non-profit-Organisation unter der Bezeichnung Vasal-Gel weiterentwickelt. Dabei handelt es sich um ein Polymer, das in das Vas deferens injiziert wird. Auf Wunsch kann der Kunststoff wieder aufgelöst werden. Doch ganz sicher ist man sich noch nicht, ob die Fruchtbarkeit in jedem Fall wiederherstellbar ist. Ein weiteres amerikanisches Unternehmen entwickelt eine Methode ähnlich zu RISUG und dem Vasal-Gel. Klinische Studien müssen nun die Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis stellen.

Keine „Gleichberechtigung“ beim Ertragen der Nebenwirkungen?

Die Probleme auf dem Weg zur Zulassung eines Verhütungsmittels für Männer scheinen vielschichtiger als bei anderen Medikamenten zu sein und werfen offenbar mehr Fragen auf als bei der Entwicklung eines Kontrazeptivums für Frauen. Aus Sicht der Zulassungsbehörden könnte sich beispielsweise die Frage stellen, ob eine gesunde Person ein Medikament einnehmen sollte mit dem Ziel, ein „Ereignis“ bei einem anderen Menschen zu verhindern.

Von einigen Wissenschaftlern wird der Verdacht geäußert, dass Männer bei der Beurteilung der Nebenwirkungen mehr „mit Samthandschuhen“ angefasst werden als Frauen. Beispielsweise nach dem vorzeitigen Abbruch einer der größten Studien zu einem hormonellen Kontrazeptivum für Männer, an der auch deutsche Wissenschaftler beteiligt waren. Man hatte 320 gesunden Freiwilligen alle acht Wochen 200 mg Norethisteronenanthat plus 1000 mg Testosteronundecanoat intramuskulär verabreicht. Das Ziel war, die Spermienanzahl auf unter eine Million pro Milliliter Samenflüssigkeit zu senken. Dieser Wert bildet die Grenze zur Unfruchtbarkeit. Trotz hoher Effektivität und guter Akzeptanz – mehr als  80 Prozent der Teilnehmer würden die Methode anwenden, wenn sie zugelassen wäre – wurde die Studie wegen häufiger Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen. Dazu zählten beispielsweise Akne, Lokalreaktionen an der Einstichstelle oder Depressivität. Einige Studienleiter sahen den vorzeitigen Stopp kritisch. Eine von ihnen sagte beispielsweise, dass zwar unerwünschte Wirkungen auftraten, sie jedoch mild waren und gut toleriert wurden. Ein anderer Wissenschaftler äußerte sich dahingehend, dass die Nebenwirkungen denen von Kontrazeptiva für Frauen ähnelten. Sind Männer vielleicht nicht gewillt, Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen? Der Androloge Prof. Michael Zitzmann aus Münster, der gemeinsam mit anderen Studienleitern den Stopp der Studie befürwortet hatte, erläuterte gegenüber der DAZ Anfang 2017, seine Meinung.

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Viele Forscher sind dennoch optimistisch, dass im Laufe der nächsten zehn Jahre ein Verhütungsmittel für Männer die Marktreife erlangt. Sie schätzen ein, dass das gesellschaftliche Klima eine gute Basis dafür bietet. „Unsere Gesellschaft entwickelt sich auf vielen Gebieten in Richtung mehr Gleichberechtigung. Und das ist der nächstliegende Schritt“, zitiert Sifferlin einen Probanden einer klinischen Studie für ein neues Kontrazeptivum. Viele Experten wünschen sich jedoch mehr Engagement vonseiten der Pharmafirmen. Denn die Studien sind kostspielig, weil nicht nur die Männer, sondern auch ihre Partnerinnen teilnehmen. 



Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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