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DAZ-Interview
Schweim: „Konsequenzen ziehen und aus dem Rahmenvertrag austreten“
Seit dem EuGH-Urteil vom Oktober 2016 hat der Gesetzgeber hierzulande nichts unternommen. Die ausländischen Versender müssen sich an keine festen Arzneimittelpreise halten und die gewährten Rabatte wandern in die Taschen der Versicherten. Der ehemalige BfArM-Präsident Prof. Harald Schweim findet das einen unhaltbaren Zustand – sowohl für die Apotheken als auch die Solidargemeinschaft. Im Interview mit der DAZ macht er deutlich, was seiner Meinung nach in den letzten Jahren politisch versäumt wurde und dass er neben einem Rx-Versandverbot auch Alternativen in der Länderliste und dem Rahmenvertrag sieht.
Insgesamt bieten die öffentlichen Apotheken in Deutschland aktuell rund 157.000 Menschen einen Arbeitsplatz – darunter sind 51.000 Apothekerinnen und Apotheker. Das seien „nur wenige Wähler“, gibt Prof. Harald Schweim zu Bedenken. Deshalb hätte Arzneimittel- bzw. Apothekenpolitik momentan keine so große Bedeutung. Doch es käme noch mehr zusammen: „Die quälende Regierungsbildung ist ein Teil davon“, so Schweim weiter und, „es ist der Machtwille von Angela Merkel, Kanzlerin zu bleiben und dafür in allem der SPD nachzugeben, und der Schachzug, ihren Rivalen Jens Spahn, trotz dessen Nähe zu Großversendern, zum Gesundheitsminister zu machen.“ Ähnliche deutliche Worte fand Schweim auch bei den Stuttgarter Gesprächen im vergangenen Juli und rechnete schon damals mit solch einer Situation nach der Bundestagswahl.
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Eine Mitschuld am gesundheitspolitischen Stillstand nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur deutschen Arzneimittelpreisbindung gibt er aber auch den Apothekern selbst: „Die Filialisierung als bauernfängerischen Ersatz für den Versandhandel zu akzeptieren und den Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der GKV-Erstattung hingenommen zu haben, gehören dazu.“
Im Interview, das in der aktuellen DAZ zu lesen ist, versucht Harald Schweim eine Erklärung zu finden, wie sich die aktuelle Situation aus den Entwicklungen der letzten Jahre herleiten lässt. Schweim, selbst Apotheker, schlug nach dem Pharmaziestudium eine akademische Laufbahn ein. Auf Promotion und Habilitation in Pharmazeutischer Chemie folgte die Anstellung im Bundesdienst: Anfang der 1990er-Jahre wurde er Leiter des Fachbereichs Arzneimittelzulassungen im neu gegründeten Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), kurze Zeit später Direktor des Deutschen Instituts für medizinische Dokumentation und Information (DMDI). Nach einigen Jahren als Präsident des BfArM war er bis zu seinem Ruhestand 2016 Professor für „Drug Regulatory Affairs“ an der Universität Bonn. Zu Themen wie Arzneimittelfälschungen ist er nach wie vor ein viel gefragter Experte.
Außenpolitik „kann jeder“, Gesundheitspolitik nicht
Schweim weist darauf hin, dass auch die Union unter Angela Merkel - damals noch in der Opposition - bei der Gesundheitsreform 2004 für die Freigabe des Versandhandels mit Arzneimitteln war. Einerseits hätte es nämlich schon die „kolportierte Vorstellung“ gegeben, „Rezeptversand per Brief und Rückversand per Päckchen sei Digitalisierung“, andererseits waren es Gutachter wie Prof. Gerd Glaeske, die der Bundesregierung Milliardeneinsparungen durch den Versandhandel prognostizierten. „Nichts davon ist wahr geworden“, resümiert Schweim und, „da Politiker sich nicht gerne korrigieren, halten sie an dem Unsinn fest.“ Gesundheitspolitik könne, im Gegensatz zu anderen Ressorts wie etwa Außenpolitik, nur mit „schwierig zu erwerbendem Fachwissen“ gelingen. Viele Abgeordnete wären mit den komplexen Themen überfordert und würden daher nur gemäß Empfehlung der Fraktionsführung abstimmen. Für Schweim ist darüber hinaus auch der Einfluss großer Kapitalgesellschaften nicht zu unterschätzen: „Den meisten ist nämlich völlig gleich ist, ob sie ihre Millionen mit Schlachthöfen oder Apothekenketten erwirtschaften.“
Versandhandel ist „sicherheitspharmakologisch problematisch“
Weshalb es seit rund 20 Jahren immer wieder Vorstöße gegeben hat, das Apothekenwesen in Deutschland zu liberalisieren, kann sich Schweim nur schwer erklären. Arzneimittel seien Waren besonderer Art, betont er, und damit nicht den üblichen Marktmechanismen unterworfen: „Kein Marketing der Welt wird einen Gesunden dazu bringen, sich ein Arzneimittel verordnen zu lassen. Dafür muss der Patient umfassend und preisunabhängig beraten werden.“ Seine wissenschaftlichen Untersuchungen hätten ergeben, dass problematische OTC-Arzneimittel wie Paracetamol, die nur in Kleinmengen abgegeben werden sollten, beim Versandhandel eher in Großpackungen und überdurchschnittlich oft verkauft werden. Für Schweim ein Zeichen mangelnder Arzneimitteltherapiesicherheit. Er plädiert dafür, dass zumindest der Versandhandel mit sicherheitspharmakologisch relevanten Arzneimitteln untersagt werden sollte, ähnlich wie bei der „Pille danach“.
Europarechtliche Bedenken - nur ein „Kampfbegriff“?
Das größte Problem in der Gesundheitspolitik, erklärt Schweim, sei nach wie vor die Finanzierung in einer alternden Gesellschaft. Seit Langem schon wäre diese Entwicklung absehbar. Aber statt „echter Reformen“ gäbe es „Jahrhundertreformen“ mit kurzfristigen Zielen: „Politiker denken meist nur an ihre eigene Wiederwahl.“ Mit der sogenannten Länderliste hätte das Bundesgesundheitsministerium aber ein Instrument zur Hand, mit dem – unabhängig von Reformen und neuen Gesetzen – geregelt werden könnte, ob und welche EU-Staaten Arzneimittel nach Deutschland versenden dürfen. „Der deutsche Gesetzgeber kann hier konkrete Vorgaben machen, die von den Arzneimittelversendern zu erfüllen sind“, sagt Schweim. „Europarechtliche Bedenken“ hält er für eine Parole bzw. einen „Kampfbegriff“ der Versandhandelsbefürworter. „Einfach sofort machen und abwarten wäre richtig“, rät er. Immerhin gäbe es in 21 der 28 EU-Mitgliedstaaten gar keinen Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. „Handeln die etwa alle europarechtswidrig?“
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Auch beim Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, der zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) geschlossen wurde, sieht Schweim erhebliches Verbesserungspotenzial. Der niederländische Arzneimittelversender DocMorris hat sich dem Vertrag seit 2010 unterworfen, verstößt aber mit Bonuszahlungen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel fortlaufend dagegen. Einige Apotheker waren bereits auf juristischem Weg dagegen vorgegangen . Dass hier von der Standesvertretung nicht deutlich Sanktionen gefordert werden, in Form von Vertragsstrafen oder dem Ausschluss von DocMorris, kann sich Schweim nicht erklären: „Die Kassen als ‚Partner der Apotheken‘ müssten nach dem Sozialgesetzbuch längst die Boni von ihren Versicherten einfordern. So bereichern sich einige Wenige auf Kosten der Solidargemeinschaft.“ Er regt sogar an, die Apotheker sollten vermehrt öffentlich auf diesen Zustand hinweisen „und vor allem die Konsequenzen ziehen und austreten.“
5 Kommentare
Prof. Schweim
von Heiko Barz am 27.05.2018 um 12:25 Uhr
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von Approbierte VERTRETUNG am 27.05.2018 um 6:33 Uhr
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Ohren anlegen
von Approbierte VERTRETUNG am 27.05.2018 um 6:32 Uhr
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