WDR-Magazin „Planet Wissen“

Wenn Arzneimittel zum Gesundheitsrisiko werden

Berlin - 16.05.2018, 13:15 Uhr

Harald Dormann, Chefarzt der zentralen Notaufnahme im Klinikum Fürth, geht davon aus, dass jeder achte bis zehnte Notfallpatient möglicherweise eine Arzneimittelnebenwirkung hat. (Screenshot: Planet Wissen / WDR)

Harald Dormann, Chefarzt der zentralen Notaufnahme im Klinikum Fürth, geht davon aus, dass jeder achte bis zehnte Notfallpatient möglicherweise eine Arzneimittelnebenwirkung hat. (Screenshot: Planet Wissen / WDR)


Das Thema Arzneimittelrisiken ist breit gefächert und für eine Verbraucher-orientierte Fernsehsendung wahrscheinlich „harter Tobak“. Das WDR-Magazin „Planet Wissen“ hat sich in der vergangenen Woche dieser Herausforderung gestellt und dabei allerlei Informatives zutage gefördert. Die Apotheker und ihre Expertise werden in der rund einstündigen Sendung allerdings nur am Rande erwähnt.

Das WDR-Magazin „Planet Wissen“ hat sich in der vergangenen Woche dem Thema „Gesundheitsrisiko Medikamente?“ gewidmet. Die Sendung spannte in einer Tour d´Horizon einen großen Bogen über alle möglichen Arten von Gesundheitsrisiken durch Arzneimittel. Der Schwerpunkt lag vor allem auf schweren Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und den Risiken der Polymedikation. Gesprächspartner im Studio war Harald Dormann, Mitglied der AMK Ärzte und Chefarzt der zentralen Notaufnahme im Klinikum Fürth.


Studie zu arzneimittelbedingten Notaufnahmen

„Wir sehen jeden Tag Patienten Nebenwirkungen“, berichtet er. Die häufigsten führt Dormann auf Medikamente zurück, die sehr weit verbreitet sind, wie Blutdruckmedikamente, Schmerzmittel oder Entzündungshemmer. Um die tatsächliche Situation näher zu ergründen, nimmt die Notaufnahme Fürth zusammen mit entsprechenden Einrichtungen in Stuttgart und Bonn an einer Studie teil. Die Leiterin dieser Studie Julia Stingl, Vizepräsidentin des BfArM, äußert sich in der Sendung zum möglichen Ausmaß des Phänomens: „Da wir in Deutschland etwa 20 Millionen Notaufnahmen pro Jahr haben, taucht rechnerisch ein Viertel der Bevölkerung einmal pro Jahr in einer Krankenhausnotaufnahme auf.“ Stingl sieht darin „ein Problem, das möglicherweise in die Dimension von zwei Millionen schweren Arzneimittelnebenwirkungen geht.“ Nach ihren Erläuterungen soll die Studie untersuchen, welche Patienten betroffen sind, welche Risikofaktoren sie möglicherweise für die betreffende schwere Nebenwirkung haben, und ob nicht Fälle durch einfache Maßnahmen vermeidbar wären. Dormann geht nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen davon aus, dass jeder achte bis zehnte Notfallpatient möglicherweise eine Arzneimittelnebenwirkung hat, bei den 70 bis 80-jährigen teilweise jeder sechste.

Lehren aus dem Contergan-Fall

Auch der Contergan-Fall wurde in der Sendung angesprochen. Man habe aus diesem Fall gelernt, stellt die Redakteurin fest. Es folgt eine anschauliche Erläuterung, wie die Entwicklung eines Arzneimittels vonstattengeht. Hiernach gelange von fast 10.000 untersuchten Wirkstoffen am Ende nur einer auf den Markt. Danach würden Nebenwirkungen fortlaufend erfasst und der Beipackzettel ggf. angepasst. In diesem Zusammenhang wird den Zuschauern auch erklärt, was es mit dem schwarzen Dreieck in der Packungsbeilage auf sich hat.

Wie nimmt man Arzneimittel richtig ein?

Der Facharzt für Innere Medizin Dormann erläutert dann im weiteren Verlauf der Sendung im Detail, wie Wirkstoffe in welchen Arzneiformen und an welcher Stelle im Körper resorbiert werden und warum man zum Beispiel manche davon vor dem Essen nehmen soll. Außerdem erklärt er, welche Formen man wie teilen kann und warum man Tabletten ohne Bruchrille und Kapseln nicht teilen soll.

Polymedikation und Medikationsplan

Ein weiterer Schwerpunkt der Sendung ist das Thema „Polymedikation“. Um bei Verordnungen durch mehrere behandelnde Ärzte Wechselwirkungen zu vermeiden, appelliert Dormann an die Patienten, ihre Arzneimittel auf einem Blatt Papier aufzulisten und dieses dann dem Arzt vorzulegen. „Ein Alternative ist auch, mit dem Apotheker darüber zu sprechen, wenn Sie das Medikament in der Apotheke abholen,“, fügt er an. „Apotheken haben eine sehr hohe Kompetenz in der Beratung. Die beraten Sie gerne.“ Nach rund 40 Minuten kommt damit in der rund einstündigen Sendung erstmals die Apotheke als Anlaufstelle zur Sprache.

In diesem Zusammenhang wird auch der Medikationsplan relativ ausführlich thematisiert. Auf diesen habe seit Oktober jeder Patient einen Anspruch, der regelmäßig mindestens drei Medikamente gleichzeitig einnimmt, so die Erläuterung.

Apotheker als „Profis in punkto Medikamentensicherheit“

„Die Patienten wissen oft nicht gut, welche Medikamente sie nehmen,“ beschreibt der Allgemeinmediziner Klaus Weckbecker die Probleme mit der praktischen Umsetzung. „Es ist aufwendig, so einen Plan zu erstellen. Es ist noch aufwendiger, ihn aktuell zu halten. Sowohl Patient, Apotheker, auch andere Kollegen müssen immer wieder Eintragungen machen. Das ist einfach schwierig.“ Den Medikationsplan immer aktuell zu halten, dabei seien auch die Apotheker gefragt, kommentiert die Sendung weiter, die „Profis in punkto Medikamentensicherheit“. Dormann rät im Übrigen dazu, hier auch nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel, inklusive Naturheilmittel und Homöopathika und am besten auch Nahrungsergänzungsmittel miteinzutragen.

„Die Ärzte werden es gerne tun“

Schließlich wird eine Testkäuferin mit einem Rezept über ein starkes Schmerzmittel in drei zufällig ausgewählte Apotheken geschickt. Dort soll sie zusätzlich Aspirin verlangen. Was sich dann vor Ort abspielt, wird nicht gezeigt. In zwei von drei Apotheken sei sie vor Wechselwirkungen gewarnt worden, sagt sie nachher, aber nach dem Medikationsplan habe keine davon gefragt. Das sei aber auch keine Pflicht, wird an dieser Stelle ergänzend angemerkt, und den Patienten dazu geraten, dem Arzt oder Apotheker selbst aktiv den Medikationsplan vorlegen.

Vor allem die Hausärzte sollten den Plan ausgeben, wird im Background weiter kommentiert, aber häufig gebe es ihn nur auf Nachfrage. Laut Dormann wird er tatsächlich noch nicht „stark gelebt“.  Dabei habe ein Großteil der Patienten einen Anspruch darauf. Er hoffe, dass diese nach der Sendung besser informiert seien und den Plan auch einfordern würden. „Die Ärzte werden es gerne tun“, meint er.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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